Das Spiel des Ravensburger Organisten Michael Bender wurde auch auf Leinwand übertragen. Mit auf dem Bild im Hintergrund: Kirchenmusikdirektor Peter Ammer. Foto: Kosowska Foto: Schwarzwälder-Bote

Ravensburger Organist entlockt der Nagolder Stadtkirchenorgel weltliche Melodien

Von Maria Kosowska-Németh

Nagold. Für das jüngste Orgelkonzert ließen sich die Kirchenmusikdirektoren Eva Magdalena und Peter Ammer ein besonderes Musik-Schmankerl einfallen: einen Ohrengenuss unter dem Titel "Orgel kurios: aus dem musikalischen Giftschrank". Diesen originellen Einfall brachte der Ravensburger Organist Michael Bender mit nach Nagold.

Giftschrank. Was für ein schauderhaftes Wort! Bender meinte jedoch keinen Tot-schlag oder gar Mord. Der starke Ausdruck sollte signalisieren, dass es sich hier um eine öffentliche Aufführung der seit eh und je für die Kirchenkonzerte ausgesperrten weltlichen, doch oft wertvollen Werke handelte. Erst seit ein paar Jahrzehnten pirschen sich diese vorsichtig an die geheiligten Räume heran. Mit seinem Ausnahmekonzert in der Stadtkirche ließ Bender die unterhaltsamen, amüsanten Melodien durch den noch schmalen Türspalt hereinbitten und sich wohlfühlen.

Abgesehen von zwei Originalkompositionen – "Konzertbolero" von Louis James Alfred Lefébure-Wély und "Schanfigger Bauernhochzeit" von Hannes Meyer – füllte Bender sein Konzertprogramm mit meist bekannten Werken in Orgelbearbeitung auf. Neben der Tanz- und Ballettmusik, Walzer, Polka und Militärmarsch bot er dem zahlreichen Publikum den Ragtime "Heliotrope Bouquet" von Scott Joplin, einen Tango von Isaac Albéniz, die Polka "Petersburger Schlittenfahrt" von Richard Eilenberg und die inoffizielle englische Nationalhymne – den Marsch aus "Pomp and Circumstance" von Edward Elgar.

Während in Gioacchino Rossinis Ouvertüre zur Oper "Barbier von Sevilla" die Violinen-, Oboen- oder Fagottstimmen durch die gezielte Registrierung trefflich ersetzt wurden, bedeckte der stellenweise massive Klangmantel manche ätherischen Details des "Blumenwalzers" von Peter Tschaikowsky. Zudem beeinflussten die Begleitungs-Verzögerungen, welche hauptsächlich dem Belle Epoque-Wiener Walzer vorenthalten bleiben sollten, das Wesen der Petersburger Ballettmusik.

Den sonst stark synkopierten, kantigen Ragtime-Rhythmus versah Bender ebenfalls mit individueller Prägung und erweichte ihn mit Swing-Note, was sich angesichts der schwierigen akustischen Verhältnisse diesmal überaus positiv bewährt hatte. Denn die Diskrepanz zwischen dem Gehörten und der Beamer-Übertragung täuschte gewaltig die Publikumssinne. Während auf dem Bildschirm die Finger flitzten, kam der Klang irritierend verspätet an. Nichtsdestotrotz verhalf der lange Nachhall zu genussvoller Wahrnehmung – nahezu wie in der Westminster-Kathedrale – des majestätischen Marsches von Elgar in tutta la forza, mit voller (Orgel)Kraft.

Bender musizierte feinfühlig frei, musikalisch individuell, humorvoll und mit viel technischem Geschick. Sichtlich animiert durch seine Musik, agierte er sicher auf vier Manualen und Pedaltastatur. Dem Ende zu lieferte er zu voller Publikumszufriedenheit die geforderte Zugabe – die rasant schnelle "Tritsch-Tratsch"-Polka von Johann Strauss.