Heimatnahes Wohnen behinderter Menschen wird den Kreis künftig beschäftigen. Foto: ©  Voyagerix/Fotolia.com Foto: Schwarzwälder-Bote

Inklusion: Recht Behinderter auf heimatnahes Wohnen führt zu komplett neuen Strukturen in der Betreuung

Die "Eingliederungshilfe" ist mit aktuell rund 28 Millionen Euro im Jahr der größte Posten im Sozialhaushalt des Landkreises Calw. Mit anstehenden gesetzlichen Neuregelungen zur Integration Behinderter in die Gesellschaft droht nun eine zusätzliche Kostenexplosion.

Nagold. Einen erheblichen Mehraufwand erwarten die Experten aus dem Landratsamt, wie sie bei ihrem jüngsten Bericht zum Thema in der Sitzung des Bildungs- und Sozialausschusses erläuterten. Wobei es auch einen positiven Aspekt gibt: Das Geld aus der Eingliederungshilfe wird künftig, anders als in der Vergangenheit, ausschließlich im Landkreis selbst ausgegeben und verwendet werden.

Wie Horst Lipinski, Abteilungsleiter Soziale Hilfen, in der Sitzung erläuterte, plane der Gesetzgeber auf Bundesebene die Umsetzung einer UN-Konvention von 2006 zur Inklusion Behinderter in die Gesellschaft, die faktisch in Baden-Württemberg die komplette Hilfe zum Beispiel für stationär zu betreuende Behinderte neu strukturiert.

Bisher wurden solche "schweren Fälle" in zentralen Einrichtungen im Land aufgenommen, die bis zu 2000 Betreuungsplätze vorhielten. Künftig sollen solche Groß-Einrichtungen geschlossen werden, zugunsten heimatnaher (stationärer) Wohnplätze.

Ziel dabei: Auch Behinderte und Vollpflege-Patienten sollen ein individuelles, selbstbestimmtes Leben am Ort ihrer Wahl führen können – vollintegriert in die Gesellschaft; Stichwort: Inklusion.

Das bedeutet: Die Landkreise als Träger der Daseinsvorsorge für alle Bürger müssen ausreichend (neue) Wohnplätze schaffen, um die bisher zentral, außerhalb der eigenen Landkreise untergebrachten Empfänger von Eingliederungsleistungen selbst unterbringen zu können.

Im Landkreis Calw benötigen aktuell 236 Menschen solche vollstationären Wohnangebote, denen aber bisher nur 100 geeignete Wohnplätze gegenüberstehen – die allerdings bisher überwiegend auch "in zu großen" Einheiten existieren.

Künftig würden vom Gesetzgeber nur noch heimatnahe Wohneinheiten mit maximal 24 Wohnplätzen akzeptiert, womit die aktuell im Kreis Calw neu entstehenden vollstationären Wohnangebote in Nagold, Altensteig und Calw-Heumaden allein dem Ersatz dieser bisherigen Wohnplätze dienen.

Zusätzliche Wohnangebote, die auch allen übrigen Nutzern vollstationärer Wohnplätze ein Leben im Heimatkreis Calw ermöglichen würden, müssten noch zusätzlich geschaffen werden. Auch für die Arbeitswelt, die Kinder- und Jugendbetreuung, allgemein für den Bildungszugang, soll der Gedanke der Inklusion weiter konsequent fortentwickelt werden.

Noch in diesem Halbjahr sollen Bundestag und Bundesrat zustimmen, zum 1. Januar 2017 sollen die Neuregungen dann in Kraft treten. Aber nur wenn der Bund auch mehr Mittel für die Landkreise als Träger der Lasten zur Verfügung stellt, sagt der Kommunalverband Jugend und Soziales (KVJS) in Baden-Württemberg. Denn dort, wie auch beim Kreis Calw, geht von ganz erheblichen Kostensteigerungen aus durch die neuen gesetzlichen Pflichten

Wildbergs Bürgermeister Ulrich Bünger (FWV) kritisierte das Vorgehen der Bundesregierung in diesem Gesetzgebungsverfahren scharf. Es könne nicht sein, dass der Bund immer wieder Gesetze auf den Weg bringe, deren daraus entstehende Kosten dann allein von den Kommunen zu tragen sein würden. Bünger rechnete vor, dass der Kreis Calw mindestens rund drei Millionen Euro zusätzlich zu schultern haben würde. Worauf Landrat Helmut Riegger schon fast resignierend entgegnete, dass der Finanzbedarf auf jeden Fall steigen werde, "wegen solchen Themen wird er sicher nicht sinken."