Schüler übernehmen in der Nagolder Vesperkirche die Bewirtung. Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Stadtkirche für zwei Wochen wieder ein Ort der Begegnung

Von Anja Virág

Nagold. Einladend sieht sie aus, die Nagolder Stadtkirche, wie ein freundliches Restaurant mit liebevoll gedeckten Tischen. Manch einer der in den kommenden zwei Wochen hier Einkehrenden konnte sich bisher noch nie in seinem Leben einen Restaurantbesuch leisten, geschweige denn sogar zwischen zwei verschiedenen Menüs auswählen.

"In Deutschland", so Reinhard Hauber, Pfarrer der evangelischen Stadtkirche Nagold, "gibt es 16 Prozent armutsgefährdete Menschen, das ist ungefähr jeder sechste Deutsche." In Nagold gäbe es jedoch eher die versteckte Armut, die sich nicht offensichtlich nach außen hin zeige, keine in Lumpen gekleideten Menschen oder Kinder, die auf der Straße schlafen müssten. Und trotzdem herrsche sie auch hier, die Armut, die Einsamkeit, die Ausgrenzung im Alltag. In der Nagolder Vesperkirche können sich nun bis 8. Februar täglich von 11 bis 15 Uhr Menschen aller Altersstufen und aus ganz verschiedenen Lebenssituationen beim Mittagessen und Kaffeetrinken treffen und so miteinander ins Gespräch kommen. Vor 20 Jahren in der Stuttgarter Leonhardkirche als reine "Armutskirche", in der man sich aufwärmen und satt essen konnte, ins Leben gerufen, will die Nagolder Vesperkirche noch mehr sein als eine warme Stube in der kalten Jahreszeit. Ein Ort der Begegnung und des Miteinanders, ungeachtet der sozialen Stellung des Einzelnen.

"Christus lädt ein an seinen Tisch", sagt Bernd Schmelzle, Diakon der evangelischen Kirchengemeinde und Mitglied des Vorstandes der Vesperkirche, und verweist auf das Altarbild "Tischgemeinschaft mit den Ausgegrenzten" von Sieger Köder, an dem Menschen verschiedener Hautfarbe, Herkunft und in verschiedenen Situationen des Lebens um einen reich gedeckten Tisch sitzen, an dessen Kopfende die Hände des Gastgebers zu sehen sind, durchbohrt von den Nägeln des Kreuzes.

Es ist eine organisatorische und logistische Meisterleistung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), in der evangelische, katholische und evangelisch-methodistische Gemeinden partnerschaftlich zusammenarbeiten. Im Vorstand des Projektes "Vesperkirche" finden sich Marlis Katz, Geschäftsfrau und Vertreterin der evangelisch-methodistischen Gemeinde, Veronika Rais-Wehrstein, Diözesanrätin der katholischen Kirche, und Bernd Schmelzle. Als Verbindungsglied zur Stadtkirche unterstützt Pfarrer Reinhard Hauber den Vorstand. Schirmherren sind Oberbürgermeister Jürgen Großmann und Dekan Ralf Albrecht, Vorsitzender der ACK Nagold.

Die Vorbereitungsarbeiten zur 2. Nagolder Vesperkirche liefen Hand in Hand mit verschiedenen Unternehmen und Einrichtungen aus der Region, wie etwa die Schreiner, die extra einen Verschlag für die Aufbewahrung der Kirchenbänke bauten, oder die Freiwillige Feuerwehr, die Tische und Stühle aus der Stadthalle in die Kirche brachte. Und nicht zuletzt stehen nun jeden Tag 50 bis 60 Personen ehrenamtlich in der Vesperkirche bereit, um auszuschenken, anzusprechen, zu bedienen und wieder aufzuräumen.

Täglich werden 25 bis 30 Schüler der Christiane Herzog Realschule und des OHG die Bewirtung übernehmen, Essen und Geschirr liefert das Hotel Sonnenbühl in Wart, dafür gehen jeden Tag vier Leute dorthin zum Spülen; die Getränke kommen von der Hochdorfer Brauerei – und natürlich sind viele Kuchen privat gespendet worden. Finanziert wird die Vesperkirche über Spenden. Der Essensbetrag von einem Euro – wobei man auch mehr geben kann – ist mehr symbolischer Natur. Im vergangenen Jahr besuchten täglich bis zu 500 Gäste die Vesperkirche, was alle Erwartungen des Veranstalters übertroffen hatte.