Verkehrsplaner Ulrich Grosse (stehend rechts), selbst gebürtiger Nagolder, stellte auf Einladung von Landtagskandidat Daniel Steinrode (SPD) die komplizierte Planungshistorie für Nagolds Anbindung ans Stuttgarter Schienennetz vor. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Verkehrspolitik: Experte Ulrich Grosse weckt als Gast von Daniel Steinrode (SPD) neue Hoffnungen

Von Axel H. Kunert

Nagold. Sie ist ziemlich kompliziert, die Materie: Warum Nagold auch nach Jahren harter politischer Arbeit mittlerweile zweier engagierter Oberbürgermeister immer noch nicht per Bahn lückenlos an die Region Stuttgart angebunden ist. Landtagskandidat Daniel Steinrode (SPD) hatte deshalb den Tübinger Verkehrplaner Ulrich Grosse nach Nagold in die Gaststätte – "nomen es omen" – Eisenbahn eingeladen, um einmal die aktuelle Situation zusammenzufassen.

Grosse wird immer wieder als "geistiger Vater" des Konzepts "Interim Plus" genannt, mit dem Nagold und andere Kommunen sich eigentlich an eine seit Dezember 2015 von der Deutschen Bahn auf der Achse Zürich-Stuttgart installierte Fahrplan-Taktung ("Interim") als Ergänzung der Gäubahn einklinken wollten. Doch die Realisation scheiterte letztlich trotz zahlreicher positiver Gutachten am politischen Widerstand der Kreise Böblingen und Freudenstadt sowie der Bahn selbst. Und das, wie Grosse aufgrund seiner intimen Kenntnisse der schier endlos scheinenden Diskussionen und Verhandlungen berichten konnte, obwohl auch das zuständige Stuttgarter Ministerium von den Vorteilen von "Interim Plus" durchweg überzeugt war.

Grosse wusste die zahlreichen Nagolder Zuhörer damit zu überraschen, dass er selbst gebürtiger Nagolder sei und einst selbst auf die Anbindung seiner Heimatstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln an Stuttgart angewiesen gewesen wäre. "Ich habe immer meine Oma im Remstal besucht und musste dafür den Bahnbus, der von Freiburg über Nagold nach Stuttgart fuhr, nehmen." Diese Verbindung habe bis Mitte der 1980er-Jahre bestens funktioniert – bis die S-Bahn von Stuttgart aus nach Böblingen (1985) und später Herrenberg (1992) verlängert wurde. Ab da klappten die Anschlusszeiten der unterschiedlichen Verkehrssysteme nicht mehr. Die Reise von Nagold nach Stuttgart wurde dadurch zunehmend komplizierter.

Bereits mit Amtsantritt 1992 versuchte der damalige Oberbürgermeister Rainer Prewo (SPD), die S-Bahn-Trasse von Herrenberg aus einfach bis Nagold verlängern zu lassen. Studien zeigten, dass eine Anbindung über das Industriegebiet Wolfsberg oder auch eine Tunnellösung über Jettingen und Emmingen an die Nagoldtal-Bahn möglich gewesen wären.

Durch "Interim Plus" wäre Nagold mit Stuttgart verbunden

Gleichwohl scheiterten diese Ideen in der Umsetzung an den jeweils damit verbundenen Kosten. Später änderte sich dann die Situation, als Freudenstadt von Karlsruhe her mit einer elektrifizierten Strecke sowohl an Karlsruhe als auch die Gäubahn angeschlossen wurde. Auf einmal wurde es realistisch, Nagold mit einer (ebenfalls zu elektrifizierenden) Trasse über Hochdorf an eben diese Verbindung anzuschließen. In ihrer letzten konzeptionellen "Ausbaustufe" wurde diese Idee dann "Interim Plus" genannt.

Das bestechende dieser Idee, zumindest aus Nagolder Sicht: die Stadt wäre im verlässlichen Stundentakt sowohl an den Stuttgarter Flughafen als auch den Stuttgarter Hauptbahnhof angebunden gewesen. Allerdings, so die Sichtweise dort, zulasten der bestehenden Verhältnisse für Horb, Freudenstadt und auch Herrenberg/Böblingen – weshalb diese das Konzept zu Fall brachten. Aber trotzdem bestehe eigentlich kein Grund für Nagold, über das (vorläufige) Ende von "Interim Plus" nun enttäuscht zu sein, so Grosse. "Die Anbindung über den Schnellbus an Herrenberg funktioniert sehr gut." Und für eine eigene echte Bahnanbindung habe man auf lange Sicht im Stuttgarter Ministerium mächtige Mitstreiter. Denn eigentlicher Nutznießer einer besseren Anbindung des gesamten Stuttgarter Südens sei schließlich Stuttgart selbst, das ja unter dem Autoverkehr und der damit verbundenen Feinstaubbelastung extrem leide.

Und so erinnert das, was aktuell in Sachen "Bahnanbindung" unter anderem für Nagold läuft, an eine "Salami"-Taktik: Mittels einer Arbeitsgruppe unter Führung des Verkehrsministeriums, in der auch Grosse als Anwalt der Nagolder Interessen mitarbeitet, wird laufend geschaut, mit jeden anstehenden Fahrplanwechsel "soviel wie möglich von Interim Plus" quasi durch die Hintertür doch noch umzusetzen.

"Metropolexpress" schließt Stuttgarter Umland per Schiene an

Und in einem großen Deal zwischen Deutscher Bahn und Landesregierung (rund um die bessere Anbindung des Stuttgarter Flughafens ans Bahnnetz) wurde die (Stuttgarter) Verkehrskonzeption "Metropolexpress" geboren, mit der das gesamte Stuttgarter Umland per Schiene sogar nun im Halbstunden-Takt an die Landeshauptstadt angeschlossen werden soll. Die neue große Chance auch für Nagold. Die übrigens auch aus der Hesse-Bahn, mit der die Kreisstadt Calw an Stuttgart angebunden werden wird, ebenfalls doch noch eine "S-Bahn" machen könnte – wie man es ursprünglich einmal auch für diese Trasse vorhatte.

Allerdings, das zeigte der große "Rund-um-Blick" von Verkehrsplaner Grosse, stecken in solchen ambitionierten Planungen immer auch reichlich politische Fallstricke. Weshalb sich Landtagskandidat Steinrode mit diesem Thema trefflich in Positur bringen konnte, als politischer Nachfolger des später ja ebenfalls im Landtag vertretenden OBs Prewo, den Kampf für Nagold auf Landesebene für die bessere Schienenanbindung künftig aufnehmen zu wollen.