Interview vor versammeltem Publikum: Sascha Dresch wurde kurzzeitig zum Star wider Willen. Torsten Sträter (rechts) nahm die spontane Einlage gelassen. Foto: Krauß Foto: Schwarzwälder-Bote

In der Alten Seminarturnhalle gibt sich der Comedian als geborener Geschichtenerzähler

Von Diana Krauß

Nagold. Torsten Sträter ist zum ersten Mal in Nagold. "Gold, ja" (viel Grün, Idylle) "Nah, nein". So die ersten Eindrücke des Ruhrpottlers. Mit dem Zug ist er angereist – und das hat lange gedauert. Diese Zeit hat er aber effektiv genutzt und sich über sein Reiseziel informiert. Die Frage, was der Nagel auf dem Nagolder Stadtwappen zu bedeuten hat richtet er ans Publikum. Stille. Der Bistro-Abend in der Alten Seminarturnhalle ist restlos ausverkauft, aber keiner der 200 Gäste hat eine Erklärung für den Nagolder Nagel. "Okay, Licht an und Hände hoch – wie viele Nagolder sind hier?" Sträter zählt exakt fünf Finger. Auf die Frage nach dem Nagel erhält er nie eine Antwort.

Jetzt, da das Licht schon mal an ist, schaut er sich sein Publikum mal genauer an, zählt die Karo-Träger, sucht nach Camp-David-T-Shirts – und entdeckt voll echtem Entsetzen etwas, das ihn für den Rest des Abends irritieren wird. "Sag mal, strickst du da etwa?!?" "Nein, ich häkle", beruhigt die Besucherin. Sträter sprachlos. Vielleicht lässt diese Situation eine Art Trauma in ihm aufleben. Sträter ist gelernter Herrenschneider. Sichtlich irritiert fällt sein Blick immer wieder zur Häkel-Frau, die ihn merklich aus dem Konzept bringt.

Apropos, so ein richtiges Konzept scheint Sträter nicht zu haben. Zwei, drei Geschichten packt er sicher in jeder Vorstellung aus, aber der Großteil ist absolut improvisiert. So plaudert sich der Endvierziger von Thema zu Thema und schweift mehr ab als auf dem Punkt zu bleiben. Kurz vor Ende der ersten Hälfte kommt er doch tatsächlich bei seiner ersten "richtigen Geschichte" an. Sträter sieht sich selbst als Vorlese-Onkel. Seine gesammelten Werke trägt er auf einem Tablet mit Bucheinbad mit sich herum. Für das ältere Semester im Saal, das sich fragt "Warum leuchtet das Buch?" erklärt er kurz: "Ich hab ein Teelicht reingestellt."

Aus der Geschichte "Diättagebuch" liest er etwa fünf Sätze vor – den Rest erzählt er frei. Schaut lieber ins Publikum als auf sein Tablet, die Häkel-Frau immer im Blick. Die Dame und das restliche sichtlich amüsierte Publikum erfährt, dass Sträter gerne ein "stromlinienförmiger Vorlese-Brad Pitt" wäre, aber sein Faible für Süßigkeiten das schlicht und ergreifend nicht zulässt. "Tagsüber esse ich keine Süßigkeiten. Da bin ich stark. Aber nachts, so ab 3, halb 4 – da geht’s los." So erzählt er gefühlte 25 Minuten von seinem Erlebnis in einem Schweizer Hotel als ihm das Snickers in der Minibar den Schlaf raubte. Er umschreibt die Situation dermaßen detailgetreu, dass man sich selbst in diesem Hotelzimmer sieht, mit dem nackten Snickers in der hochgestreckten Hand, das vom Mondschein bestrahlt wird. Zum Anbeißen. Gegessen hat er das Objekt der Begierde dann jedoch nicht, behauptet er zumindest. Die 9,50 Euro musste er am nächsten Morgen allerdings trotzdem löhnen.

Für die zweite Hälfte wünscht sich der Dortmunder Themen vom Publikum. "Apotheken-Umschau" sagt ein Besucher. Und tatsächlich, für eben diese hat Sträter im Februar geschrieben. Und zwar einen Aufruf zur Darmspiegelung. Ein ernsthaftes Thema humorvoll verpackt – und gleich sieht man diesen angsteinflößenden Eingriff mit anderen Augen. Seine ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet hat Sträter nach eigener Aussage bereits sehr früh gemacht. Mutti hatte den jungen Sträter darum gebeten, nach dem Toilettengang doch bitte die Klobürste zu benutzen. Das clevere junge Kerlchen tat, was Mütterchen verlangte. Rückblickend äußert er zu diesem Erlebnis nur staubtrocken: "Es hat sich ziemlich entzündet." Riesen Gelächter im Saal und man fragt sich "wie macht er das, nicht selbst laut los zu prusten?"

Torsten Sträter nennt seine Art der Komik "Spezialhumor". Er versteht, dass das nicht jeder versteht, und als im letzten Drittel des Programmes immer noch ein Herr irritiert nachfragt, ruft Sträter lauthals "Das war Ironie." Dankeschön für die Erklärung, Herr Sträter.

Zum Thema Spontanität passt auch, dass Sträter das Interview, das aufgrund der Zug-Verspätung vor der Veranstaltung ausfallen musste, spontan auf die Bühne verlegt. Sascha Dresch vom Radiosender "Querfunk" und der Homepage rontegger.de kommt mit Block, Mikro und Kamera auf die Bühne, drei Fragen hat er vorbereitet. Medienprofi Sträter nimmt dem Herrn die Aufregung, gibt Tipps wie man trotz Publikum Ruhe bewahrt und zeigt sich geduldig.

Sträter hat eine wahnsinnige Sprechstimme, ist ein geborener Geschichten-Erzähler. Man schweift gerne mit ihm ab und vergisst nach fünf Minuten, worum es ursprünglich ging. Kein Wunder, dass alle beim Blick auf die Uhr voll Entsetzen feststellten, dass es auf 23 Uhr zugeht und eigentlich längst Schluss sein sollte. Sträter erklärt: "Gleich gehe ich die Stufen hier zur Bühne runter und berühre jeden von euch. Sollte das einer nicht wollen, streckt er mir nen Fünf-Euro-Schein hin." Vor lauter Euphorie über diesen herrlich amüsanten Abend möchte man ihm zehn Euro in die Hand drücken und sagen "Kauf dir ein Snickers."