Dieser Netto-Markt war Ziel der Räuber. Foto: SB-Archiv

Gericht verurteilt Beschuldigte zu sechs Jahren und vier Jahren und neun Monaten Haft.

Tübingen / Nagold-Hochdorf - Nach dem überraschenden Geständnis des jüngeren Angeklagten sind im Prozess um den Überfall auf den Hochdorfer Netto-Markt die Urteile gesprochen worden: sechs Jahre Haft für den einen, vier Jahre und neun Monate für den anderen Räuber.

Der geständige 20-jährige Angeklagte verpfiff niemanden, versuchte aber über die Erklärung seines Verteidigers, das Gericht anders milde zu stimmen: Den beiden Frauen, die am 5. September vergangenen Jahres als Angestellte des Netto-Marktes in Nagold-Hochdorf mit einer Pistole bedroht, gefesselt und zur Herausgabe der Tageseinnahmen von 11655 Euro gezwungen worden waren, drückte er sein Bedauern aus und ließ ihnen von sich aus je 1000 Euro als Schmerzensgeld überweisen.

Die Reue nützte ihm eher nur wenig gegenüber seinem 26 Jahre alten Komplizen, dessen Verteidiger Freispruch aus Mangel an Beweisen beantragt hatte. Der Ältere, über dessen mutmaßliches, beim Überfall verlorenes Handy die Ermittler auf die Spur der Räuber gekommen waren, bekam entsprechend dem Antrag von Staatsanwältin Kaija Seiler eine Haftstrafe von sechs Jahren. Er hatte bis zum Schluss des Verfahrens zur Sache geschwiegen. Den geständigen Mittäter verurteilte die Jugendkammer zu den beantragten vier Jahren und neun Monaten Gefängnis – allerdings nach Jugendstrafrecht.

Das Duo muss weitere Mittäter gehabt haben. Davon zeigte sich die Jugendkammer des Tübinger Landgerichts unter dem Vorsitz von Martin Streicher mehr denn zuvor überzeugt. Doch zwei weitere Ermittlungsverfahren zu dem Überfall sind einstweilen eingestellt. Ein damaliger Angestellter des Marktes soll den Tipp gegeben und die Täter kurz vor dem Samstags-Ladenschluss über einen Nebeneingang in den Netto-Markt gelassen haben. Später kam er aus dem Getränkemarkt hinzu oder wurde geholt und ließ sich – wie die zwei weiblichen Angestellten – mit Klebeband fesseln. Er konnte sich aber nach der Flucht der Täter am schnellsten befreien.

Richter: Urteil ist "fast sogar äußerst milde"

Ein weiterer Mittäter, 37 Jahre alt und Busfahrer von Beruf, soll einerseits den Markt ausbaldowert haben, darüber hinaus aber auch am Steuer des dunklen Fluchtfahrzeugs gewartet haben, mit dem die fliehenden Räuber dann auf einem Waldsträßchen in Richtung Horb von einem ansitzenden Jäger beobachtet worden waren und zudem eine Wärme-Wildkamera auslösten – ohne wirkliche Beweiskraft allerdings.

Vor dem Überfall selber müssen sich die zwei Täter in der Kunden-Toilette eingeschlossen und mit schwarzen Sachen vermummt und maskiert haben. Dass sie dabei einen Bewegungsmelder abklebten, wurde ihnen wohl zum Verhängnis. Die auf dem Panzerband gesicherten zwei DNA-Spuren waren mit völliger Sicherheit dem jüngeren, nun geständigen Täter zuzuordnen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch dem anderen Angeklagten.

Mit einer Softair-Pistole bewaffnet, wie der jüngere Täter nun in seinem Geständnis angab, stürmten die Männer ein paar Minuten nach Geschäftsschluss um 21 Uhr das Büro, bedrohten die Frauen und verlangten das Geld. An die noch nicht gesicherten Tageseinnahmen des Netto-Markts vom Samstag kamen sie heran. Den Tresor aber, wohl mit den Geldbomben von zwei weiteren Tagessummen gefüllt, konnte auch die Filialleiterin trotz der Drohungen nicht öffnen. Weil die brutal auftretenden Räuber inzwischen Handschuhe trugen, fanden sich auf dem Fessel-Klebeband keine Spuren.

Gewisse Zweifel bei der Täterbeschreibung – Staturen, Stimmen und Akzent – durch die im Zeugenstand befragten Netto-Mitarbeiterinnen fielen für das Gericht wegen der Stress-Situation nicht wirklich ins Gewicht. Viel entscheidender war das Handy, das einer der Täter bei der Flucht zwischen einem Fenster des Netto-Markts und dem wartenden Auto verlor. Es ging zwar zu Bruch, konnte aber in den Verbindungsdaten ausgelesen und dann zunächst über die Adresse der Familie des 26-jährigen Angeklagten zugeordnet werden. Weil der Mann wegen einer langen Latte von kleinkriminellen Taten mehrfach verurteilt war und noch unter Bewährung stand, war seine DNA registriert. Damit schloss sich über die Spur am Bewegungsmelder für die Ermittler der Kripo Calw der Kreis. Für das Gericht auch.

Während der Verteidiger des schweigenden Angeklagten dessen Täterschaft wegen einer ganzen Reihe aus den Handy-Daten denkbarer Verdächtiger bis zum Schluss für nicht hinreichend erwiesen hielt, genügten der Jugendkammer die habhaften Indizien für eine Verurteilung – auch des nicht geständigen Angeklagten. Für die Brutalität, die "hohe kriminelle Energie und fast perfekte Planung" der Tat fand der Vorsitzende Martin Streicher das verkündete Strafmaß "noch milde, fast sogar äußerst milde".

Die einstweilen eingestellten Ermittlungsverfahren gegen die zwei möglichen Komplizen des Überfalls könnten nach der Beweisaufnahme und dem Urteil gegen die zwei Haupttäter sehr bald wieder aufgenommen werden. Als Zeugen machten der verdächtigte Fluchtfahrer und der mögliche Tippgeber aus dem Markt von ihrem Recht Gebrauch, jegliche Aussage zu verweigern, mit der sie sich belasten könnten.