Zum Schreien komisch: Thorsten Müller als "Josef Bieder" in der Alten Seminarturnhalle. Foto: Johannes Seipp Foto: Schwarzwälder-Bote

Thorsten Müller zeigt an zwei Abenden in der Seminarturnhalle sein ganzes komödiantisches Talent

Von Barbara Rennig

Nagold. Er scheint die Bühnen der Welt wie seine Westentasche zu kennen, doch in 30 Jahren als Chefrequisiteur hat sich auch mancher Frust im Theaterbetrieb aufgebaut – bis Josef Bieder (nomen est omen) nun in der alten Seminarturnhalle gelandet ist: "Nagold war nie mein Traum, eher mein Schicksal!" reißt das Publikum schon zu ersten herzhaften Lachern für die Revue "Die Sternstunde des Josef Bieder" hin, in der Thorsten Müller vor zweimal überaus gut besuchtem Haus am vergangenen Wochenende eine Visitenkarte vom Feinsten abgab.

Der vielseitige Mime und Spielleiter des Ensembles "Vorhang auf!" hatte das satirische Ein-Mann-Stück von Eberhard Streul und Otto Schenk – gleichzeitig eine Liebeserklärung an das Theater selbst – unter der Regie von Sandra Müller eigens als Geschenk zum 20-jährigen Jubiläum des Fördervereins eingepackt. Und was er da, kleine Seitenhiebe auf lokale Verhältnisse inclusive, in gut 80 Minuten mit höchst facettenreicher Mimik und Körpersprache aus- und entwickelt, löst immer wieder begeisterte Stimmung und Szenenapplaus aus. Das Theater ist geschlossen, Josef Bieder will die Vorstellung für den nächsten Tag vorbereiten – und sieht sich überraschend einem Publikum gegenüber.

Obwohl ihm das erst gar nicht schmeckt, lässt er sich hinreißen, aus dem Nähkästchen zu plaudern, sich über den Theaterbetrieb und interne Querelen zu mokieren, die skurrilen Eigenheiten von Sängern, Schauspielern, Regisseuren aufs Korn zu nehmen – und ebenso seine heimlichen Sehnsüchte zu offenbaren. Denn der ehemalige Chorknabe hatte Opernträume, wäre gerne Sänger geworden, für die "Carmen" mit ihrer Unterlippenerotik sogar zur Frau! Schließlich dirigiert und tanzt er selbst und weiß, "wie’s g’hört!". Die Beinarbeit des Buffo, der Nierengriff der Sängerinnen, der Abgang des verkrüppelten Rigoletto, die Thorsten Müller alias Josef Bieder mit vollem Körpereinsatz mal tänzelnd, mal schmachtend, mal kriechend vorführt, ernten ebenso Beifallsstürme wie das Möchtegern-Italienisch einer Arie mit heftig schwäbischem Akzent.

Und Bieder weiß: "In der Oper wird viel gestorben, das merkt man schon beim Hüsteln im ersten Akt". Zwischendurch – "meine Requisiten sind das geistige Skelett der Oper" – schwadroniert er mal eben über einen Maronibrater, die Herstellung von Bühnenessen auf Bananenbasis, den Mops im "Rosenkavalier", Pannen bei der Halali-Pilzsuppe (zum Schreien komisch!) oder den Gebrauch eines Theaterdolchs. An diesem fiktiven Schließtag des Theaters wird Requisiteur Josef Bieder, im Leben immer wieder zu kurz gekommen, zum König für eine Nacht – und Thorsten Müller mit seinem großen komödiantischen Talent für zwei Abende zum Liebling eines hingerissenen Publikums in der Semi-Halle.

Von Nurejew, dem "Wirbelwind der Grazie", beflügelt, krempelt er die Hosenbeine hoch, wurschtelt sich den Arbeitskittel als Tutu um die Hüften, um so hingebungsvoll wie urkomisch den sterbenden Schwan samt grazilem Armvibrato zu mimen, dass die Halle vor Applaus geradezu bebt. Da "Intendant Schäfer" nach wie vor unerreichbar scheint, bleibt Bieder-Müller kurz vor Feierabend offenbar nur das Resümee "Es war ein verlorener Abend – für Sie und für mich!" Dies wurde bei beiden Aufführungen durch überschwänglichen Applaus für die großartige Interpretation dieser melancholisch-schrägen Komödie eindeutig widerlegt,zumal Thorsten Müller, quasi als Zugabe, zum Vergnügen des Publikums, nochmals diverse Varianten des Abgangs und der Beinarbeit zeigt.