Standing Ovations für den Gast aus Israel. Der Holocaust-Überlebende Mordechai Ciechanower sprach in der Nagolder Stadtkirche. Fotos: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Holocaust-Überlebender Mordechai Ciechanower singt für die Gäste in der vollbesetzten Stadtkirche

Von Axel H. Kunert

Nagold. Es ist ein mittlerweile arg strapazierter Begriff – die Gänsehaut-Atmosphäre, mit der die Wirkung einer ganz besonderen Veranstaltung beschrieben werden soll. Doch selten traf diese Beschreibung mehr zu als beim Besuch des Holocaust-Überlebenden Mordechai Ciechanower in der Nagolder Stadtkirche.

Hinter dem 91-Jährigen lag da bereits ein langer Tag mit einem Besuch der Rolf-Benz-Schule und dem Empfang im Nagolder Rathaus. Aber Ciechanower wirkt immer noch frisch und agil, mindestens 20 Jahre jünger als er wirklich ist. Ein freundlicher älterer Herr, den all der Trubel um seine Person offensichtlich sehr belebt; der dem bescheidenen Mann aber andererseits offensichtlich auch einiges abverlangt. Denn er, der Jude aus Israel, sieht sich hier in der christlichen – und eben auch deutschen – Nagolder Stadtkirche einer gewaltigen Menge Menschen gegenüber, selbst die Empore ist fast voll besetzt.

Bis zu seinem 70. Lebensjahr hatte sich Ciechanower geschworen, nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen. Oder in sein Heimatland, Polen. Aber dann hatte er sich überreden lassen, doch zurück zu reisen in die Vergangenheit. Und in die Zukunft. "Der jungen Menschen wegen", wie er sagt. Die seien andere Menschen als jene damals, die ihm und seinem Volk diese unfassbaren Gräuel angetan haben, von denen er auch an dieser Stätte einer atemlos lauschenden Zuhörerschaft erzählt.

Es sind einfache Worte, die der Zeitzeuge des Holocaust in stockendem Deutsch mit dem leider nur noch selten zu hörenden jiddisch-ostpreußischem Akzent ausspricht. Doch die Worte sind voll unendlich schrecklicher Dimensionen. Und Bilder. Wer sich unter den Zuhörern umschaut, kann vor allem bei einigen Älteren die Tränen fließen sehen. Hier will niemand vergessen, wie es eine Studie angeblich von der Mehrheit der Deutschen behauptet. Hier will man allenfalls begreifen. Und hoffen dürfen, dass so etwas nie wieder geschehen mag.

Und dann, das ist das eigentlich völlig Unfassbare an diesem Abend, singt Mordechai Ciechanower für seine Zuhörer aus dem Land der Täter. Er singt wider dem Vergessen die einfachen melancholischen Weisen seiner Kindheit. Alleine. Nur begleitet von Volker Mall am elektrischen Piano. Malls Verein der Gedenkstätte KZ-Außenlager Hailfingen-Tailfingen hat diesen Abend organisiert, hat einen Film über Ciechanower drehen lassen ("Der Dachdecker von Birkenau") und auch bereits eine CD mit dem letzten Überlebenden des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen aufgenommen. Die Musik, hatte Ciechanower vorher erzählt, habe ihm immer geholfen, über all die Schrecken in seinem Leben hinwegzukommen. Hier wird seine Musik – so empfinden es viele an diesem Abend – zu einer Brücke. Zu einem gesungenen Verzeihen. Mindestens aber zu einer gesungenen Versöhnung.

All den Menschen in der Nagolder Stadtkirche, die Zeuge dieser ergreifenden Geste werden – darunter auch hier wieder viele Schüler, Jugendliche, Konfirmanden; die Hoffnungsträger – bleibt nur der stehende Applaus als Zeichen der Dankbarkeit. Die Verbrechen der Deutschen von damals werden immer unvergessen sein, sagt Bernd Schlanderer, Geschäftsführer des Diakonie-Kreisverbandes, der diesen Abend moderiert hatte, noch zum Abschluss der Veranstaltung. Und die Scham darüber werde bleiben. So war Mordechai Ciechanowers ausgesprochenes "Schalom" – für "Frieden" – zum Ende seines Vortrags wohl auch als Mahnung zu verstehen, immer wieder neu um die Erhaltung dieses Friedens zu ringen.