Emil Steinberger kann es noch immer. Mit seinen 81 Jahren legte er in Nagold eine umjubelte Lesung hin. Foto: Rennig Foto: Schwarzwälder-Bote

Schweizer Tausendsassa begeistert in der Seminarturnhalle

Von Barbara Rennig

Nagold. Er ist wieder da – und wie. Nach rund 20-jähriger Bühnenabstinenz machte Emil Steinberger, seit 2013 auf Tournee mit seinem szenischen Leseprogramm "Drü Ängel" ("Drei Engel"), nun auch in Nagold Station und gab eine Visitenkarte vom Feinsten ab. In der brechend vollen Alten Seminarturnhalle sorgte der Schweizer Tausendsassa – diplomierter Grafiker, Kabarettist, Autor, Regisseur und Verleger – sofort für Zwerchfell erschütternde Lacher, als er mit unverwechselbarer Mimik demonstrierte, wie viel Mundarbeit schon die Begrüßung "Grüezi miteinand’" mache und hinzufügte, er sei überrascht "so etwas da anzutreffen" – nämlich Nagold, ein wahres Kleinod im Schwarzwald, ehe er zu einem Exkurs übers Fahrverhalten auf deutschen und Schweizer Autobahnen ansetzte. Leider sei sein Impuls, ein Buch für Linkshänder rauszugeben, verworfen worden, doch dafür biete er den Lesern von "Wahre Lügengeschichten" ein Novum: Man kann ankreuzen, welche Geschichten man für wahr, welche für erfunden halte, und Ehrenwort! – mit den "drei Wahrheitsengeln" aufgezeigt: "Nur sechs von den 30 sind wirklich erstunken und erlogen", meint Steinberger verschmitzt.

Mit einem wahrhaft grandiosen Blick auf die Skurrilitäten des Alltags spießt er von einem Irrflug zwischen Hamburg und Zürich über das Gästebuch eines Baden-Badener Restaurants bis zum "Bettmümpfeli", das auf den blitzsauberen Laken eines Hotels braune Spuren hinterließ, schrullige Begegnungen und bizarre Beobachtungen auf, die das Publikum zu Lachsalven hinreißen. Immer wieder sinniert Steinberger über die Tücken der Sprache(n) oder philosophiert über Wörter, die als Grenzgänger in die Schweiz einwandern. Und wer weiß schon, dass die Zehn Gebote mit 249 Wörtern auskommen, während die EU-Richtlinie zur Herstellung von Karamell immerhin gut 28 000 braucht? Futter satt für den Sprachjongleur Steinberger, der gleich noch Beispiele aus dem Wörterbuch der deutschen Sprache zitiert – "Verben mit obligatorischem präpositionalen Objekt – was isch au daaas, hä?!" – oder zum Brüllen komisch gestikulierend, den Unterschied zwischen einem Originaldialog aus "Der letzte Samurai" und der synchronisierten Version klarmacht.

1993 nahm Steinberger ein Sabbatjahr, um in New York in der Anonymität zu leben - es wurden fast sechs Jahre daraus –, und so lässt er sein Publikum auch teilhaben am Schuhkauf in Manhattan, einem Tanzkurs oder der Erfahrung, wie verbreitet der gute Ruf der Schweizer Armee auch überm Großen Teich ist. Im Jahr 2000 gründete der vielfach preisgekrönte Steinberger mit seiner Frau Niccel einen eigenen Verlag und ist - inzwischen 81 – mit seinen "Drei Engel"-Lesungen schon an die 900-mal aufgetreten. Der Spitzbub par excellence nimmt mit den "wahren Lügengeschichten" rechtfertigend sogar bei Augustinus Anleihe, denn "eine Lüge ist – sinngemäß – in Ordnung, wenn sie sich situativ ergibt und niemanden hintergeht". Und so zündet der Ex-"Feuerabend"-Emil mit seinem Alter Ego gut eineinhalb Stunden lang ein wahres Feuerwerk an blitzgescheitem Wortwitz, brillanter Plauderkunst und großartigen Aperçus. Ach so: Die "einzige Lügengeschichte des Abends", so beteuert er, sei in der Tat die Verletzung des Fingers beim Käsereiben, weil er, nebenher schwatzend, plötzlich ein Loch im Emmentaler erwischt habe und deshalb nun den Fingerling brauche…

Das begeisterte Nagolder Publikum ließ den Erzkomödianten nur mit einer Zugabe gehen – und der plauschte beim Signieren noch eine ganze Weile weiter. Unbestreitbar ein 5-Sterne-Programm, das die Nagolder zu Beifallsstürmen hinriss.