Lange Gesichter machen nicht nur manche Händler, sondern auch Gastronomen in der Bahnhofstraße. Oft bleiben – wie hier auf dem Gerichtsplatz – Stühle und Bänke leer. Foto: Buckenmaier

Immer mehr Händler verlassen Bahnhofstraße und Traube-Center. Macht Nagold zu wenig?

Nagold - In der besten Lage Nagolds pulsiert das Leben, während nur eine Straße weiter buchstäblich die Fassaden bröckeln: Immer mehr Unternehmer kehren der Bahnhofstraße den Rücken.

"Liebe Kunden, ab 1. Juni schließen wir unsere Filiale." Wieder hat ein Geschäft in der Bahnhofstraße aufgegeben. Beinahe grotesk fröhlich steht unmittelbar neben dem Plakat an der Tür von "Lorette’s Nudelparadies" eine Sonnenblume im Schaufenster. Neben einigen leeren Regalen und Werkzeugen ein letztes Überbleibsel des Geschäfts. Bald wird auch dort das Werbeplakat einer Immobilienfirma, die die Fläche verkaufen oder vermieten möchte, der einzige Farbtupfer in einem ansonsten toten Raum sein. Wieder einmal.

Der Einzelhandel in der Bahnhofstraße und im Traube-Center läuft seit Jahren nicht mehr. Das Geschehen verlagert sich zusehends in Richtung Marktstraße und Freudenstädter Straße. "Hoch" verirrt sich kaum noch jemand, die Laufkundschaft bleibt aus. Das bekommen natürlich in erster Linie die Menschen zu spüren, die in den Geschäften arbeiten oder sie gar selbst führen.

Im SCM-Shop x-Buch, wo ausschließlich christliche Medien vertrieben werden, bildet sich an der Kasse gerade eine kleine Schlange. Dass das keinesfalls Dauerzustand ist, macht Filialleiterin Andrea Müller deutlich. "Es könnte besser sein", meint sie achselzuckend. "Es ist hier keine so gute Lage. Wir sind ziemlich isoliert." Besonders die Sorge um die Zukunft treibt Müller um. Denn in der "Nachbarschaft" stehen Veränderungen an: Ilona Köhler-Kailer, Inhaberin der Second-Hand-Boutique habit, geht in den Ruhestand, der Laden schließt. "Wenn sie weggeht, bin ich gespannt, wie es weitergeht", sagt Müller.

Die Second-Hand-Boutique macht Ende Juli zu. "Die Chefin ist 72 Jahre alt – irgendwann muss Schluss sein", erklärt eine Mitarbeiterin von habit. Zu wenig Kundschaft sei kein Grund gewesen, den Laden dicht zu machen. "Wir können uns auf keinen Fall beschweren", bekräftigt sie. Auch wenn im Gespräch deutlich wird: Die Mitarbeiterin befürchtet, dass die Gegend um das Traube-Center sich zum toten Gebiet entwickelt. Nach der Schließung wird die Ladenfläche zum Verkauf stehen. "Es wäre schön, wenn wieder was käme. Aber ob das klappt, kann man nicht sagen."

"Die Stadt legt einem permanent Steine in den Weg"

Lorette’s Nudelparadies hat erst Anfang des Monats die Segel gestrichen. Seit Juni ist die Filiale geschlossen. Acht Jahre lang betrieb Jessica Krüger, die Tochter der Gründerin des Nudelladens, ihren Shop gegenüber vom Traube-Center. Und war Mitglied im Gewerbeverein. Genützt habe ihr das wenig. "Die schauen überhaupt nicht nach uns", ärgert sie sich. "Für was ist man denn Mitglied? Da kann man auch gleich sein Geld aus dem Fenster rauswerfen." Die Inhaberin des Styling Ateliers sei auch wieder ausgetreten, erzählt sie.

In den vergangenen Jahren sei das Geschäft immer schlechter geworden. Auch Unterstützung der Stadt habe es nie gegeben. "Es steht wahnsinnig viel leer hier. Aber die machen nichts mehr." Die junge Frau redet sich richtig in Rage. "Das Bahnhofstraßenfest wurde abgeschafft, der Nagolder Gutschein lohnt sich nicht mehr für kleinere Läden – es kommt gar nichts. Die Stadt legt einem permanent Steine in den Weg", schimpft sie. So habe Krüger mehrmals nach einem Stand auf dem Wochenmarkt gefragt: Mit der Begründung, es werden schon Nudeln verkauft, wurde ihr Anliegen abgelehnt. "Dabei gibt es für Blumen oder Obst auch mehrere Stände", beklagt sie. "Und auf dem Weihnachtsmarkt habe ich immer nur sonntags einen Stand bekommen. So viele andere kriegen an allen drei Tagen einen." Nagold schaue nur nach den großen Läden, ist die Geschäftsinhaberin überzeugt. "Uns Kleine lässt die Stadt hängen". "Lorette’s Nudelparadies" hat eine weitere Filiale in Horb-Talheim. Dort sei die Wertschätzung eine andere, betont Krüger. "Wenn die Stadt kein bisschen unterstützt, muss ich ihr auch nicht hinterherlaufen."

"Die Bahnhofstraße ist keine Eins-A-Lage mehr, das ist klar", gibt der Vorsitzende des Gewerbevereins, Ralf Benz, zu. Der Verein könne dafür aber wenig. "Das ist ja kein neues Thema – die Straße hat sich mit den Jahren anders entwickelt", meint er. So sei sie vor allem zur Gastronomie-Meile geworden. Bei Veranstaltungen des Gewerbevereins seien die Mitglieder der Bahnhofstraße und des Traube-Centers genauso mit aufgenommen wie alle anderen, betont der Vorsitzende. "Aber wenn die Kunden die Straße nicht hochlaufen, ist das halt so." Man könne die Leute schließlich nicht zwingen. "Uns sind die Hände gebunden", bedauert Benz. "Wir tun alles für unsere Mitglieder, aber wir können nicht einzelne Straßen unterstützen."

Mit dem Vorwurf, die Stadt Nagold würde dem Einzelhandel in der Bahnhofstraße Steine in den Weg legen, kann Carmen Hensler, Wirtschaftsbeauftragte der Stadt, nichts anfangen. "Die Bahnhofstraße ist nach wie vor wichtig als Verbindung zwischen Gerichtsplatz und Vorstadtplatz", sagt sie. "Ich sehe nicht, was nicht gemacht wird." Gerade durch den großen Friseursalon "Uschi" werde das ganze Gebiet wieder aufgewertet. Und soll so neue Händler anziehen. In der Bahnhofstraße gebe es aber eher kleinere Ladenflächen, was für viele nicht attraktiv sei, erklärt Hensler "Das ist aber ein Thema des Marktumfelds. Wir sind völlig offen." Das Gebiet um die Bahnhofstraße ist sogar zum Sanierungsgebiet erklärt worden, weiß die Wirtschaftsbeautragte. Gemeinsam mit den Eigentümern sollen beispielsweise die Fassaden aufpoliert oder die Häuser energetisch neu gestaltet werden.

"Es ist ganz und gar kein totes Gebiet", verteidigt sie die Ansichten der Stadt. "Wir stehen immer zur Verfügung,wenn es Anliegen gibt, aber von den Läden muss auch was kommen."