Bestens vorbereitet präsentierte das Nagolder Kammerorchester Werke der Klassik, der Romantik aber auch Modernes. Fotos: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Das Nagolder Kammerorchester spielt sein beeindruckendes Jahreskonzert diesmal in der Stadtkirche

Von Heiko Hofmann

Nagold. Sie sind der Stolz der Musikschule, das musikalische Aushängeschild einer ganzen Stadt. Und sie wurden den hohen Erwartungen gerecht. Die Musiker des Nagolder Kammerorchesters musizierten in diesem Jahr auf einem bis dato wohl noch nie erreichten Niveau.

Vergleiche sind mühsam, besonders in der Musik. Die zahlreichen Besucher in der sehr gut gefüllten Nagolder Stadtkirche erlebten jedenfalls einen Konzertabend voller Emotionen, bei bester Akustik, und mit konzentriert aufspielenden Musikern. Nagolds Stadtmusikdirektor Florian Hummel, unter dessen Leitung sich das aus 77 Musikern bestehende Orchester so fulminant entwickelt hat, dirigierte das homogen musizierende Orchester souverän, motivierend und stets mit dieser fast schön väterlichen Ausstrahlung stolz zu sein, das Oberhaupt dieser großen Orchesterfamilie sein zu dürfen.

Musiziert wurde in der Stadtkirche. Das war der einzige Wermutstropfen des Abends. Eigentlich wollte man lieber einen lauen Sommerabend auf der Burgruine Hohennagold gestalten. Doch sei’s drum. Schon mit den ersten Tönen war jedem Besucher klar: Die Akustik in der Stadtkirche ist um ein Vielfaches besser als im Burghof. Und als dann wenige Minuten nach Konzertbeginn die ersten Regentropfen auf das Sadtkirchendach prasselten, blieb nur ein Fazit: Alles richtig gemacht!

Der Konzertabend begann ganz kirchengerecht: Aus der Reformations-Sinfonie von Felix Mendelssohn erklangen Variationen rund um "Ein feste Burg ist unser Gott". Ein Auftakt nach Maß – passend zur Burg aber auch zur Stadtkirche als Aufführungsort.

Als "hoch motiviert" bezeichnete Hummel seine Orchestermitglieder. Die stellten sich der anspruchsvollen Ouvertüre zu Mozarts Oper "Titus". Und siehe da: Motivation ist hörbar. Mit sommerlicher Leichtigkeit spielte das Orchester das komplexe Stück. Ein erstes Ausrufezeichen war gesetzt.

Das zweite folgte sogleich mit dem Solisten Christoph Kieser. Der Musikschuldozent ist ein treuer Solist des Kammerorchesters. Mit der Piccolo-Flöte musizierte er von Teilen des Orchesters begleitet das Allegro des Konzerts in a-moll von Antonio Vivaldi. In unvorstellbarer Geschwindigkeit, höchst virtuos und doch voller Gefühl konzertierte Kieser auf höchstem Niveau. Mit etwas Fantasie erinnerte das Gehörte an das Flattern und Zwitschern ganzer Vögelschwärme. Da hätten sich Amsel, Drossel, Fink und Star auf dem Schlossberg gehörig ins Zeug legen müssen, um mit Kiesers Flötenspiel konkurrieren zu können.

Auch weitere Solisten beeindruckten. Allen voran die Schülerin Felicitas Ammer mit ihrer Violine. Jules Massenets herrliche, weltberühmte "Meditation" interpretierte sie voller Reife. Auch die schwierigen leisen Töne spielte sie sicher, voller Gefühl, bis nur noch der Hauch eines zarten Tones durch die Luft schwirrte. Es war tief beeindruckend, wie sich Felicitas Ammer der schwierigen Aufgabe stellte, ein Stück zu spielen, das schon so viele Menschen in ganz hervorragenden Aufnahmen gehört haben. Sich mit Profis messen zu lassen, da gehört in dem jungen Alter nicht nur Können sondern auch Ausstrahlung und Selbstbewusstsein dazu.

Der dritte Solist war Christoph Mild-Ruf. Und er bekam unüblicherweise schon beim Aufstellen seines exotischen Instruments Szenenapplaus: Der treue und exzellente Musiker des Kammerorchesters spielte gekonnt das Alphorn. Das Presto aus Leopold Mozarts Konzert für Alphorn und Streicher hatte man erarbeitet. Etwas alpenländische Stimmung kam da in der Stadtkirche auf. Warm und wohlig breiteten sich die Alphornklänge aus.

Wie immer hatte das Nagolder Kammerorchester auch keine Berührungsängste vor modernen Stücken, Filmmusik oder auch Musical-Melodien. Bertold Hummel, der Vater des Nagolder Stadtmusikdirektors, hat der Nachwelt höchst interessante Kompositionen hinterlassen. Kraftvoll und dynamisch musizierte das Orchester das kurze "Vivace" aus Hummels Komposition Epigramme. Als gut eingespielter Klangkörper präsentierte sich das Orchester auch bei Tschaikowskys Sinfonie Nr. 5, aus der das Andante maestoso und Allegro vivace gespielt wurden – zum Schluss zu herrlich treibend, bis zum finalen Akkord, der sekundenlang ausklingen durfte.

Träumerisch und dem Süden ganz nah: Ein schönes Erlebnis ist es, dem schwelgerischen "Love-Theme" aus dem Film "Der Pate" zuzuhören. Mit Lust und Hingabe spielte das Orchester die berühmte Filmmusik von Nino Rota. Und alle Instrumentalisten waren auch bei dem Allegro con fuoco aus Dvoraks Sinfonie "Aus der Neuen Welt" gefordert. Mal kraftvoll laut, dann zurückhaltend leise – Dvoraks Neue Welt forderte den Musikern viele Facetten ab. Für die Instrumentalisten mag das harte Arbeit sein, für das Publikum aber ist es schlicht ein Genuss.

Für Orchestermusik in fast allen Facetten sorgte auch das Hauptwerk des Abends, die Melodien aus Andrew Lloyd Webbers "Phantom der Oper". Mit imposantem Schlagwerk, tollen Bläsern und einem spektakulären Volumen, machte das fast 80-köpfige Orchester deutlich, dass man Musik auch fühlen kann – zum Beispiel auf der mitvibrierenden Empore. Die Musical-Melodien und ihre emotionalen Interpretationen waren sicher für viele Besucher der Höhepunkt des Konzerts.

Tosender Applaus, zutiefst dankbare Konzertbesucher, das war der Lohn eines beeindruckenden Konzertabends – Lohn für die konsequent geleistete Arbeit in dem Orchester, das bekanntlich eine Kooperation von Musikschule und Otto-Hahn-Gymnasium ist. Und natürlich, es wurden Zugaben gespielt, zuletzt "Over the Rainbow" aus dem Musical "Der Zauberer von Oz". Eine Märchen-Melodie zum Schluss, wie passend: Schließlich hatte es durchaus märchenhafte Züge, dieses musikalische Miteinander der Generationen auf solch einem hohen Niveau verfolgen zu dürfen.