Trainer Klaus Thillmann (hinten) zeigt unserm Autor, Alexander Kauffmann, die richtige Ausgangsposition.           Fotos: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Mittendrin: Ein Handball-Torwart muss für seine Position geboren sein – und braucht viel Mut

Von Alexander Kauffmann

Die Mannschaft hängt durch und alles geht schief. Aber die Feldspieler wissen: "Auf unsern Torwart ist Verlass." Er wehrt Bälle ab und hebt die Moral, er ist die Versicherung. Der Torwart gehört eben schon zu einem besonderen Menschenschlag.

Nagold. Wer beim Handball ins Tor steht, muss dafür geboren sein. Außerdem: "Mumm sollte man haben, dass man dem Ball nicht ausweicht", betont Torwart-Experte Klaus. Er sagt das nicht umsonst: Der Ball gleicht nämlich eher einem Geschoss. Manche behaupten deshalb, dass der Torwart (in positivem Sinne) "einen an der Waffel" haben müssen.

Vor dem Training, schwant mir Böses: Wird danach die Brille noch heil sein? Was passiert, wenn jemand mit dem Ball meine schönste Stelle trifft? Mit wie vielen blauen Flecken gehe ich nach Hause?

Andererseits: "Der Torwart entscheidet das Spiel, er darf keine Angst haben, er sieht das Spiel von hinten, er muss werfen, sehen, werfen, sich entsprechend bewegen, mit der Abwehr zusammenspielen", zählt Klaus Thillmann auf. Er ist Torwarttrainer bei der Herrenmannschaft des VfL Nagold, ein Experte auf diesem Gebiet.

Das Training beginnt klassisch mit Aufwärmübungen. Die haben es aber in sich. Was ich zum Beispiel machen muss: Mit dem Bauch auf eine Matte liegen. Vor mir ist ein (gefühlt) tonnenschwerer Medizinball. Ich soll ihn mit ausgestreckten Armen liegend hochheben, gegen die Wand werfen, danach fangen und wieder von vorne. Ich gebe alles, kämpfe wie ein Löwe – und kriege den Oberkörper mit dem Medizinball nicht einmal ansatzweise hoch. Kommentar des Trainers: "Ich wusste, dass Du das nicht schaffst." Er sagt: "Jetzt probieren wir es mit einem leichteren Ball." Und einige Minuten später beendet er das Drama: "Jetzt die nächste Übung."

Ich solle mal schauen, was die Jungs alles machen, meint Klaus. In ihren Händen erscheint der Medizinball leicht wie eine Feder. Sie haben ja auch mehr Rückenmuskulatur. Bei mir ist diese entweder verkümmert, nicht vorhanden oder auf dem Niveau eines Grundschülers. Glück für mich: Jede Übung findet mal ein Ende. Doch es geht weiter.

"Man braucht sicher Talent", sagt Klaus. Ich würde nach seiner Berechnung zwei bis drei Jahre brauchen, bis ich so weit wäre, um ins Tor zu stehen: "Du bist mit Sicherheit noch nicht für das Tor geeignet, weil Du erst vor einer halben Stunde angefangen hast."

Ich will es trotzdem wissen. Das Training im Tor hat drei Eskalationsstufen. Bei der ersten wirft der Trainer Bierdeckel wie Frisbeescheiben, die ich halten muss. Bei der zweiten schießt er Tennisbälle in meine Richtung. Richtig spannend wird aber die dritte.

Die Spieler stehen halbrund um das Tor und werfen links und rechts jeweils den Ball Richtung Tor. Mir ist nicht entgangen, dass alle Torwärter einen Tiefenschutz tragen – alle, außer ich. Ob da etwas passieren kann, habe ich von einem wissen wollen. "Ja, ist schon besser mit Tiefschutz", antwortet er, während der Trainer zu mir grinst.

Es muss schon ein Anflug von Todesmut sein, der einen überkommen muss, ohne Tiefenschutz ins Tor zu stehen, zumal die Werfer den Ball auf 80 bis 100 Kilometer pro Stunde bringen können. Ich riskiere es, stehe in der Mitte des drei Meter breiten Tores. Angestarrt von erfahrenen Handballern. Weil ich Anfänger bin, erklärt der Trainer sicherheitshalber nochmal, wie diese Übung, genannt "Einwerfen", funktioniert. Ich sage "OK" und los geht’s.

Ich gehe in die Ausgangsposition, halte die Hände über den Kopf, versuche, dem Ball mit den Augen zu folgen. Schwierig: Man rennt von der linken Seite zur rechten und wieder zurück. Einige Bälle fange ich sogar ab. Ich finde, das ist für den Anfang gar nicht so schlecht.

Was meint der Experte? "Deine Schritte sind zu groß", so sein Urteil. Sie müssten kleiner werden. Das machte mich flexibler. Auch die Koordination zwischen Händen, Füßen und Augen sei noch ausbaufähig. "Die Bierdeckel und die Tennisbälle haben aber schon gut funktioniert", lobt er. Übrigens habe ich mich vor dem heranfliegenden Ball kein einziges Mal versteckt.

Das Geheimnis ist: Hat man einmal einen Ball abgewehrt, will man das beim nächsten gleich wieder schaffen. Für mich ist das der Ansporn, noch mehr Bälle zu halten. Klaus sagt es so: "Der Torwart motiviert sich selbst." Nicht umsonst merkt er an, dass Torwarte einen "ganz eigenen Charakter" haben. Es seien Individualisten, weil sie oft alleine spielten. Mitspieler hat der Torwart nicht.

"Ein guter Torwart kann das Spiel gewinnen", stellt Robil Bakircioglu, Trainer der gesamten Mannschaft, klar. "Er ist unsere Versicherung", sagt er. Wenn weiter vorne nämlich etwas schief geht, ist die Mannschaft auf einen guten Torwart angewiesen.

Aber klar ist: Ein Torwart muss ein bisschen Abenteurer, Kraftprotz, Turner und Ausdauersportler sein. Bis ich so weit bin – das dauert noch.

Beim VfL Nagold gibt es neben diversen Jugendteams eine Herren- und eine Damenmannschaft. Die Männer trainieren dienstags und donnerstags, die Frauen montags und mittwochs, jeweils von 20 bis 22 Uhr. Interessierte können für ein unverbindliches Schnuppertraining vorbeischauen. Weitere Informationen gibt es per E-Mail unter info@vflnagold-handball.de und über die Webseite der Handballer www.vflnagold-handball.de.