"Die Blumen sind langsam verblasst": Klaus Drissner, Vorsitzender des Nagolder Cityvereins, vermisst den Schwung aus der Landesgartenschau. Foto: Buckenmaier

Vorsitzender des Nagolder Cityvereins über Strukturwandel, Rollen rückwärts und Einigkeit der Händler.

Nagold - Nagold gilt deutschlandweit als Modellstadt. Aber auch hier spürt man die Auswirkungen des Online-Handels, die Umsätze bröckeln. Klaus Drissner, Vorsitzender des Nagolder Cityvereins, vermisst im Interview den Schwung aus der Landesgartenschau. Er ist angesichts des Wandels im Einzelhandel aber auch bereit, mit alten Tabus zu brechen.

H & M drängt es nach Nagold, gleichzeitig machen kleine Läden in der Innenstadt zu, weil bei ihnen die Frequenz fehlt. Wie passt das zusammen?

Strukturwandel ist immer. Man muss einfach sehen, dass die Margen im Handel sehr gering sind. Wenn man nicht einen bestimmten Mindestumsatz generiert, dann lohnt sich der Betrieb eines kleinen Ladens nicht.

Also haben kleine Läden, die doch den Reiz einer Innenstadt ausmachen, künftig kaum Überlebenschancen?

Man sieht ja, dass die kleinen Läden meistens Telefonanbieter sind. Aber ja, es ist schade. Die Vielfalt geht sicherlich ein bisschen verloren. Zum Beispiel Boutiquen, wie man sie früher kannte.

Nagold sucht sein Heil stattdessen in größeren Flächen. H & M mit 1700 Quadratmeter, Bauhaus will auf 10 000 Quadratmeter vergrößern und Digel sein Outlet um 800 Quadratmeter. Sind immer größere Flächen das allein selig machende Mittel?

Kommt darauf an, aus welcher Sicht man es betrachtet.

Aus der Sicht des innerstädtischen Einzelhandels.

Ein schwierige Frage insofern, weil ein gewisser Mix notwendig ist. Anders ausgedrückt: Für ein gewisses Grundrauschen braucht man größere Anbieter – idealerweise in der Innenstadt oder möglichst innenstadtnah. Problematisch wird es, wenn diese großen Angebotsflächen alles abdecken. Wenn sie die Ergänzung sind zur Vielfalt des Innenstadtangebotes, dann können sie auch eine Bereicherung darstellen.

Wäre eine Erweiterung des Digel-Outlets eine solche Bereicherung oder eher eine Gefahr?

Kommt darauf an, was dort umgesetzt wird. Das Herrenangebot in Nagold spielt sich allein bei Digel ab. Er hat ja auch ein hervorragendes Produkt. Innerstädtisch gibt es für Digel keinen Wettbewerber mehr. Es ist immer ein schmaler Grat, wenn auf der grünen Wiese zuviel abgedeckt wird. Ich könnte mir – aber das muss Digel entscheiden – dort gut eine gläserne Werkstatt vorstellen, die die Menschen nach Nagold bringt. Das Gelände quasi mit dem Produkt des Unternehmens zu füllen und keine Vielfalt zu schaffen, die die anderen Bereiche in der Innenstadt tangiert. Das wäre eine Win-win-Situation, von der beide Seiten profitieren. Wenn dort draußen aber immer mehr Bereiche abgedeckt werden, die in der Innenstadt originär für Umsatz sorgen, dann kann es natürlich zum Problem werden. Wo genau die Schwelle ist, wo es befruchtend wirkt oder wo es schädlich ist, darüber kann man immer streiten.

Es gibt Kollegen von Ihnen, die Umsatzeinbußen und eine schwächelnde Frequenz in der Innenstadt monieren. Ist das, wie es Kommunalpolitiker ketzerisch nennen, Jammern auf hohem Niveau?

Man muss immer sehen, wo die Entwicklung hingeht. Status quo war gestern. Vor allem in den Randzonen der Öffnungszeiten bröckelt der Umsatz.

Also früh am Morgen und am Abend...

Ja, es ist aber auch von den Jahreszeiten abhängig. In der dunklen Jahreszeit könnte man theoretisch ab 17, 18 Uhr den Laden dicht machen. Das Einkaufsverhalten hat sich einfach geändert. Das Sicherheitsverhalten kann hier eine Rolle spielen, vielleicht auch die Bequemlichkeit, dass man heute von zuhause alles anschauen und kaufen kann. Unsere Aufgabe ist es, intern in den Gremien darüber zu diskutieren. Die einen sagen, man muss wieder mehr Autos in die Stadt lassen...

Statt Poller also Parkplätze...

Die Diskussionen müssen immer ein gemeinsames Ziel verfolgen. Zu hirnen, welche Lösung für die Innenstadt die bessere ist. Das steht immer als Ziel ganz oben. Da treffen wir uns immer wieder, wenn wir uns auch in den Maßnahmen nicht einig sind.

Wäre die Aufgabe der Verkehrsberuhigung nicht ein Salto rückwärts?

Ja, das wäre es. Ich bin kein Freund, dem Auto wieder Priorität in der Innenstadt einzuräumen, weil es keine Antwort für die Zukunft darstellt. Ich sage mal so: Bequemer als online geht nicht. Also muss es eine Alternative geben, die mit Dienstleistung, mit dem Flair einer Innenstadt, mit der Aufenthaltsqualität, mit dem Treffen der Menschen zu tun hat. Dass Fußgängerzonen in anderen Städten sterben, hängt damit zusammen, dass diese Fußgängerzonen nicht liebenswert, nicht schön sind.

Aber Nagold hat Flair, hat Aufenthaltsqualität, hat schöne Geschäfte – und trotzdem bröckeln die Umsätze.

Ich glaube, dass wir daran weiterarbeiten müssen, was bis zur Landesgartenschau – zum Beispiel mit dem Swing – geschaffen worden ist. Die Motive auf den Straßen, die Blumen, die aufgemalt wurden, verblassen so langsam. Die Innenstadtmöblierung ist heute oft mehr eine Behinderung der Passanten als eine Bereicherung.

Der Schwung aus der Landesgartenschau ist verloren gegangen?

Wir sind uns einig, dass wir neuen Schwung aufnehmen müssen. Es gibt immer einen Nachlauf, aufgrund dessen man sich zufrieden zurücklehnt. Aber da muss man wieder aus der Komfortzone raus. An diesem Punkt sind wir angelangt.

Wie macht man eine Stadt, die sich ohnedies im Ruf einer Modellstadt sonnt, noch lebendiger?

Wir diskutieren im Moment über viele Dinge. Ob dies die Forstkugel ist oder die Pollerlösung in der Innenstadt. Die Professoren, die sich mit diesen Themen beschäftigen, setzen sehr stark auf Inszenierung.

Also noch mehr Events?

Es geht nicht nur um Events. Ich könnte mir gut vorstellen, dass kreative Leute sich die Forstkugel, den Platanenkubus und das Viadukt – alles Nagolder Alleinstellungsmerkmale – genauer anschauen und überlegen, was man daraus machen kann. Bei Tag und bei Nacht. In der Innenstadt ist es ähnlich. Es gab mal eine fantastische Idee mit den Stadtsofas. Die haben die Aufenthaltsqualität deutlich erhöht. Das ist aber jetzt alles eine Weile her. Man muss analysieren, wie wir diese Aufenthaltsqualität verbessern können. Hier, direkt vor unserem Haus am Vorstadtplatz – was hier Menschen auf dieser Bank sitzen! Wir sollten noch viel mehr solcher Sitzmöglichkeiten schaffen. Es gab wunderbare Zitate bei der Landesgartenschau, die über die Straßen gespannt waren. Es gab Wege, die bemalt wurden. Man muss kreativen Leute die Aufgabe stellen: Schafft noch mehr Lebensraum in der Stadt, noch mehr Flair, beschäftigt Euch mit diesem Thema. Da ist noch viel Reserve. Und dies ist aus meiner Sicht auch der bessere Weg, als mit den Autos eine Rolle rückwärts zu machen. Kluge Köpfe einzubinden wäre zudem sinnvoller als manches teure Gutachten.

Die Rolle rückwärts haben wir teilweise bei den Öffnungszeiten schon. Kollegen unterhöhlen das Citycommitment und öffnen, wie’s ihnen passt.

Der Cityverein hat die letzten Wochen in den Nagolder Geschäften die Öffnungszeiten abgefragt, die ja Teil des Citycommitments sind. Wenn es so ist, dass Frequenzen sich verschieben, kann man sicherlich auch darüber reden. Es macht betriebswirtschaftlich keinen Sinn, wenn man tatsächlich feststellt, dass in der dunklen Jahreszeit ab 18 Uhr kein Mensch mehr unterwegs ist und man lässt bis 20 Uhr offen. Vor allem, wenn es nur noch zwei, drei Geschäfte sind, die sich an die gemeinsamen Öffnungszeiten halten. Man braucht einen gewissen Mindestkonsens, der besagt: Wir machen uns gemeinsam stark zu gewissen Zeiten. Wir haben hier in Nagold nicht den Platzhirsch mit mehreren Tausend Quadratmetern Verkaufsfläche, der alles dominiert. Die Stärke von Nagold sind mehrere starke Unternehmen, bei uns wird die Vielfalt angesteuert. Deswegen müssen in Nagold jene Leute, die Verantwortung tragen, sich einig sein und nach außen signalisieren: Wir stehen für gemeinsame berechenbare Öffnungszeiten.

Gibt’s denn diese Einigkeit?

Wir arbeiten dran und ich bin mir sicher, dass wir es auch schaffen werden, weil alle Kräfte in dieser Stadt daran mitwirken. Es gibt diese Einigkeit ja seit Jahren. Dass sie im Moment von dem einen oder anderen hinterfragt wird, hat auch mit dem Strukturwandel zu tun.