Liefern sich ein heißes Duell: Die CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf (links) und Thomas Strobl. Bis zum 2. Dezember können sich die Parteimitglieder noch zwischen den beiden entscheiden. Foto: dpa

Noch ist nicht Schluss: Ochsentour geht weiter. Auftritte in der "Herzkammer des deutschen Pietismus".

Nagold/Appenweier - Es liegt eine seltsam gespannte Atmosphäre über dem evangelischen Gemeindehaus Zellerstift in Nagold (Kreis Calw) an diesem Samstag. Roland Wahl, sonst zuständig für die politische Kommunikation in der Landesgeschäftsstelle der CDU Baden-Württemberg, saust unablässig durch großen Saal und Foyer. Ist überall zugleich.

Eigentlich findet hier den ganzen Tag über "nur" die Landestagung des EAK, des Evangelischen Arbeitskreises der CDU, statt. In den Vorjahren stets eine reichlich "verkopfte" Veranstaltung mit Fachvorträgen renommierter Referenten. "Natur und Umwelt aus evangelischer Sicht" hieß das Thema 2013. Damals in Heidelberg waren als Referenten Karsten Lehmkühler, Professor für theologische Ethik in Straßburg, und Hermann H. Hahn, stellvertretende Vorsitzender des Umweltbeirats der evangelischen Landeskirche in Baden, geladen.

Doch in diesem Jahr ist alles anders. Thomas Strobl (Heilbronn) und Guido Wolf (Tuttlingen) sind der Einladung der EAK-Landesvorsitzenden Sabine Kurtz (MdL) nach Nagold gefolgt. Stehen jeweils mit Grußworten im Programm der eigentlich "Jugend und Glaube" überschriebenen Veranstaltung. Strobl und Wolf touren im "Wahlkampfmodus" durchs Land, wollen jeweils den derzeit noch laufenden Mitgliederentscheid zur CDU-Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2016 für sich entscheiden. Eine echte Wahl für die knapp 70.000 CDU-Mitglieder im Südwesten. Basis-Demokratie für die Kandidaten-Kür. Für Strobl und Wolf eine Ochsentour.

Mit Schäuble und der Familie wird der Abend in Appenweier für Strobl zum Heimspiel

Sechs Regionalkonferenzen stecken dem Bewerber-Duo in den Knochen. Wer vorne liegt in der Gunst der Partei-Basis, da will sich keiner der CDU-Mitglieder im Nagolder Zellerstift festlegen.

Am Vortag nutzten Strobl und Wolf noch einmal gekonnt die Bühne, um die Basis für sich zu gewinnen. Der Ort der Veranstaltung, das badische Appenweier im Ortenaukreis, liegt günstig – vor allem für Strobl. Seine Frau Christine kommt aus der Region. Und es ist der Wahlkreis von Wolfgang Schäuble (CDU), Bundesfinanzminister und Strobls Schwiegervater. Christine Strobl begleitet ihren Mann an diesem Abend. Und auch Schäuble kommt. Er sagt nicht öffentlich, wen er im Zweikampf Strobl-Wolf unterstützt. Aber allein sein Erscheinen ist ein Signal: Mit Schäuble und der Familie wird der Abend für Strobl zum Heimspiel.

Doch den meisten Applaus bekommt Wolf. Nachdem er die erste Regionalkonferenz Mitte November verpatzt hat, ist er nun in seinem Element. Und spricht vor allem die Herzen des Publikums an, was Strobl in seinen Reden nur mühsam gelingt.

Zurück nach Nagold, zur Landestagung des EAK. "Ein Drittel mehr als in den Vorjahren" seien in diesem Jahr gekommen, schätzt Kurt Reich, der EAK-Vorsitzende im Kreis Calw. Es war seine Idee, die Veranstaltung zu "entkopfen", näher zu den Menschen zu holen. Und nach Nagold. In "die Herzkammer des deutschen Pietismus", wie Anfang des Jahres "Die Zeit" titelte. Als der Nagolder Realschullehrer Gabriel Stängle der grün-roten Landesregierung mit seiner Petition "Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens" das Fürchten lehrte.

Mittlerweile ist der Bildungsplan 2015 von der Landesregierung zurückgezogen worden und wartet irgendwo in die Gremien auf seine Wiedergeburt. Stängle aber wird bei der EAK vom Podium herab wie ein Popstar gefeiert, hat er der CDU-Opposition doch eine schmerzhaft offene Flanke der Regierung präsentiert. Die ansonsten mit Winfried Kretschmann (Grüne) schon "beängstigende Sympathiewerte" bei der Bevölkerung genießt, wie ein EAKler aus dem "Spiegel" zitiert.

Wolf redet sich mit seiner Forderung nach einem besonderen Schutz der Ehe in Fahrt

Für Wolf, der am Vormittag bei der EAK sprechen darf, eine Steilvorlage. Dem Landtagspräsidenten sind die Strapazen der parteiinternen Wahltour durchaus anzumerken. Daran ändert auch die schwarze markante Hornbrille nichts. Doch dann redet er sich mit seiner Forderung nach einem besonderen Schutz der Ehe von Mann und Frau langsam in Fahrt. Sucht den Applaus der rund 120 Parteifreunde im Saal. Ein Kampf um jede Stimme. Beschwört eine Sehnsucht nach den traditionellen, den christlichen Werten. Was den gesuchten Applaus bringt.

Es ist das, was die Pietisten im Saal hören wollen. Von einem der schwäbischen Katholiken. "Wir werden uns dem Zeitgeist nicht beugen, nur um modern zu erscheinen." Jetzt wird der Applaus richtig laut. Fast tosend. Und das ganz ohne Plakate und Ansteckbuttons wie bei den Regionalkonferenzen.

Dann muss der gehetzte Wolf weiter. Nach Appenweier. Bezirksparteitag der CDU in Südbaden. Seinen Kontrahenten bekommt er in Nagold nicht zu Gesicht. Strobl gehört der Nachmittag. Da sind es über 150 Zuhörer. Auch dem Heilbronner merkt man die Erschöpfung an. Nicht nur, als er den Erhalt des freien Sonntags beschwört. Den er als Wahlkämpfer ein wenig auch für sich reklamieren möchte. Aber schon lange nicht mehr hatte.

Was auffällt: Als eigentlicher Bundespolitiker lässt der CDU-Landesvorsitzende das Thema Landesbildungsplan links liegen. Nutzt die offene Flanke keine Sekunde. Spricht stattdessen über Sterbehilfe. Und Abtreibung. Obwohl ihm klar sein dürfte, dass er sich damit auf auf schwierigem Terrain bewegt. Denn Strobl verteidigt hier das Recht auf Abtreibung. Zwar nur zwischen den Zeilen, wenn er sagt, es müsse eine echte Wahl für die werdenden Mütter auch in schwierigen Lebenslagen geben – zwischen Abtreibung und dem Austragen des Kindes. Kein Applaus. Fast betretene Stille.

Dann verteidigt der evangelische Strobl auch noch das Adoptivrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften für den Fall, dass eine einseitige Adoption zu einer doppelten wird – wie es das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber gefordert hat. Strobl probiert den Spagat: Verteidigung traditioneller Werte mit Ehe und Familie als höchstem Gut. Aber wenn man das Wohl des Kindes wolle, sei das Einstehenwollen einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft als Eltern für das Kind vom Staat unbedingt zu unterstützen.

Strobl hat zweifellos Courage, dies an diesem Ort zu sagen. Er hätte es sich hier leichter machen können. Aber man ahnt, dass ihm seine Berater geraten haben, bei dieser Wahltour bei der eigenen Wahrhaftigkeit und Authentizität zu bleiben. Und nicht jeweils dem Publikum nach dem Mund zu reden.

Dann beim Thema Sterbehilfe ist Strobl ganz nah bei den Zuhörern in Nagold: "Niemand sollte durch die Hand eines anderen Menschen, sondern nur an der Hand eines anderen sterben", findet den bis dahin vermissten Applaus.

Als Strobl schließlich die Bühne verlässt, sieht sein sonst immer irgendwie streng kontrolliert wirkendes Gesicht noch ein bisschen erhohlungsbedürftiger aus. Einen Moment noch setzt er sich ins Auditorium, lauscht dem folgendem Grußwort des CVJM-Bundesvorsitzenden Karl-Heinz Stengel. Aber dann muss auch er los. Zum nächsten und übernächsten Termin auf seiner Ochsentour.