Nach dem Tod von Thomas Züfle: Polizisten tragen sich am Montag ins Kondolenzbuch ein Foto: Leif Piechowski

Er hatte eine Mission: Nach dem Polizeidebakel bei Stuttgart 21 sollte Thomas Züfle als neuer Präsident für Vertrauen sorgen. „Miteinander schwätza“ – so brachte er die Stuttgarter Polizei wieder auf Kurs. Ein tödlicher Unfall nimmt ihr nun den Steuermann.

Stuttgart - Er hatte eine Mission: Nach dem Polizeidebakel bei Stuttgart 21 sollte Thomas Züfle als neuer Präsident für Vertrauen sorgen. „Miteinander schwätza“ – so brachte er die Stuttgarter Polizei wieder auf Kurs. Ein tödlicher Unfall nimmt ihr nun den Steuermann.

„Einen schönen Sonntag noch. Und bis Montag dann“, hatte sich Thomas Züfle Samstagnacht abgemeldet, als die Demonstrationen Tausender Stuttgart-21-Gegner und Kritiker der türkischen Erdogan-Regierung in der Stadt abgewickelt waren. Am Montag um 8.30 Uhr sollte es um die Details der großen Polizeireform im Land gehen, die designierten Chefs der neuen regionalen Großpräsidien waren ins Stuttgarter Polizeipräsidium auf dem Pragsattel eingeladen.

Züfle starb noch am Unfallort

Doch dazu kam es nicht. Denn für Züfle, der im Juli 58 Jahre alt geworden wäre, gab es keinen Montag mehr. Ein Motorradausflug in den Schwarzwald endete am Sonntag kurz nach 17 Uhr tödlich. Auf der Heimfahrt nahm ihm ein Autofahrer auf der Kreisstraße zwischen Wildberg-Sulz (Kreis Calw) und Jettingen (Kreis Böblingen) die Vorfahrt. Züfle starb noch am Unfallort – genau 3,7 Kilometer von seiner Haustür entfernt.

Am Tag darauf ist im Hauptquartier auf dem Pragsattel die Betroffenheit mit Händen zu greifen. Für viele der älteren Mitarbeiter ist nicht nur ein Amtschef gestorben. „Der Tom ist tot“, heißt es ungläubig. Er galt als „einer von uns“: Züfle war ein Präsident, den so manche noch in den Siebzigern als Streifenkollege im Innenstadtreviers kannten. „Das Präsidium ist wie gelähmt“, heißt es im Personalrat. Man schätzte seine verlässliche, seine offene Art, seinen unaufgeregten, menschlichen Umgang. Sein Credo: „Man muss schwätza mit den Leuten.“

Kein Wunder, dass der Kumpeltyp, der eingefleischte VfB-Fan, der harte schwedische Metal-Musik schätzte und auch mit dem katholischen Stadtdekan öfters mal einen Kaffee trinken ging, sich in seiner Polizeilaufbahn immer wieder als Krisenmanager bewähren musste.

Züfle musste in Stuttgart Scherben kitten

Größte Herausforderung war die Übernahme des Chefpostens bei der Stuttgarter Polizei vor gut zwei Jahren, am 1. Juni 2011. Nach dem Debakel um den Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten am 30. September 2010, dem Schwarzen Donnerstag, lag das Ansehen in Trümmern.

Als Nachfolger von Siegfried Stumpf, der im April 2011 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Ruhestand gegangen war, musste Züfle Scherben kitten – und den 2500 Mitarbeitern den Glauben an ihre Stuttgarter Linie zurückgeben. Züfle setzte auf Kommunikation und Konsequenz, forderte ein „professionelles und besonnenes Vorgehen“. Er bestand die Bewährungsprobe, als im Februar 2012 der von Parkschützern besetzte Schlossgarten geräumt wurde.

Züfle hatte sich nicht lange auf seine neue Rolle vorbereiten können. Als Chef der Tübinger Polizei hatten ihn die Verantwortlichen des Innenministeriums ausgesucht und Ende Mai 2011 als Nachfolger Stumpfs präsentiert. Bei der Pressekonferenz erfuhr Züfle nebenbei, dass seine Stuttgarter Dienstzeit schon am nächsten Tag beginnen würde. „Das hat mich überrascht“, sagte er unverblümt. Alle lachten, alle Brisanz war mit einem Schlag verflogen.

2002 ging Züfle für neun Monate nach Afghanistan

1975 begann Züfle als Polizeiwachtmeister in der Stuttgarter Innenstadt, wechselte dann zur Kriminalpolizei über. Bis Ende 1999 führte er die neue Gemeinsame Ermittlungsgruppe Rauschgift von Zoll und Landeskriminalamt, „schwätzte mit den Leuten“, begründete gemeinsame Drogenkontrollen mit französischen Drogenfahndern.

2002 ging er für neun Monate nach Afghanistan, um in Kabul eine Polizei nach demokratischem Vorbild mit aufbauen zu helfen. Einen weiteren Brandherd musste er 2006 löschen. Als Leiter der Stuttgarter Kriminalinspektion für Tötungsdelikte war er bei der Fußball-WM in Stuttgart für die englischen Hooligans zuständig, die auf den Stufen des Königsbaus randaliert hatten. 500 Rowdys mussten festgenommen und zu einer Gefangenensammelstelle im Polizeipräsidium gebracht werden, die am Ende aus allen Nähten platzte.

Züfle hatte bewiesen: Er war in verschiedenen in Rollen als Krisenmanager geeignet. In seiner zweijährigen Amtszeit Züfles auf dem Pragsattel war wieder Ruhe bei der Stuttgarter Polizei eingekehrt. Dabei brodelt es dort längst wieder unter dem Deckel: Die Polizeireform des SPD-Innenministers Reinhold Gall trifft auch die Stuttgarter in ihre Grundfeste. Nicht nur die Landkreise, die ihre Polizeidirektionen verlieren und mit neuen fusionierten Regionalpräsidien vorlieb nehmen müssen.

Auf dem Motorrad war Züfle Lausbub geblieben

Die Kripo soll wieder neu zusammengewürfelt werden. Die Zahl der Inspektionen, in den 90er Jahren waren es noch acht, wurden zuletzt auf drei reduziert. Nach 20 Jahren sollen es wieder acht werden. Dabei war die Kripo erst vor drei Jahren grundlegend umgeformt worden. „Wir kommen einfach nicht zur Ruhe“, klagen die Beamten.

In diesen unruhigen Zeiten wäre einer wie Züfle so wichtig gewesen. Doch im vierten Stock des Polizeipräsidiums, im Treppenhaus vor seinem Dienstzimmer, ist er nur noch als Porträt in einem Fotorahmen anwesend. Davor ein Kondolenzbuch, vor dem Polizisten Schlange stehen. Dabei ist Züfle nie ein richtiger Stuttgarter gewesen. Sondern stets ein Mann aus Oberjettingen, der von Klein auf mit Mopeds und Motorräder durch die Lande fuhr. Auf dem Motorrad war er Lausbub geblieben: „Das hat sich so fortgesetzt in meinem Leben“, sagte Züfle mal. Und damit endet es auch. Am Montag kam eine E-Mail aus Kabul an, von seinem Dolmetscher. Er schrieb: „Er war ein aufrechter Mensch, und ich habe geweint.“