Baumaterial ist teuer, weil die zugrunde liegenden Naturstoffe immer knapper werden. Wiederverwertung ist ein Konzept für das Bauen von morgen. Foto: Wilhelm Mierendorf

In Zukunft könnten alte Gebäude nicht mehr zu Bauschutt verarbeitet, sondern als wertvolle Rohstofflager genutzt werden. Das Konzept dahinter: Cradle to Cradle.

Peter Mösle und Valentin Brenner sieht man die Begeisterung förmlich an, wenn sie über Cradle to Cradle - auf Deutsch: von der Wiege zur Wiege - sprechen. Dahinter steckt die Idee, verwendete Ressourcen immer wieder in gleicher Güte zu verwenden. Zum Beispiel in der Bauwirtschaft. Anstatt jedes Mal beim Abbruch von Gebäuden Unmassen von Bauschutt zu produzieren, sollen diese künftig als Rohstofflager dienen, bei dem alle verbauten Materialien uneingeschränkt wiederverwertet werden können. 'Das hat aber nichts mit klassischem Recycling zu tun', betont Peter Mösle, Partner bei Drees & Sommer.

Entwickelt wurde das Cradle-to-Cradle-Konzept - kurz C2C - schon im Jahr 2002 von dem aus Schwäbisch Hall stammenden Chemiker Michael Braungart und William McDonough. Peter Mösle schätzt, dass durch C2C langfristig nicht nur Ressourcen geschont werden, sondern auch die Materialkosten am Bau sinken könnten. Vor allem vor dem Hintergrund einer zunehmenden weltweiten Rohstoffknappheit gewinnt das Thema an Bedeutung, ergänzt Valentin Brenner, Leiter des Drees-&-Sommer-Expertenteams Cradle to Cradle. Schätzungen von Experten gehen davon aus, dass heute in den Städten und Gebäuden beispielsweise genauso viel Kupfer verbaut ist, wie es noch natürliche Rohstoffvorkommen in den Minen gibt.

"Wichtig ist, die C2C-Idee auf eine Branche herunterzubrechen"

Schon in 50 Jahren könnten diese Quellen erschöpft sein. 'Ohne Kupfer gibt es kein warmes Bad, keine Musik aus dem Radio und kein Surfen im Internet.' Peter Mösle wie Valentin Brenner wissen aber auch, dass sie für die Umsetzung ihrer Vision von einer Immobilie als Rohstofflager noch viele dicke Bretter bohren müssen. 'Das Thema haben viele schon angefasst - und auch wieder aufgegeben. Wichtig ist, die C2C-Idee auf eine Branche herunterzubrechen', ist Peter Mösle zuversichtlich.

Mit dieser Einschätzung scheinen die beiden C2C-Pioniere offene Türen einzurennen, wie auch die Reaktionen auf das zweite Cradle-to-Cradle-Forum in Stuttgart diese Woche mit über 100 Teilnehmern aus allen Bereichen der Baubranche zeigten. C2C ist aber keine Sololösung. 'Der Kreislauf funktioniert nur mit Baumaterialien, die beim Rückbau sortenrein getrennt werden können und zudem völlig schadstofffrei sind', sagt Brenner. Ein wichtiger Aspekt dabei: Cradle to Cradle muss wirtschaftlich sein, und es muss ein Geschäftsmodell dahinter stecken. 'Dann wird es sich langfristig auch durchsetzen', ist sich Valentin Brenner sicher.

Zum Beispiel, indem Baustoffhersteller ihre Produkte wieder zurücknehmen und so aufbereiten, dass die Materialien wieder in neue Produkte einfließen. Dadurch würden vor allem die Investitionen für Primärrohstoffe maßgeblich zurückgeschraubt, heißt es bei Drees & Sommer. Aber auch andere Geschäftsmodelle sind mit C2C denkbar. So könnte ein Hersteller nicht mehr ein Produkt verkaufen, sondern nur noch dessen Funktion. Beispielsweise könnte ein Lampenhersteller nicht mehr die Lampe verkaufen, sondern nur noch das Licht.

Der Hersteller kann nach Ablauf des Produktlebenszyklus seine Rohstoffe weiterverarbeiten, während der Nutzer die Wartung und den Austausch von seiner Liste streichen kann, erläutert Mösle. Dass das Ganze nicht bloß pure Theorie ist, sieht man beim Besuch der Drees-&-Sommer-Zentrale in Stuttgart. In einigen Büros sind unter anderem Teppichböden verlegt, die nur geleast sind.