Die US-Polizei holt Dschochar Zarnajew aus seinem Versteck auf einem Boot in einem Vorort von Boston. Der 19-Jährige gilt als der zweite mutmaßliche Bombenleger vom Boston-Marathon. Zahlreiche amerikanische Bürger jubeln auf den Straßen. Foto: AP

Die US-Polizei holt Dschochar Zarnajew aus seinem Versteck in einem Vorort von Boston. Der 19-Jährige gilt als der zweite mutmaßliche Bombenleger des Boston-Marathons. Amerikanische Bürger jubeln auf den Straßen.

Boston - Es sind Bilder wie nach einer gewonnenen Weltmeisterschaft. Hunderte jubeln auf der Straße im Bostoner Vorort Watertown, werfen die Fäuste in den Nachthimmel und rufen „USA, USA“. Nicht weit entfernt hat die Polizei an diesem Freitagabend gerade den 19-jährigen Dschochar Zarnajew aus seinem Versteck auf einem Boot geholt.

Es war das glückliche Ende einer nervenaufreibenden Großfahndung nach einem der beiden mutmaßlichen Bombenleger, die am vergangenen Montag drei Menschen in den Tod gerissen und zahlreiche weitere verstümmelt hatten. Die Festnahme war eine neue unglaubliche Wendung eines irrwitzigen Tages.

Denn noch am frühen Abend hatte die Polizei sichtlich enttäuscht bekanntgegeben, dass trotz des rund 20-stündigen Großeinsatzes keine Festnahme gelungen sei. „Aber sie wird kommen“, sagte Timothy Alben von der Staatspolizei Massachusetts so, als wollte er sich selbst Mut machen. Zu diesen Zeitpunkt hatten US-Medien bereits böse Fragen: Wie kann es sein, dass ein 19-Jähriger einem Fahndungsnetz entkommt, dass es in der US-Geschichte so sicher nie gab? Dann, keine 30 Minuten später, das große Finale. Medien meldeten Schüsse in Watertown, bis zu 20 sollen es gewesen sein. TV-Bilder zeigten ein massives Polizeiaufgebot, gepanzerte Fahrzeuge und Krankenwagen vor einem Grundstück.

„Wir haben ein wichtiges Kapitel dieser Tragödie geschlossen“, sagte US-Präsident Barack Obama am späten Abend im Weißen Haus. Er schaute sich das ganze Drama in seinen Privatgemächern an und eilte nach der Festnahme zu seinen Beratern ins Oval Office. Jubelgesten jedoch vermied der Commander-in-Chief - dafür waren die Geschehnisse schlicht zu ernst. Stattdessen versprach er der Nation absolute Aufklärung. „Warum haben junge Männer, die hier aufgewachsen sind und studiert haben, zu so starker Gewalt gegriffen“ - das sei die Kernfrage. Nicht nur die Familien der Opfer verdienten Antworten.

"Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen"

Doch nach den schrecklichen Tagen in der Ostküstenmetropole, die mit einer beispiellosen Ausgangsperre endeten, überwog das Aufatmen. Vor allem die Polizei wurde mit Dankbarkeit überschüttet. Die Bürger schüttelten den Beamten die Hände, gratulierten ihnen und ließen sich mit ihnen fotografieren. „Ich bin sehr stolz auf unsere Sicherheitsbehörden. Sie haben fantastische Arbeit geleistet“, sagte Stephen Batres, ein Feuerwehrmann. „Und das Sahnehäubchen ist, dass sie den Verdächtigen lebend festgenommen haben.“ Der 43-Jährige sei hoffnungsvoll, dass die Stadt nun über den Schrecken hinweg kommen wird. „Wir müssen weitermachen...größer und stärker“, sagte er.

Auch Obama lobte die Fahnder überschwänglich für ihre Tapferkeit. Kaum mehr als 24 Stunden nach der Veröffentlichung der Fahndungsfotos der bis dahin völlig unbekannten beiden Terrorverdächtigen war der ganze Spuk vorbei. Alles begann in der Nacht zum Freitag mit Meldungen über Schüsse und einen Raubüberfall in einem Bostoner Vorort. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei kam der ältere Zarnajew-Bruder und mutmaßliche Komplize Tamerlan (26) ums Leben. Die folgende Jagd auf den 19-Jährigen spielt sich vor den Augen der ganzen Nation ab. Rund eine Million Menschen in Boston dürfen ihre Häuser nicht verlassen, die ganze Stadt ist vollkommen lahmgelegt.

Dann die erlösende Nachricht: „GEFASST!!! Die Jagd ist vorbei. Die Suche ist abgeschlossen. Der Terror ist vorbei. Und die Gerechtigkeit hat gesiegt. Verdächtiger in Haft“, twitterte die Bostoner Polizei um 20.58 Uhr Ortszeit (2.58 Uhr MESZ) in die Welt. Viele Amerikaner können erleichtert ins Bett gehen. Doch wenn sie am Samstag aufwachen, erwartet sie das schwierige Kapitel der Aufarbeitung.

Denn mit dem Terrorismus sind auch die bohrenden Fragen in die USA zurückgekehrt. Wie konnte das passieren, sind wir wirklich sicher, welche Strafe ist für Staatsfeinde angemessen? Auch daher mahnte Obama gleich nach der Festnahme mit ernster Miene: „Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen“. Nun müsse man auf die Ermittlungen und Gerichte vertrauen.