Verdacht: Hat es Gewalt und Missbrauch im Kinderheim gegeben? Foto: fotolia

Jahrelang soll ein heute 53-jähriger Mann während seines Aufenthalts in einem Kinderheim der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal vergewaltigt, geschlagen und als Zwangsarbeiter missbraucht worden sein. Der Mann verklagt die Religionsgemeinschaft nun auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 1,3 Millionen Euro.

Stuttgart - Jahrelang soll ein heute 53-jähriger Mann während seines Aufenthalts in einem Kinderheim der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal vergewaltigt, geschlagen und als Zwangsarbeiter missbraucht worden sein. Der Mann verklagt die Religionsgemeinschaft nun auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 1,3 Millionen Euro.

Detlev Z. ist 1963 als Zweijähriger vom damaligen Landesjugendamt ins Große Kinderheim der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal eingewiesen worden. 14 Jahre lang lebte er dort, über lange Phasen aber war sein Aufenthalt wohl die Hölle, wenn die Vorwürfe zutreffen sollten. Z. sei Leuten in die Hände gefallen, die sein Anwalt als „Verbrecher“ bezeichnet.

"In Prügelorgien ihren perversen Sadismus“ ausgelebt

Detlev Z. versichert eidesstattlich, dass eine Gruppenleiterin „in Prügelorgien ihren perversen Sadismus“ an ihm ausgelassen habe und ein Heimleiter „ihn zur monatelangen Zwangsarbeit bei der Errichtung seines Mehrfamilienhauses“ genötigt habe. Noch schwerer wiegt der Vorwurf an einen ehemaligen Hausmeister, der ihn von seinem sechsten bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr fast täglich vergewaltigt haben soll. Dem Sechsjährigen habe man wahrheitswidrig erzählt, dass seine Eltern tot seien – „um ihn besonders gefügig zu machen“, vermutet sein Rechtsanwalt.

Heute leide der in Bayern lebende 53-Jährige unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Angst- und Panikattacken seien Folge der jahrelangen Misshandlungen, er habe mehrere Selbstmordversuche begangen und sei weder fähig, eine partnerschaftliche Beziehung einzugehen, noch in der Lage, regelmäßig zu arbeiten.

Deshalb will Anwalt Christian Sailer nun die Brüdergemeinde im Auftrag seines Mandanten auf Schmerzensgeld und Schadenersatz für Verdienstausfall „in einer vom Gericht zu bemessenden Höhe, mindestens jedoch in Höhe von 1,3 Millionen Euro“ verklagen. 800 000 Euro davon seien allein für die jahrelange Vergewaltigung angesetzt. Da sein Mandant Hartz IV bezieht, beantragte Sailer für die vorgelegte Klage beim Landgericht Stuttgart zunächst Prozesskostenhilfe.

79-jähriger Anwalt übernimmt letzten Fall - aus Überzeugung

Der 79-jährige Jurist aus Bayern vertritt immer wieder Heimopfer, seit zwei Jahren oft auch in Österreich. Dort hat er nach eigenen Angaben für einen Mandanten erfolgreich eine Entschädigung von 1600 Euro pro Monat erstritten. Aufgrund seines Alters übernehme er eigentlich keine neuen Mandate mehr, in dem Fall aber macht er eine Ausnahme, weil damit „einer der schwersten Missbrauchsfälle vor Gericht kommt, die es je in einer kirchlichen Einrichtung gab“. Die beiden männlichen Täter können seiner Schilderung nach nicht mehr belangt werden, sie seien gestorben. Die Gruppenleiterin hingegen lebe noch.

Detlev Z. habe die juristische Auseinandersetzung mit der Brüdergemeinde nicht von Anfang an gesucht. Im Jahr 2013 habe er dem Vorstand seine Leidensgeschichte geschildert. „Die Herren zeigten sich betroffen“, teilt Sailer mit, und sie hätten dies in einem Brief zum Ausdruck gebracht. Darin heiße es: „Als Evangelische Brüdergemeinde mit ihrer Diakonie stellen wir uns dem verantwortlichen Umgang mit den von Ihnen geschilderten Erlebnissen.“

In anderen Fällen, so sein Anwalt, habe man versucht, „die Opfer der evangelikalen ,Pädagogik‘ finanziell abzufinden“, doch Detlev Z. habe kein Angebot bekommen.

Manuel Liesenfeld, der Pressesprecher der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal, will weder zu den vom Anwalt angeführten Abfindungsfällen noch zu dem Gespräch im Jahr 2013 oder zu den aktuell erhobenen Vorwürfen Stellung nehmen: „Wir müssen erst die Klageschrift einsehen.“ Überraschend kommt der Fall nicht: Im November habe Z.s Anwalt eine Klageandrohung übermittelt, die Bitte um Fristverlängerung sei allerdings nicht gewährt worden. Liesenfeld versichert: „Wir wollen alles tun, um die Vorwürfe aufzuklären.“