Ein bisschen ist das Lächeln noch verhalten, aber die syrische Familie ist froh, dem Bürgerkrieg entronnen zu sein. Foto: Holbein Foto: Schwarzwälder-Bote

Syrische Familie findet in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Meßstetten Frieden und Sicherheit / In der Heimat ist alles zerstört

Von Christoph Holbein

Meßstetten. Der Mann ist tot, erhängt, irgendwo an einem jener hoffnungslosen, leidvollen Orte in Syrien. Ahmad musste die Hinrichtung mit ansehen, sie geschah vor seinen Augen. Jeden Tag hat der Zehnjährige Schreckliches erlebt: In seiner Straße starben Menschen, fielen Bomben, kamen kleine Raketen herunter, lagen Leichen herum. Ruhig, ohne Aufregung in der Stimme, aber mit einem leisen traurigen Schimmer im kindlichen Glanz seiner dunklen Augen erzählt der Junge seine Geschichte. Das Sterben war für ihn und seine Familie normal geworden: "Wir hatten Angst, jeden Tag sahen wir 40 bis 50 Tote, zum Beispiel zerrissen durch Autobomben. Da wird der Tod zum täglichen Begleiter, zum Alltag", sagt Youssef Mustafa, der Onkel von Ahmad.

"Jeder, der aus diesem Krieg herauskommt, ist von Gott geliebt"

Doch in Wirklichkeit gewöhnt sich niemand an so viel Leid, auch die Mustafas nicht: Die Familie flieht. Und der Zehnjährige findet mit seiner Tante und seinem Onkel Zuflucht in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Meßstetten: "Jeder, der aus diesem Krieg herauskommt, muss von Gott geliebt sein", betont Youssef. Zu Hause in Aleppo zwischen den Trümmern der zerstörten Häuser vernichtete der Krieg auch die Hoffnungen der Familie: "Wir haben alles verloren." Mit einem geliehenen Auto starten sie zu sechst, aber nur Youssef, seiner Frau, seinem Bruder und Ahmad gelingt die Flucht in die Türkei; die Eltern des Zehnjährigen bleiben zurück. Schlepper, die ihnen ein Mann vermittelt, den sie in der Türkei kennenlernen, übernehmen sie und bringen sie auf ein Schiff, mit dem die Familie nach Italien fährt. Neun Tage sind die Vier unterwegs, mit 280 Menschen auf einem 25 Meter langen Boot eng zusammengepfercht – eine Überfahrt, die sie für jede Person 5000 Euro kostet.

Es ist keine Vergnügungsreise: "Drei Tage lang hatten wir sehr starken Sturm. Ich habe gedacht, wir kommen da nicht mehr lebend heraus", erinnert sich Youssef. Die Schlepper hatten gelogen, von einem großen Schiff gesprochen: "Wenn ich gewusst hätte, dass es so ein kleines Boot ist, wären wir gar nicht mitgegangen", ist doch Youssefs Frau hochschwanger, und Ahmad kann nicht schwimmen. Zurück lassen sie ihr Leben in Syrien: Die Familie war wohlhabend. Youssef hatte eine Textilfirma, sein Bruder ein Möbelgeschäft, wieder ein anderer eine Autofirma. Jetzt ist alles kaputt, durch den Krieg zerstört. Youssefs Bruder Yasser Mustafa zeigt auf seinem Handy ein Foto von seinem zerbombten Haus in Aleppo.

Ahmad hat zudem seine Eltern zurück lassen müssen. Als minderjähriger "unbegleiteter" Flüchtling dürfte er nicht dableiben und alleine in der LEA untergebracht sein, erläutert Heike Schuller, die als Sozialpädagogin in der Verfahrensberatung und dem Sozialdienst in der Einrichtung arbeitet und diese Familie betreut. So ist bereits in Karlsruhe beim Jugendamt die Vormundschaft für die Tante und den Onkel beantragt worden, damit sie so lange erziehungsberechtigt sind, bis die Eltern nachkommen. "Das ist noch am Laufen", sagt Schuller.

"Es ist geplant, die Familie später zusammenzuführen", betont die Sozialpädagogin. Derweil leben Ahmads Eltern in einem Camp in Syrien – in Sicherheit. Der Junge besucht den LEA-Kindergarten und telefoniert regelmäßig einmal in der Woche mit seiner Mutter und seinem Vater. "Mir gefällt es hier sehr gut, aber ich würde mich noch besser fühlen, wenn meine Eltern bei mir wären", hofft der Zehnjährige, sie bald wieder zu sehen. So lautet im Moment der einzige Wunsch der Familie, dass alle zusammenbleiben und sie nicht auseinandergerissen werden, wenn sie aus der LEA verlegt werden. Dazu ist ein Antrag gestellt.

Und sie hoffen auf Frieden in ihrem Land, denn sie möchten gerne zurückkehren. Dass sie von ihrem Schicksal erzählen müssen, belastet sie nach eigener Aussage nicht. "Sie sind alle stabil", sagt die Sozialpädagogin. Aber so ein Trauma könne später kommen; jetzt sei alles neu, müssten sie sich orientieren und hätten viele Fragen – "das steht eher im Vordergrund". Deshalb will Schuller auch nicht graben, nicht nachspüren, alles soll ruhen. Später, sollten sich Symptome zeigen, ist immer noch Zeit für eine eventuelle Therapie.

Die Depressionen kommen später

Dass die Angst, dass die Depressionen erst später auftauchen können, weiß auch Shahad Shane, die beim Gespräch mit den Flüchtlingen als Dolmetscherin fungiert. Sie ist damals im Krieg aus dem Irak geflohen: "Erst war alles normal, ich war ein Jahr in Deutschland, dann plötzlich habe ich in der Schule gestottert." Von Deutschland haben die Mustafas nur Positives gehört. Deshalb sind sie hierher gekommen und sind dankbar dafür: "Alle helfen, egal wohin wir gehen, wir erhalten Hilfe", sagt Youssef. Der 28-Jährige erzählt von einem netten Erlebnis in Meßstetten, als er sich verlaufen hatte und nicht mehr wusste, wie es zur Bushaltestelle geht. Da traf er einen Mann, der ihn zur Haltestelle begleitete.

"Wir fühlen uns hier wohl, böse Menschen haben wir noch nicht getroffen." Youssef Mustafa will deshalb schnell die deutsche Sprache lernen, um Arbeit zu bekommen, sollte sein Asylantrag durchgehen. Ahmad kann bereits in Deutsch von eins bis 20 zählen. Er will zur Schule gehen, etwas lernen, denn er möchte Zahnarzt werden.