Herr Luchs darf im DRK-Fahrzeug mitfahren und sich in der Wanderpause streicheln lassen – er beißt nicht mehr. Fotos: Eyrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Meßstetter Ferienwanderung: Oberhalb von Unterdigisheim machen Thomas Holls Zuhörer Bekanntschaft mit allerlei Leben

200 Höhenmeter und sechs Kilometer Strecke mussten die Wanderer bei der vierten Meßstetter Ferienwanderung der Saison bewältigen. Der Luchs, der dabei eine wichtige Rolle spielte, hatte einen Chauffeur – sogar einen mit Blaulicht.

Meßstetten-Unterdigisheim. Über eine frisch gemähte, duftende Wiese, mitten in einer grünen, wasserreichen Ortsmitte, startet die vierte Meßstetter Ferienwanderung der Saison höchst verheißungsvoll. Revierförster Thomas Holl, der sie leitet, braucht Lockstoffe zu Beginn, denn gleich wird er die Schar von Meßstettern und Gästen, von Senioren und Jugendlichen, von Nordic Walkern und Wanderern – die Kinder erkunden mit Hannes Schurr im Ökomobil Naturphänomene – den steilen Berg westlich der Straße Richtung Nusplingen hinauf führen. 200 Höhenmeter gilt es heute zu bewältigen – da muss Holl schon mächtig viel bieten, um die Wanderer bei der Stange zu halten.

Das schafft er locker. Der Mann ist nicht nur "Wild auf Wald", wie seine Umhängetasche verrät, sondern auch ein richtig guter Erzähler, ja sogar Pädagoge: Im schattigen Wald erzählt er von den Zecken, die sich keineswegs – wenngleich es ihnen nachgesagt wird – von Bäumen oder Büschen auf Menschen stürzen. Im Gras lauern sie, die kleinen Blutsauger, und haben sie einen Menschen erst erklommen, suchen sie sich ein gutes Versteck im Warmen: die Kniekehlen, den Haaransatz... – die Ersten fangen an, sich dezent abzutasten, zumal Holl nun noch weniger schöne Infos rüberwachsen lässt: Die Frühsommer-Meningoenzephalitis – zum Schutz der Zunge auch FSME genannt – mit grippeähnlichen Symptomen könne bis zur Hirnhautentzündung führen, sagt Holl. "Aber: Nur ein bis zwei Prozent der Zecken sind damit infiziert. Außerdem kann man sich dagegen impfen lassen."

Ein Ring zeigt an: Es wird gefährlich

Letzteres gilt nicht für die Lyme-Borreliose, die zudem schwer diagnostizierbar und gefährlicher sei mit jedem Tag, an dem sie unbehandelt bleibe. "Charakteristisch ist die ringförmige Rötung um die Einstichstelle", sagt Holl, der sich – hat er eine Zecke entfernt – dieselbe immer mit Kugelschreiber markiert. "Ich bin ja schon älter und werde vergesslich", sagt er und grinst übers ganze Gesicht.

Möglichst lange, eng anliegende und helle Kleidung – "weil man Zecken darauf besser sieht" – empfiehlt der Förster zum Schutz, und nach dem Aufenthalt im Wald: gut abtasten und die Haare durchwuscheln. Habe man eine Zecke gefunden, dürfe man sie "beim Rausziehen nicht verletzen oder quetschen". Sagt sich leicht. Doch auch hier weiß Holl Rat, zieht ein Sprühfläschchen mit einem Mittelchen und einer kleinen Zeckenzange hervor.

Wie’s mit der Gefahr durch Fuchsbandwürmer aussehe, will Feuerwehrkommandant Matthias Schwarz wissen – offenbar hat er, ebenso wie Holl, etwas übrig für leckere Waldbeeren. "Am besten vorher abwaschen", rät Holl und mahnt: "Füchse sind nicht nur im Wald, sondern auch im Erdbeerfeld."

Die schlechten Nachrichten wären damit abgearbeitet – rein infotechnisch. Steil bergauf jedoch geht’s weiterhin, und ganz oben, auf einer Freifläche mit spektakulärer Aussicht auf Unterdigisheim, stellt Thomas Holl einen "Rückkehrer" vor, einen "Heimlichtuer": Herrn Luchs. Einer der vier, die sich im Südwesten Deutschlands herumtreiben, heißt Friedel mit Vornamen, ist im April 2015 mit einem Sender-Halsband ausgestattet worden, das er ein Jahr lang trug, hat aber aus seiner Zusammenkunft mit der Lebendfalle – ein Schaf war das Lockmittel – gelernt und sich nicht mehr fangen lassen. Statt seiner ist Tello im März 2016 in die Falle gegangen, hat einen Sender bekommen und somit verraten, dass er auch in Unter- und Oberdigisheim war. Derzeit wandere er gen Norden, im Raum Hechingen, Mössingen, Reutlingen, weiß Holl.

Der Luchs beißt immer erst hinten ab

Und er weiß noch mehr: "Gnadenlos verfolgt" hätten die Deutschen den Luchs, bis 1846 der letzte erlegt worden sei. Heute wisse man, dass "auch Beutegreifer wichtige Bestandteile des ökologischen Gleichgewichts sind und ihre Existenzberechtigung haben". Also ist der Luchs wieder ausgewildert worden, aber nicht so zahlreich, dass sich das auf den Bestand an Rehen und Gämsen – seine bevorzugten Beutetiere – signifikant auswirken würde. "Ein Reh pro Woche" fresse ein Luchs, und zwar "von hinten nach vorne".

Einen echten Luchs hat Holl sogar mitgebracht – ausgestopft, versteht sich. Er war bei Laichingen von einem Fahrzeug tot gefahren worden und kann aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr an der Wanderung teilnehmen. Deshalb darf er im Auto des Roten Kreuzes mitfahren und sich von den Wanderern streicheln lassen.

Die letzte Station nach einem ultra-steilen Abstieg nutzt der Förster, um "vorsichtig Entwarnung" zu geben in Sachen Borkenkäfer, weil der das kühle und feuchte Frühjahr gar nicht gut vertragen habe. Der chinesische Pilz, der rund 95 Prozent der Eschen befallen hat, ist allerdings alles andere als wetterfühlig. Wie Eschentriebe aussehen, wenn er sie befallen hat, zeigt Holl anhand schauriger Beispiele und verrät: Bekämpfen lasse sich der Pilz nicht, "doch Eschen haben Resistenzmechanismen, und wir hoffen auf die Selbstheilungskräfte der Natur", betont Holl. Sonst gehe nach der Ulme eine weitere Baumart verloren. Jene sei durch einen Pilz aus Holland gestorben. Es ist schon ein Kreuz mit der Globalisierung.

  Die nächste Ferienwanderung führt Thomas Deufel am Mittwoch, 24. August, rund um Heinstetten. Start ist um 17 Uhr an der Turn- und Festhalle. Für Kinder organisiert der SV Heinstetten Spiele auf dem Sportplatz.