Katharina Thoms (links) und Sandra Müller bei der Arbeit: Die Webdoku über Meßstetten und seine Flüchtlinge hat die beiden Frauen verändert. Foto: Rapthel-Kieser

Denkmal für die "stillen Helden". Katharina Thoms und Sandra Müller ziehen in SWR-Studiodiskussion Bilanz.

Meßstetten/Tübingen - Sie haben Neues gewagt und gewonnen, Nominierungen bekommen und Preise abgesahnt, werden inzwischen zu Talkrunden und Seminaren eingeladen: die SWR-Journalistinnen Sandra Müller (43) und Katharina Thoms (37), Autorinnen der Multimediareportage "Jeder Sechste ein Flüchtling".

Zwei Jahre lang haben sie aus Meßstetten und der Lea berichtet. Mit ihrer neunteiligen Webdoku haben sie aber auch den stillen Helden, jenen, die in Meßstetten die Flüchtlinge aufnahmen und sie begleiteten, und den zum überwiegenden Teil pragmatischen Bürgern ein Denkmal gesetzt.

Die neunteilige Langzeitreportage ist jetzt abgeschlossen, und der SWR will Bilanz ziehen – mit jenen Menschen, die direkt vor Ort zuständig waren und Verantwortung übernommen haben. Deshalb wird es am heutigen Donnerstag ab 19.30 Uhr eine Studiodiskussion im Tübinger SWR-Studio im Matthias-Koch-Weg 7 auf dem Österberg geben.

Vorab haben die beiden engagierten Reporterinnen im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt, wie die Idee zu der Reportage entstand, wie beeindruckt sie von den Bürgern in Meßstetten waren, wie frei sie sich auf dem Gelände bewegen, Fotos machen und O-Töne einfangen durften.

Bereits bei der Bürgerinformation im August 2014, von der sie berichteten, waren die beiden Journalistinnen überrascht, wie offen und verständnisvoll die Mehrheit der Meßstetter reagierte. Es gab gleich Hilfsangebote, rechte Sprücheklopfer wurden ausgebuht, und viele Meßstetter erinnerten daran, dass ihre Eltern einst auch Heimatvertriebene waren.

Die beiden Frauen haben sich gefragt, wie es in Meßstetten wohl weiter gehen würde, und sie beschlossen, am Thema dran zu bleiben. "Auf der Rückfahrt in der Nacht im Auto kam uns dann die Idee das zu begleiten", erinnert sich Sandra Müller. Katharina Thoms sagt: "Wir haben ein Konzept geschrieben, es bei unserem Sender abgegeben, und hatten innerhalb von zwei Wochen grünes Licht."

Für alle Beteiligten war es ein Modellprojekt. Das Scrollytelling, abgeleitet vom Storytelling, war auch an ihrem Arbeitsplatz Neuland. Mit Bildern und Tönen sollten die Internetbenutzer die Geschichte von oben nach unten durchscrollen können.

"Das Werkzeug dazu war an unserem Computer noch gar nicht freigegeben, aber wir haben einfach mal angefangen", erzählt Thoms. Herausgekommen ist eine neunteilige, rund eineinhalbstündige Reportage aus Ton, Bildern und kurzen Filmstreifen. Sie beginnt mit der Bürgerinformation im August 2014 und endet mit dem Ist-Zustand im August dieses Jahres. Müller und Thoms lassen die Meßstetter sprechen: die, die helfen, und auch die, die sich ärgern oder fürchten. Auch Flüchtlinge kommen zu Wort. Mit Grafiken und Fotos hält das Journalistinnenduo jene Zeit fest, in der die Helfer an ihre Grenzen kommen, in der es 3800 Flüchtlinge in dem 6000-Einwohner-Ort gab, in der Gerüchte ins Kraut schossen und die Stimmung zu kippen drohte. Sehr real bilden sie die Probleme ab, die aufgetreten sind, und zeigen auch, wie sie gelöst wurden.

Ihre Herangehensweise hat ihnen in der Fachwelt viel Lob eingebracht. Sie bekamen 2015 den Caritas-Journalistenpreis, wurden für den Grimme Online Award nominiert und für den Hansel Mieth-Preis. In diesem Jahr bekommen sie im November den Journalistenpreis der Diakonie. "Es hat uns verändert", sagt Katharina Thoms, und ihre Kollegin stimmt zu: "Mich hat das mehr berührt als alles andere, was ich bisher gemacht habe."

Weitere Informationen: Die Webdoku kann man sich anschauen unter http://www.swr.de/messstetten, die Radiosendung hören unter https://soundcloud.com/jedersechste.