Die Somalierinnen Istahil, Nadifa und Farun befinden sich in der Lea in Meßstetten, voller Ungewissheit, wie es weitergehen soll. Foto: Böhler

Drei junge Flüchtlinge aus Somalia erzählen ihre Geschichte. Vergewaltigungen und Entführungen.

Meßstetten - Sie haben ein Martyrium hinter sich: zu Hause in Somalia die Hölle der gesellschaftlichen Isolation, auf der Flucht nach Europa Gefahr, Gewalt und Angst. Istahil, Nadifa und Farun leben derzeit in der Landeserstaufnahmestelle (Lea) in Meßstetten (Zollernalbkreis) – in totaler Unsicherheit, wie es weitergehen soll.

In ihrem Heimatland gibt es keine Regierung mehr, die Frieden wahren und Gesetze durchsetzen kann – Experten sprechen von einem "failed state", einem gescheiterten Staat. De facto herrschen in Somalia Clans und radikale Milizen über das Land, worunter besonders Frauen zu leiden haben.

Sie treten die Flucht mit der Gewissheit an, unterwegs mehrfach vergewaltigt zu werden

Von deren erschütterndem Schicksal hat Mechthild Uhl-Künzig bei ihrer Arbeit für die Caritas der Lea Meßstetten erfahren. Besonders schrecklich findet sie, dass die Frauen bei den Schleppern für die erste Etappe der Flucht eine Dreimonatsspritze gleich mitbuchen. Diese dient dem Schutz vor ungewollten Schwangerschaften – denn die Somalierinnen treten die Flucht mit der Gewissheit an, unterwegs mehrfach vergewaltigt zu werden. Herausgestellt hatte sich das bei einer Frauentreff-Veranstaltung in der Lea zum Thema Verhütung. Dass die Frauen die Flucht dennoch auf sich genommen haben, erklärt sich nur aus ihrer verzweifelten Situation in der Heimat.

Istahil stammt aus der Stadt Qoryooley. Eine schöne junge Frau, augenscheinlich ein fröhlicher Mensch – bis sie zu erzählen beginnt: von ihren Eltern, in deren Café sie bis 2003 arbeitete. Es war das Jahr, in dem sich alles änderte. Denn damals wurde Istahil vergewaltigt. Mit einem Messer hat ihr Peiniger sie bedroht. Die Narben auf ihrer Wange und an den Armen zeugen davon. 16 war sie damals, und fortan eine Ausgestoßene. Nachbarn behaupteten, sie habe es für Geld getan, sich zu aufreizend angezogen. Dass sie durch die Vergewaltigung schwanger wurde, machte alles noch schlimmer. Als ihr Sohn laufen konnte, durfte er nicht mit den anderen Kindern spielen, galt als "Bastard".

Lebensgefährlich wurde es für Istahil, als die islamistische Al-Shabaab-Miliz in die Stadt kam, forderte sie doch die totale Unterwerfung unter eine strenge Auslegung islamischen Rechts: Frauen durften nur noch im Hijab, also voll verschleiert, in die Öffentlichkeit und die Terroristen drohten, alle "entehrten" Frauen umzubringen – Istahil war nicht die Einzige in der Stadt, die vergewaltigt worden war.

So entschloss sich Istahil zur Flucht: Europa war ihre größte Hoffnung. Ihren Onkel, der sie begleiten sollte, verlor sie unterwegs, weiß bis heute nicht, ob er überhaupt noch lebt. Die Flucht nach Europa war hart. Oft war sie wochenlang ohne Essen unterwegs. Über die Balkanroute kam sie schließlich nach Italien und von dort mit dem Flugzeug nach Norwegen. Doch Skandinavien entpuppte sich nicht als das gelobte Land: Bald nach ihrer Ankunft nahmen ihr die Behör ihren älteren Sohn weg. Viel zu traumatisiert sei sie, um eine gute Mutter zu sein.

Ihren zweiten Sohn, zu dessen Vater sie keinen Kontakt mehr hat, wollte ein Gericht für sechs Wochen in ein Heim bringen. Deshalb riet ihr der Anwalt, das Land zu verlassen. Istahil nahm ihr Kind und floh erneut: nach Deutschland. Das war vor einem Jahr. Inzwischen ist sie 30.

Zehn Jahre jünger ist Nadifa, die ebenfalls aus Somalia geflohen ist. Nach dem Tod ihres Vaters – damals war sie drei – kam sie zu ihrer Großmutter nach Saudi-Arabien, hielt sich nach deren Tod als Hausmädchen über Wasser, bis sie mit 16 Jahren von den Behörden aufgegriffen und nach Somalia zurückgeschickt wurde, denn Papiere hatte sie nicht. Wieder zu Hause, arbeitete sie im Restaurant, das die Familie ihrer Mutter in Xuddur betrieb. Doch schon sechs Monate später kamen Banditen in die Stadt, die Nadifa und ihre Freundin entführten. Sieben Tage lang hielten die Männer die beiden Mädchen gefangen, vergewaltigten sie immer wieder und warfen sie dann in den Fluss. Nadifa verlor das Bewusstsein, erwachte erst im Krankenhaus. Sie war schwanger.

Auch Nadifa fand keine Unterstützung in der Familie: Ihr Onkel machte sie verantwortlich für die Vergewaltigungen, trieb zu Hause ihr Kind ab: ohne Arzt, ohne angemessene Ausrüstung. Der soziale Druck zwang auch sie, ihre Heimat zu verlassen, und so floh sie im Bus Richtung Kenia.

Noch im Grenzgebiet fiel das Gefährt in die Hände der Al-Shabaab-Miliz, die den 60 Insassen die Wahl ließ: sich der Miliz als Selbstmordattentäter anzuschließen, oder sofort zu sterben. Zu sechst versuchten die Terroristen, Nadifa zu überreden: "Das sei meine einzige Chance, noch ins Paradies zu gelangen, sagten sie. Ansonsten käme ich mit Sicherheit in die Hölle." Nur dem Busfahrer war es zu verdanken, dass die Kämpfer den Rückzug antraten: Er kannte deren Kommandeur.

Kranke oder schwangere Frauen töteten die Schlepper in Libyen sofort

"Ich will über Libyen reden", sagt sie plötzlich, "denn dort war es am schlimmsten." Die Schlepper dort bekämen ihr Geld in der Regel im Voraus. Aber sie seien besonders gierig, hielten Flüchtlinge gefangen, um noch mehr zu erpressen. Kranke oder schwangere Frauen töteten sie sofort.

Für Nadifa und ihre Mitreisenden war Libyen die Hölle auf Erden. Drei Monate lang hielten die Schlepper sie fest, kamen nachts, um sie zu vergewaltigen. Essen und Wasser gab es kaum. Viele ihrer Freunde sind dort gestorben: vor Hunger. Eine an dem Sand, den sie vor lauter Verzweiflung in sich hinein gestopft hatte. Nadifa hielt die Freundin in den Armen als sie starb. Ihr versagt die Stimme, wenn sie nur daran denkt. "Wegrennen ist keine Option, weil die Leute sich kennen und zusammenarbeiten", ist sie überzeugt: "Du kommst nur von dort weg, wenn deine Verwandten dich frei kaufen."

Farun hätte es besser haben können, arbeitete ihre Mutter doch für das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in Kismaayo, wo sie mit vier Halbbrüdern lebte. Zwei von ihnen hatten eine Autowerkstatt, doch beide wurden – ebenso wie Faruns Stiefvater – von Al-Shabaab-Kämpfern umgebracht: weil sie Aufträge für die Regierung erledigten. Da ihr leiblicher Vater sehr krank war und als Ernährer nicht einspringen konnte, entschied er, dass Farun heiraten müsse. Mit 13 Jahren.

All das erzählt sie mit versteinertem Blick. Doch als sie nach ihrem Ehemann gefragt wird, hellt sich ihre Miene auf: Sie hatte Glück, denn ihr Mann war gut zu ihr, besaß ein Auto und arbeitete als Taxifahrer. Zusammen bekamen sie einen Sohn und eine Tochter. Doch auch ihn hat Al-Shabaab getötet: Weil er sich weigerte, Sprengstoff für die Terroristen zu transportieren. Um ihre Kinder ernähren zu können, musste sie nun als Wäscherin arbeiten.

Bei der Arbeit im Haus eines reichen Mannes wurde sie jedoch von dessen Leibwächtern angegriffen und brutal vergewaltigt. Die vier Männer warfen sie auf die Straße vor dem Haus – beinahe zahnlos und mit gebrochenen Händen. "Danach bin ich sehr tief gefallen", schluchzt Farun, während ihr Tränen über die Wangen rinnen. Ihren Kindern, die sie in Somalia zurücklassen musste, hofft sie, in Deutschland ein Leben in Sicherheit und Freiheit bieten zu können – denn sie hatte keines.