Von seiner dramatischen Flucht aus Syrien über Kairo, Libyen und das Mittelmeer berichtete Muhammad Al Attar und betonte: "Ich will in meinem Beruf arbeiten und meinen Lebensunterhalt selbst verdienen." Fotos: Eyrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Infoabend in der Lea Meßstetten / Keine Kosovo-Flüchtlinge mehr

Von Karina Eyrich

Meßstetten. Nachdenken und sich selbst einige Fragen beantworten, ehe man die Flüchtlinge in der Landeserstaufnahmestelle (Lea) in Meßstetten beurteile – dazu haben die Redner beim Informationsabend im Begegnungszentrum die Zuhörer aufgefordert.

"Ganze Dörfer" seien in früheren Jahrhunderten ausgewandert, "als die Schwäbische Alb noch zu den ärmsten Gebieten" gehört habe, gab Landrat Günther-Martin Pauli in der Lea zu bedenken, wo sich mehr als 100 Personen – vor allem Meßstetter – versammelt hatten, um sich über aktuelle Entwicklungen zu informieren. Die Kampagne des Landkreises unter dem Motto "Der Mensch von nebenan" soll für ein besseres Miteinander zwischen den Meßstettern und den Flüchtlingen sorgen.

Pauli und Lea-Leiter Frank Maier nutzten die Gelegenheit, um mit Gerüchten aufzuräumen. Ziegen aus dem Streichelzoo seien nicht von Flüchtlingen verspeist, sondern nur über den Winter ins Warme gebracht worden. Ladendiebstähle in der Discountern der Stadt habe es gegeben, doch der Schaden werde nicht von der Stadt getragen – so hatte es kürzlich geheißen. Maier betonte, mit den Regionalleitern der Discounter in Kontakt zu stehen, die dafür gesorgt hätten, dass weibliche Beschäftigte dort abends nicht mehr alleine Dienst tun müssten – das Auftauchen großer Kundengruppen aus den Reihen der Flüchtlinge hatte wohl einige zunächst verunsichert.

Zugleich wurde am Freitag bekannt, dass das Land Baden-Württemberg ab sofort keine Flüchtlinge aus dem Kosovo mehr nach Meßstetten schicken wird. Deren Asylanträge werden künftig nur noch in Karlsruhe bearbeitet, sagte Lea-Chef Frank Maier dem SWR. In Meßstetten hatte es zuletzt Kritik gegeben, weil dort so viele Kosovo-Flüchtlinge untergebracht waren. Zuletzt klagten vor allem die vielen ehrenamtlichen Helfer über die in ihren Augen oft unverschämt auftretenden Kosovaren.

Um Verständnis für Flüchtlinge allgemein warb beim Infoabend Ottmar Schickle, Flüchtlingsreferent des Diakonischen Werks Württemberg. Viele – nicht nur, wenn sie vom Balkan kämen – würden schnell als "Wirtschaftsflüchtlinge" diffamiert. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass auch viele Deutsche im Lauf der Jahrhunderte aus wirtschaftlichen Gründen die Heimat verlassen hätten – und die Not der Menschen in anderen Teilen der Welt oft nicht von den Einheimischen verursacht sei. "Schauen Sie morgen beim Frühstück mal, was für einen Kaffee Sie trinken", sagte Schickle mit dem Hinweis auf Arbeits- und Handelsbedingungen im Ausland, auf Landraub, Überschwemmungen und Naturkatastrophen, mitverstärkt durch den Klimawandel und somit durch den Kohlendioxid-Ausstoß in westlichen Industrieländern.

"Die meisten Flüchtlinge schaffen es gar nicht bis zu uns", sagte Schickle und verwies darauf, dass es oft die selbst armen Nachbarländer der Kriegs- und Krisenregionen seien, die helfen. "Würde Deutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viele Flüchtlinge aufnehmen wie der Libanon, dann wären es mehr als 17 Millionen."

Ganz wichtig sei es, sich bewusst zu machen, dass hinter den Zahlen Einzelschicksale stünden. "Frauen und Kinder tragen die Last der Flucht", so Schickle. "Kinder erleben auf der Flucht, was sie nie erleben sollten: dass ihre Eltern sie nicht mehr schützen können." Ihnen in Deutschland ein Gefühl von Sicherheit zurückzugeben, sei daher oberstes Gebot. "Für Kinder ist dabei das Kuscheltier ganz wichtig." Von den 51,2 Millionen Flüchtlingen weltweit seien 33,3 Millionen im eigenen Land unterwegs und nur 1,2 Millionen Asylsuchende, betonte Schickle.

Von seiner gefährlichen Flucht berichtete Muhammad Al Attar, 28, aus Syrien, der nach seinem Studium zum Diplom-Elektrotechniker für ein Jahr Armeedienst geleistet hatte, ehe ihm klar wurde, "was sie eines Tages von mir verlangen werden: unschuldige Menschen zu töten". Zunächst war er in die Türkei geflüchtet: "Obwohl ich nicht die nötigen Papiere hatte, bin ich durch zwölf Checkpoints gekommen – es war wie ein Wunder." Seine Familie, war über den Libanon nach Kairo gegangen, und er sei ihr gefolgt, ehe alle gemeinsam nach Libyen gegangen waren. Als auch dort täglich Bombenangriffe kamen, entschlossen sie sich zur Flucht übers Mittelmeer. "Wir mussten zum Schiff schwimmen, und es war so voll, dass man sich kaum bewegen konnte."

Inzwischen lebt Al Attar seit anderthalb Jahren in Deutschland, spricht die Sprache recht gut und will "wieder in meinem Beruf arbeiten und meinen Lebensunterhalt selbst verdienen". Wenngleich es sein Ziel ist, eines Tages "in mein Land zurückzukehren und zu helfen, es wieder aufzubauen", ist er sehr dankbar für die Hilfe in Deutschland: "Ich hoffe, dass mich die Menschen hier als ihren Bruder akzeptieren", sagte der 28-Jährige – und die Reaktion der Meßstetter gab ihm die eindeutige Antwort: Sie spendeten ihm anhaltenden Applaus.

(key). Die Landeserstaufnahmestelle Meßstetten (Lea), bisher im Verantwortungsbereich des Regierungspräsidiums (RP) Karlsruhe, wechselt am 1. April in jenen des RP Tübingen.

Derzeit sind mehr als 100 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter dort tätig, darunter eine Ärztin, vier Honorarärzte, eine Hebamme, sechs Krankenschwestern und eine Heilpraktikerin, die sich auch um traumatisierte Flüchtlinge kümmert, da die Wartelisten für die vier Beratungsstellen in Baden-Württemberg, die sich psychologisch um solche Patienten kümmern, lang sind.

Die Maximalbelegungszahl von 1000 Flüchtlingen wird laut dem Leiter Frank Maier immer mal wieder kurzzeitig überschritten. Auf Besserung hofft er, wenn die Lea in Ellwangen Anfang April eröffnet. Bis Ende 2016 soll der Betrieb in Meßstetten voraussichtlich weitergehen – dann übernimmt eine Lea in Freiburg die Aufgabe. Durchschnittlich vier bis fünf Wochen bleiben die Flüchtlinge in der Lea Meßstetten, von wo sie auf die Landkreise in Baden-Württemberg verteilt werden.