Selbstbehauptung und Selbstverteidigung: Es gilt, die Gefahren wahrzunehmen und vorher zu erkennen, sich davor zu schützen und rechtzeitig zu reagieren – bis hin zur körperlichen Abwehr – und dabei zu wissen, dass meistens die Gewalttäter aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis kommen. Das Motto lautet dabei: "Jede kann sich wehren". Fotos: Holbein Foto: Schwarzwälder-Bote

Teilnehmerinnen am Selbstbehauptungskurs lernen: Jede kann sich wehren. Grenzen setzen und selbstbewusst sein.

Von Christoph Holbein

Meßstetten. Mit einem wütenden Schrei reißt Pia den Angreifer an sich heran und rammt gleichzeitig in einer dynamischen Bewegung ihr Knie in dessen Unterleib. Besser gesagt in den Boxsack, den ihre Partnerin Janina zum Schutz vor sich hält. Die beiden Mädchen nehmen an einem Selbstbehauptungskurs teil.

"Ich wollte ganz explizit etwas für ältere Mädchen anbieten", sagt Johanna Burger von der Meßstetter Schulsozialarbeit, die zusammen mit dem Jugendbüro das Angebot organisiert und speziell dafür mit Bianka Neußer eine Trainerin gefunden hat, die vom Bodensee kommt und im Rahmen ihrer Gewaltprävention "Jede kann sich wehren" Kurse in Selbstbehauptung und Selbstverteidigung gestaltet. Acht Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren haben sich dazu für einen Tag in der Bewegungshalle der Heuberghalle versammelt.

Ganz wichtig: Hilfe organisieren

"Die Frau ist von dem Mann bis auf die Damentoilette verfolgt und dort vergewaltigt worden", erzählt Bianka Neußer den Jugendlichen, die sich im Kreis sitzend um sie geschart haben. "Wie hätte sie das verhindern und sich davor schützen können?", fragt die Trainerin in die Runde und erhält Antworten: "Hilfe holen", "Jemanden ansprechen", "die eigene Stimme energisch einsetzen", "zu zweit hingehen", "ernst bleiben und Ruhe bewahren". Das Ziel lautet, erst gar nicht in eine solche Situation zu kommen: "Nehmt also Euer Bauchgefühl ernst."

Die erste Reaktion, um sich aus einer solchen möglicherweise bedrohlichen oder gar gefährlichen Lage zu befreien, ist, mit der eigenen Körperhaltung und dem Blick zu signalisieren: "Lass die Finger weg!" Wenn das nicht hilft, ist die Stimme entsprechend einzusetzen und schließlich jemand zu Hilfe zu holen: "Werdet aktiv und schämt Euch dafür nicht", appelliert Neußer an die jungen Mädchen. "Ihr müsst deutlich die Grenzen setzen, das braucht viel mehr Mut als zuzuschlagen."

Aber auch das Zuschlagen muss gelernt sein, und das trainiert die ausgebildete Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungstrainerin daher mit den Jugendlichen. Etwa die "Schwachpunkttechniken": beispielsweise den Tritt oder Schlag in den Unterleib des Angreifers – mit dem Knie, mit dem Fuß, mit der "Messerhand". Oder das Krallen mit den Fingern in die Augen oder das Brechen der Nase oder des Kiefers mit dem Ellenbogen: "Eine sich wehrende Frau passt nicht in den Plan des Angreifers, der Macht ausüben will", betont Neußer. Studien belegten das. Entscheidend bleibt aber das Reden, um damit aus der Situation zu entkommen. Basis dafür ist ein selbstbewusstes Auftreten.

Der Kniestoß – verbunden mit deutlichem Schreien – ist eine Technik, welche die Mädchen in der Zweier-Gruppe an diesem Tag üben, eine andere das Quetschen und Ziehen im Unterleib des Gegenüber. Der Kurs soll Hemmungen abbauen, auch mal mit dem Handballen zuzuschlagen, auf Konfrontation zu gehen, sich energisch aus einem Festhalten herauszudrehen und mit dem Blickkontakt deutlich zu machen und das auch klar zu sagen: "Lass los!".

Die 16-jährige Amelie und ihre gleichaltrige Partnerin Tamara erhalten durch den Kurs mehr Sicherheit: "Das soll mir die Angst nehmen, wenn ich durch die Stadt laufe", sagt Amelie. "Das bringt etwas und hilft", betont auch Tamara: "Ich weiß jetzt, wie ich reagieren muss." Auch für die 16-jährige Pia ist der Kurs "sehr interessant": "Ich erfahre, was ich machen und wie ich meine Stimme einsetzen kann." Zu Hause will sie mit ihrem Bruder die Techniken weiter trainieren. Überzeugen ließ sich auch die 15-jährige Janina, die sich sehr wehrhaft zeigt: "Ich habe bisher nicht gedacht, dass mir so etwas passiert." Der Kurs macht ihr Spaß und hat ihr neue Erkenntnisse gebracht. Und Pia sagt: "Jetzt werde ich noch weniger Angst haben, nach einem Fest alleine nach Hause zu laufen."

In der Situation ist plötzlich alles wieder da

Es sind einfache Techniken, welche die Jugendlichen erlernen, solche, "die man nicht vergisst, die in der Situation auf einmal wieder da sind", weiß Neußer. Ihr Kurs stärkt die Mädchen, etwa einer blöden Anmache cool und selbstbewusst zu begegnen. Schulsozialarbeiterin Johanna Burger würde deshalb "auf jeden Fall" einen solchen Kurs wieder anbieten. Diesmal hat sie das Angebot aus ihrer Schulsozialarbeitkasse finanziert, in die Geld der Stadt fließt: "Es ist wichtig, dass die Mädchen lernen, laut ›Nein‹ zu sagen, lernen, sich zu trauen, Grenzen zu setzen." So wie in der "Anmachegasse": Sich nicht beeindrucken lassen und dem Anmacher das Spiel und den Spaß verderben – eine der schwersten Übungen, aber, sagt Trainerin Neußer,: "Haltet den Kopf oben und bewahrt Euch Euere Würde."