Die evangelische Landeskirche hat einen Fonds eingerichtet für die Hilfe für Flüchtlinge. Daraus übergab Oberkirchenrat Dieter Kaufmann nun 2000 Euro an die Diakonische Bezirksstelle Balingen. Mit dem Geld sollen der Raum der Stille und der Social Service Point atmosphärisch gestaltet werden. Außerdem unterstützt die Spende das Projekt, Frauen, die entbunden haben, ein Startpaket für ihre Kinder mit Babykleidung und Spielzeug zum Willkommen zu übergeben. Foto: Holbein Foto: Schwarzwälder-Bote

Oberkirchenrat Dieter Kaufmann besucht Landeserstaufnahmestelle: "Der Ausbau der Leas muss weiter gehen"

Von Christoph Holbein

Meßstetten. Sie stehen im Kreis, heben die Arme in die Luft, trampeln mit den Füßen und singen auf Deutsch ein kurzes, kleines Liedchen: Die Gruppe syrischer Kinder empfängt in einem Raum des Kindergartens herzlich und mit Händeschütteln den Oberkirchenrat Dieter Kaufmann. Der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg besucht an diesem Morgen die Landeserstaufnahmestelle (Lea) in Meßstetten und verschafft sich bei seinem Rundgang einen Eindruck von der Einrichtung für Flüchtlinge und Asylbewerber sowie der Arbeit vor Ort: "Die Menschen hier suchen Sicherheit und Schutz. Darüber müssen wir die Bevölkerung informieren, aufklären und uns wehren gegen banale Botschaften, die Vorurteile verbreiten und stärken." Der Leiter der Lea, Frank Maier, pflichtet ihm da bei: "Es geht darum, Ängste durch Begegnungen abzubauen."

Viele Direktzugänge gibt es in der Lea: Über Ungarn und Österreich machen sich die Menschen auf den Weg und kommen nach Meßstetten, weil sie wissen, dass es dort mit ihrer Aufnahme schnell geht: "Die Flüchtlinge sind gut vernetzt und informiert", erklärt Maier. Der große Zustrom macht Schwierigkeiten: "Wenn auch immer wieder Personen die Einrichtung verlassen, gibt es dennoch praktische Probleme, die frei werdenden Betten wieder zu belegen, weil wir diese erst ausfindig machen müssen." Und Maier verhehlt nicht, dass hin und wieder Streitigkeiten passieren, wenn die Menschen in der langen Schlange – möglicherweise noch im Regen – stehen und zwei Stunden auf die Ausgabe ihres Essens warten. Ethnische und religiöse Auseinandersetzungen seien aber Einzelfälle. Und Übergriffe und Vorkommnisse gegenüber der Meßstetter Bevölkerung seien bislang nicht vorgekommen.

Für Oberkirchenrat Kaufmann steht außer Frage, dass leer stehende Räume zu nutzen sind und dass weitere Leas entstehen müssen, um das Lea-System zu erweitern, damit die Verfahren schneller gehen und es zu keinen Überbelegungen kommt: "Es muss weiter ausgebaut werden." Auch personell in Meßstetten, sagt die Geschäftsführerin der Diakonischen Bezirksstelle Balingen, Diana Schrade-Geckeler, die händeringend nach neuen Mitarbeitern sucht: "Der Stellenschlüssel ist gut, wir haben sieben Vollkraftstellen und würden gerne mehr Personal einsetzen." Zusammen mit dem Roten Kreuz – das DRK stellt Streetworker und Ehrenamtskoordinatoren – stehen 30 Stellen zur Verfügung, aber lediglich elf sind besetzt. Dekan Beatus Widmann erkennt deshalb eine "enorme Belastung der Mitarbeiter".

"Der Winter macht mir große Sorgen"

"Der Winter macht mir Sorgen", bekennt Maier. "Wenn der Schnee fällt, es kalt wird und die Menschen sich nicht mehr im Freien aufhalten können, dann wird es eng." Vor allem die fast 700 Kinder hat der Lea-Leiter dabei im Blick: "Der Kindergarten muss unbedingt freigehalten werden von einer Belegung als Unterkunft."

Dass sich so viele Menschen engagierten, sei ein hervorragendes Zeichen, betont der Oberkirchenrat. "Wir leben in einem Land, das diese Aufgaben angehen kann." Jetzt gehe es darum, die Verfahren zu beschleunigen. "Es ist ein urchristlich-diakonisches Anliegen, den einzelnen Menschen zu sehen, was diese Flüchtlinge hinter sich haben, dass sie Persönlichkeiten sind und viele Gaben mitbringen." Kaufmann zeigt sich deshalb skeptisch gegenüber geplanten gesetzlichen Veränderungen und sieht Gefahren: "Da müssen wir sorgfältig hinschauen, dass da nichts kippt und wir keine Errungenschaften verlieren." Wichtig sei weiter zu denken, was mit den Menschen geschehen soll, etwa die deutsche Sprache zu erlernen: "Wir brauchen mehr Zugänge zum Arbeitsmarkt, eine Anerkennung der beruflichen Qualifikationen und dringend wieder eine Entwicklung auf dem Sektor sozialer Mietwohnungsbau." Daneben sei die Diakonie für alle Menschen verantwortlich, "die eine Bedürftigkeit haben. Die dürfen wir trotz aller Flüchtlinge nicht aus dem Blick verlieren."

Das Konzept der sozial-diakonischen Quartiersarbeit gelte es auszuweiten: "Es geht um die Anschlussunterbringung und Integration", betont Dekan Widmann. Derweil ist Schrade-Geckeler nicht immer glücklich über die ständig neuen Vorgaben, welche die Politik macht: "Die sollten die Leute in der Praxis mehr fragen, das vermisse ich." Zumal, wie Phillip Neurath, Mitarbeiter der Diakonischen Bezirksstelle Balingen in der Verfahrens- und Sozialberatung, erzählt, ständig neue Aufgaben hinzukämen: "Wir stoßen an Grenzen und bewegen uns sehr stark am Limit der persönlichen Kräfte."

(hol). In der Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea) in Meßstetten werde es immer schwieriger: "Wir haben momentan mehr als 3000 Bewohner", sagt Leiter Frank Maier. Täglich gebe es Direktzugänge an der Pforte: "Es ist nicht mehr planbar, was auf die Lea zukommt." Deshalb sei es angesichts der beengten Verhältnisse wichtig, Personen auf die Landkreise zu verteilen. Das allerdings sei ein Problem. Mittlerweile sind auch Hörsäle, Waffenkammer, Sozialräume, der Raum der Stille, Moschee und Fitnesscenter als Unterkünfte belegt. "Das tut weh, weil das eine vernünftige Betreuung der Menschen erschwert."

Derweil ist in der Lea personell massiv aufgestockt worden, um die Menschen schnell zu registrieren und medizinisch zu untersuchen: "Es gibt keinen Rückstand. Die Personen sind in zweieinhalb Wochen verlegbar."

Geplant ist, in den nächsten Tagen eine zweite Kantine im ehemaligen Offizierscasino aufzumachen, die bis zu 600 Menschen Platz bietet. Um für den Winter gerüstet zu sein, wird gerade an der Bushaltestelle vor der Lea ein weiteres Wartehäuschen gebaut.

Zurzeit sind insgesamt 170 Mitarbeiter in der Lea beschäftigt. Bislang sind in der Landeserstaufnahmeeinrichtung seit ihrer Eröffnung im Oktober 2014 an die 13 000 Flüchtlinge aufgenommen worden.

(hol). Sie wollen helfen, die Mitarbeiter der Verfahrens- und Sozialberatung: beispielsweise Minderjährigen, die alleine ohne Begleitung von Erwachsenen in die Landeserstaufnahmestelle kommen, haben aus diesem Grund eine zentrale Terminvergabestelle eingerichtet, um die Beratung zu steuern, damit nicht alle Flüchtlinge auf einmal vor der Türe stehen und um Hilfe anfragen. Und doch haben sie mitunter das Gefühl der Ohnmacht, etwa im Fall jenes Vaters in der Lea, dessen Kinder im Libanon festsitzen. Da freuen sich die Verfahrens- und Sozialberater über kleine Fortschritte, etwa bei jenem jungen Mann aus Syrien, der traumatisiert weinend ins Büro kam und nicht ansprechbar war, bis er bei einem Spaziergang offenbarte, dass er in Syrien hätte umgebracht werden sollen, aufgrund einer Verwechslung aber an seiner Stelle sein Schwager erschossen worden sei, wofür er sich schuldig fühle. Zuvor hatte er darüber noch mit niemandem gesprochen. Die Sozialberatung entwickelte in Zusammenarbeit mit Psychiatern ein Hilfeplan. Jetzt ist der Syrer in Therapie, lebt in einer eigenen Wohnung und hat eine Aufenthaltsgenehmigung.