Die Mitarbeiter der Messe Stuttgart begrüßen die Messebesucher mit mehrsprachigen Post-it-Botschaften Foto: Piechowski

An der Messe grüßen die Mitarbeiter mit Botschaften, die haften bleiben – mit 50.000 Post-it-Zettel.

Stuttgart - Michelangelo brauchte vier Jahre, um die Fresken in der Sixtinischen Kapelle in Rom zu malen. 20 Angestellte der Werbeagentur BBDO in Paris brauchten einen halben Tag, um den berühmtesten Ausschnitt „Die Erschaffung Adams“ neu zu gestalten. Im 16. Jahrhundert brauchte man noch Farbe und Pinsel, im 21. Jahrhundert reichen 25.000 Post-it-Zettel. Kunst ist heutzutage haftfähig.

Das hat man auch in Stuttgart gemerkt. Etwas später als die Franzosen, aber hier hat man ja auch was zu arbeiten und kann nicht einfach Hafturlaub nehmen. Kleben und kleben lassen, nicht gerade das Motto der Schaffer. Dennoch hat die Messe sich nun auch der Zettelwirtschaft zugewandt. Nicht gänzlich der Kunst verpflichtet, durchaus landestypisch muss der schöne Schein auch einen Zweck erfüllen. Bis zum Samstag findet in der Landesmesse die Messe R + T Rollladen, Tore und Sonnenschutz statt. Die Weltleitmesse, wie man so was in der Werbersprache nennt. Das soll bedeuten, sie ist die größte ihrer Art weltweit. 60.000 Besucher sollen kommen, aus mehr als 100 Ländern.

„Das ist unsere internationalste Messe“, sagt Sprecher Thomas Erken, „und wir haben uns überlegt, wie wir die Besucher begrüßen könnten.“ Die Stuttgarter Agentur Fullmoon überlegte mit. Und weil man dort schon mal mit den Nachbarn gewetteifert hatte, wer die schönsten Klebebildchen an die Fensterscheiben bringt, sagte man sich: Lass uns doch mal einen Haftprüfungstermin machen. Alle waren begeistert. Die Mitarbeiter der Messe räumten die Schubladen leer, suchten alle Klebezettel zusammen und wurden künstlerisch tätig. So schwimmt nun eine Ente an der Scheibe des Verwaltungsgebäudes entlang, eine Blume blüht auf, und mit Salut, Hola, Welcome, Hi, Hello, Ciao, Merhaba grüßen sie die Besucher.

Eine der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts

Dass aus seiner Erfindung einmal Kunststoff werden könnte, hatte sich Spencer Silver nicht gedacht. Dabei hatte er sich gründlich verzettelt. Er wollte 1968 einen Superkleber entwickeln. Das Zeug klebte zwar, ließ sich aber sofort wieder lösen. Es landete bei seinem Arbeitgeber, der Minnesota Mining & Manufacturing Company, kurz 3M, in der Ablage. Bis sich 1974 Art Fry der Versuche seines Kollegen erinnerte. Fry sang im Kirchenchor und grübelte über einer Methode, seine Einsätze im Gesangbuch zu markieren. Papierstreifen fielen immer wieder heraus, Klammern und Nadeln hinterließen hässliche Spuren, herkömmliche Klebestreifen ließen sich nicht mehr entfernen. Fry experimentierte mit dem Kleber von Silver und bastelte sich Lesezeichen für sein Gesangbuch. Der Post-it-Zettel war erfunden.

Obschon ihn die US-Zeitschrift „Fortune“ zu den wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts zählt und auch die Briten ihn für eine der Errungenschaften der vergangenen hundert Jahre halten, musste der Haftzettel auf seinen Einsatz warten. Erst 1980 kam er auf den Markt. Der Legende nach tauschten Fry und sein Boss so lange Botschaften auf den Zetteln aus, bis Fry eines Tages eine Notiz bekam, auf der stand: „Das macht süchtig!“

Allerdings verbreitet sich die Sucht nur langsam. Keiner wollte die kleinen gelben Post-it-Blöcke kaufen. Also schickte 3M die Zettel an die Chefs von 500 Unternehmern. Und sandte Trainer aus, um zu zeigen, wie man richtig klebt. Dass man damit auch Spaß haben kann, entdeckten nun die Franzosen. Ob sie wegen der Wirtschaftskrise Zeit dafür hatten oder ob die Zettelwirtschaft die Rückstufung Frankreichs durch die Ratingagenturen auslöste, sei dahingestellt.

„Wir kleben jeden Tag aufs Neue“

Immer wieder haben sich Künstler mit den 76 mal 76 Millimeter großen Zetteln beschäftigt. So faltet Melynda Schwier-Gierard die Blätter und erschafft riesige Flächen aus bis zu 60.000 Zetteln. Im Dezember 2000 malt RB Kitaj einen Ausschnitt eines Gemäldes von Rembrandt mit Pastell und Kohle auf eine Notiz , das Minibild wird auf einer Auktion für 640 Pfund versteigert.

Das wirkte offenbar anregend auf die Spieleentwickler von Ubisoft. Sie klebten ihre Spielefigur Rayman an die Fassade ihres Büros im Pariser Vorort Montreuil. Die Banker von BNP klebten zurück. Sie bastelten tobende Hasen. Bald klebten alle. Gerne Figuren aus Spielen wie Pacman aber auch Ritter, Flugzeuge, Spiderman. Nach dem Tod von Steve Jobs klebten die Mitarbeiter der Apple-Läden das Konterfei ihres Chefs an die Fenster. Material gibt es genug. Laut 3M werden jede Sekunde 15 Post-it-Zettel verklebt, das sind 1,2 Millionen am Tag.

50.000 davon haben die Mitarbeiter der Messe noch in petto. „Wir kleben jeden Tag aufs Neue“, sagt Erken, „und sind ganz überrascht, was dem einen oder anderen einfällt.“ Die Resonanz sei überaus positiv, „und die Kollegen vom Flughafen sind offenbar ein bisschen neidisch, da klebt man in Gedanken auch schon“. Glas gibt es dort ja genug. Das würde sogar für einen Michelangelo reichen.