Wie überwachen die Überwacher eigentlich ihre eigenen Mitarbeiter? Ein enttarnter Islamist beim Verfassungsschutz wirft Fragen auf. Foto: dpa

Ein Islamist hat den Verfassungsschutz unterwandert. Der 51-Jährige Deutsche gab sich in Internet-Chats großspurig als Anschlagsplaner aus. Weshalb konnte seine Anstellung nicht verhindert werden, wie laufen beim Geheimdienst generell die Sicherheitsüberprüfungen ab und wie groß war die Gefahr?

Berlin - Für die Union dient der Fall eines enttarnten mutmaßlichen Islamisten beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als Nachweis, dass die Kontrolle funktioniert, für Opposition und SPD beweist der Fall das Gegenteil. „Die derzeitige Praxis der Sicherheitsüberprüfungen im BfV scheint mehr als unzulänglich zu sein“ sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, unserer Zeitung. Es stelle sich die Frage, „wie es zu einer solch massiven Fehleinschätzung kommen konnte, obwohl der Beschuldigte angeblich vollständig sicherheitsüberprüft war.“ Die Sicherheitsüberprüfungen müssten deshalb dringend auf den Prüfstand, „da sie momentan zu schematisch angelegt zu sein scheinen.“ Ansonsten drohten „Sicherheitslücken in hochsensiblen Bereichen.“

In Sicherheitskreisen wird allerdings davor gewarnt, die Gefährlichkeit des 51-Jährigen Deutschen, der erst im April nach einer Anstellung bei einer Bank zum Verfassungsschutz wechselte, zu überschätzen. Der Fall sei „sehr ernst zu nehmen“, heißt es. Aber dass, wie verschiedentlich berichtet wurde, eine konkrete Anschlagsplanung unmittelbar bevor gestanden hätte oder er vom IS rekrutiert worden sei, gilt als „unwahrscheinlich“. Eher gebe es Hinweise darauf, dass der Mann psychische Probleme habe.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßensagte, der in Spanien geborene Familienvater habe sich „von seinem persönlichen Umfeld unbemerkt radikalisiert“. Dem Vernehmen nach soll nicht einmal seine Familie gewusst haben, dass er bereits 2014 zum Islam konvertiert war. In Internet-Chats hatte er laut Düsseldorfer Staatsanwaltschaft islamistische Propaganda verbreitet und Interna des Verfassungsschutzes angeboten. So soll er in den Chats ein mögliches Attentat auf das Kölner Hauptquartier in Aussicht gestellt haben, weil dies „sicher im Sinne Allahs“ sei. Doch einer seiner Chatpartner war selbst in Diensten des Geheimdienstes und ließ den Mitarbeiter auffliegen. Datenträger, die bei seiner Verhaftung am 17. November bei ihm gefunden wurde, werden nun vom Bundeskriminalamt ausgewertet.

Ein Mann mit blütenweißer Weste

Der Fall deckt ein Problem auf, für das nur schwer eine pauschale Lösung zu finden sein wird. Denn der Mann lebte völlig unauffällig ein bürgerliches Leben fernab der einschlägigen salafistischen Zentren, weshalb er auch bei keiner Sicherheitsüberprüfung aufgefallen war. Dass die Gefahrenabwehr bei jenen durchaus funktioniert, die vor ihrer Anstellung sicherheitsrelevante Arbeitsnachweise abgeliefert haben, zeigte sich im Februar. Auf Stellenausschreibungen des Verfassungsschutzes, die jedermann im Internet zugänglich sind, hatten sich zwei Rechtsextremisten, ein Linksextremist, ein Islamist und ein Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes beworben. Sie alle waren aufgeflogen, weil die Datenbank des Verfassungsschutzes (NADIS) Alarm geschlagen hatte.

Generell gibt es drei Stufen der Sicherheitsüberprüfung. Betroffen davon sind alle Mitarbeiter privater oder staatlicher Stellen, die entweder Zugang zu geheimen Dokumenten haben oder aber an einer „sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung“ beschäftigt sind. Typisches Beispiel: Atomkraftwerke. Sicherheitsüberprüfungen werden in der Regel alle fünf Jahre überprüft. Je brisanter die Papiere sind, mit denen Mitarbeiter hantieren, desto aufwendiger sind sie. Bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü1) werden die Datenbanken der Sicherheitsbehörden mit dem Namen des Bewerbers gefüttert. Bei der erweiterten Sicherheitsprüfung (Ü2) wird bei den Polizeidienststellen am Wohnsitz nachgefragt und auch die Ehe- oder Lebenspartner werden mit einbezogen. Bei der härtesten Form der Prüfung (Ü3) kommen weitere Bekannte ins Spiel, die beispielsweise nach dem Lebenswandel des Bewerbers befragt werden. Ist er erpressbar, weil er spielt oder suchtkrank ist? Das sind die Fragen, auf die nach Antworten gesucht wird.

Beim Verfassungsschutz werden Mitarbeiter nahezu ausnahmslos überprüft, weil der Zugang zu geheimen Dokumenten dort tägliches Geschäft ist. Anders ist das bei der Polizei. Sicherheitsexperten erkennen da eine Lücke, weil allein das Tragen einer Waffe laut Gesetz noch kein Grund für eine Sicherheitsüberprüfung ist. Auch bei Soldaten der Bundeswehr war eine Sicherheitsüberprüfung deshalb bisher keineswegs die Regel. Und dass, obwohl sich die Anzeichen mehrten, dass Rechtsextreme und Islamisten die Bundeswehr als Ausbildungsstätte für den Waffengebrauch nutzten. Zwischen 2007 und 2016 hat der Militärische Abschirmdienst (MAD) 24 Islamisten in den Reihen der Armee festgestellt. Und allein im Jahr 2014 hatte der MAD 308 neue Verdachtsfälle von rechtsextremer Gesinnung bearbeitet. Deshalb hat die große Koalition das Soldatengesetz geändert, so dass bei Bewerbern eine generelle Sicherheitsüberprüfung künftig vorgeschrieben sein wird.