Wasser perlt auf der Pflanzen­oberfläche in Tropfen ab - dieser sogenannte Lotuseffekt spielt bei innovativen Materialien eine große Rolle. Foto: dpa

Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen verstehen sich selten. Material-Scouts vermitteln zwischen Materialherstellern und -anwendern.

Gina heißt eine Sportwagenstudie von BMW, bei der ein Aluminium-Gestell mit einer dehnbaren Kunstfaser bespannt ist. Das Konzeptfahrzeug hat Automobildesigner inspiriert, leichte und kraftstoffsparende Modelle zu bauen. Clever Little Bag ist eine raffinierte Alternative zum traditionellen Schuhkarton. Mit ihr lassen sich Rohstoffe und Energie einsparen: die Kartons von Puma-Sportschuhen sind Tragetasche zugleich. Oder superhydrophobe Oberflächen, die selbst den letzten Tropfen Waschmittel aus der Flasche laufen lassen. An all diesen Materialinnovationen war Material Connexion auf unterschiedliche Weise beteiligt. Der Automobilbauer kam auf seine Idee durch einen Besuch in einer Ausstellung der Firma.

Puma beauftragte das Unternehmen mit Material-Scouting für das neue Verpackungssystem. Und den Waschmittelhersteller brachte Material Connexion mit einem Unternehmen zusammen, das den Lotuseffekt bereits bei medizinischen Einwegprodukten nutzte. 'Wir sind ein unabhängiges Bindeglied zwischen Materialherstellern und -anwendern und beraten Unternehmen bei der Produktentwicklung', sagt Karsten Bleymehl, Director Library & Materials Research bei Material Connexion in Köln. Der Dienstleister ist eine weltweit tätige Material- und Innovationsberatung, die Unternehmen dabei unterstützt, mit Hilfe von neuen Materialien und Technologiekompetenz zukunftsweisende Produkte zu schaffen. Er hat seine Zentrale in New York, in elf Ländern Niederlassungen - in Deutschland in Köln. Dort sind es sieben Mitarbeiter, drei davon Material-Scouts. Der 37-jährige Bleymehl und seine beiden Kollegen haben Industriedesign studiert.

Materialwissenschaftler sind nicht unbedingt prädestiniert

In anderen Ländern sind die etwa 60 Scout-Kollegen ebenfalls oft Designer, manchmal Architekten oder Materialwissenschaftler. Bei den zuletzt Genannten könnte man meinen, sie seien prädestiniert für diesen Job. 'Sind sie nicht', sagt Bleymehl, 'weil sie aufgrund ihrer Ausbildung zu sehr in einer Materialrichtung denken, beispielsweise Eisen und Stahl.' Und damit seien es Experten. 'Wir aber suchen mit unserem interdisziplinären Rundumblick neue Perspektiven.' Und die können neben Metallen aus Polymeren, Keramik oder Carbon bestehen. 'Spezialisten haben einen sehr engen Blickwinkel innerhalb ihres Fachgebietes. In das schauen sie ganz tief hinein.' Es heißt: etwa die Hälfte aller Entwicklungsprojekte scheitert, weil sich die Spezialisten untereinander nicht verstehen.

'Unser Auftrag ist, diese eingeschränkte Sichtweise auf einen 360-Grad-Rundumblick zu erweitern.' Und zu dolmetschen. Material-Scouts wie Bleymehl vermitteln zwischen Ingenieuren und Naturwissenschaftlern aus Unternehmen, die Material herstellen, und solchen, die es verarbeiten. Weltweit laufen jährlich etwa 250 Beratungsprojekte. Substitution von Erdöl durch nachwachsende Rohstoffe bei Einwegverpackungen, Integration von Schaltkreisen direkt auf Kunststoffbauteile, die Platinen überflüssig machen, sind Aufträge des Kölner Trios. Oft liegt den Auftraggebern viel an Kosteneinsparungen und Ressourcenschonung. 'Wir saugen in aller Welt die aktuellsten Material- und Prozessinnovationen auf.' Dieser Fundus ist die Quelle neuer Ideen für Bleymehl und seine Kollegen. In Deutschland, so schätzt er, gibt es etwa zehn bis 20 von seinem Fach. Mehr nicht. Und Material Connexion in Köln ist mit seinen drei Material-Scouts gut aufgestellt.

Sollte sich das ändern, werden Mitarbeiter gebraucht, die Verständnis für Werkstoffe und Verfahrenstechnik sowie Neugierde mitbringen. Und sie sollten ganz stark in der Recherche sein. 'Das ist ganz wichtig, weil wir nicht jeden Tag das Rad neu erfinden können, sondern schauen müssen, welche Materiallösungen es in anderen Branchen schon gibt, die transferiert werden können.' Manchmal werden neue Materialien für neue Produkte in Zusammenarbeit mit Materialherstellern oder Forschungseinrichtungen entwickelt, beispielsweise mit dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik.

'Etwa 70 Prozent aller neuen Produkte basieren auf Materialinnovationen', sagt Bleymehl. Gina, Clever Little Bag und der Lotuseffekt in der Verpackung von Waschmitteln sind drei bemerkenswerte Beispiele dafür.