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So manche Mutter oder mancher Vater würde schneller wieder arbeiten, gäbe es für das Kleinkind ausreichende Betreuung. Stuttgart braucht mehr Kitas, die den Bedürfnissen der Eltern gerecht werden, forderte der neue OB Fritz Kuhn schon im Wahlkampf. Die Erfüllung der Wünsche wird nicht leicht.

Stuttgart - Man kann nicht behaupten, Fritz Kuhn bekäme mit Stuttgarts Bildungs- und Betreuungslandschaft ein g’mähts Wiesle überlassen. Das Schulwesen ist baulich und landespolitisch bedingt eine Baustelle, die Versorgung der Familien mit Betreuungsplätzen für ihre Kinder ein Fass ohne Boden. Kuhn und die Fachverwaltungen brauchen einen langen Atem.

Die Zahl der Betreuungsplätze in Kleinkindkrippen, Kindertagesstätten, Kindergärten und Horten ist nicht schlechter als in anderen Großstädten. Im Gegenteil, die Stadt hat mit Unterstützung des Gemeinderats Millionenbeträge für den Ausbau investiert und scheut auch den Kontakt zu bauwilligen Firmen und Privatinitiativen nicht. Für alle Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren steht nun ein Betreuungsplatz zur Verfügung, für fast die Hälfte auch ein Ganztagesplatz.

Anders ist die Situation für Familien, die kleinere Kinder haben. Zu spät hat die Stadt reagiert, zu spät der Gemeinderat Geld eingefordert. Erst, als in den Anfangsjahren des neuen Jahrtausends die Eltern streitbar auf die Straße gingen, kamen Ausbaupläne auf den Tisch. Zwar wird der neue Oberbürgermeister die vom August an gültige Betreuungsquote erfüllen können, die Elternwünsche jedoch noch lange nicht.

Der Versorgungsgrad im Kleinkindbereich, der sich aus der Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze und der Zahl der insgesamt 16 168 Kinder im Alter zwischen null und drei Jahren errechnet, liegt derzeit bei 30,8 Prozent. Sprich: Nur knapp ein Drittel der Kleinkinder bekäme einen Krippenplatz. Weitere Ausbauten sind beschlossen, doch der Abgleich mit der Zahl der Kinder, die in den einzelnen Stadtbezirken bereits heute auf den Wartelisten stehen, ist ernüchternd. Vor allem in den inneren Stadtbezirken suchen deutlich mehr als die Hälfte der dort lebenden Familien nach einem Betreuungsplatz für ihr Kleinkind, punktuell sind es sogar 70 bis 80 Prozent.

Jugendamtsleiter Bruno Pfeifle hat es in Ausschusssitzungen gelegentlich so zum Ausdruck gebracht: „Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs geworden.“ Gemeint ist: Der Ausbau der Betreuungsplätze zieht weiteren Bedarf nach sich, für immer mehr Familien wird die Kleinkindbetreuung zur Normalität. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen und auch den Bedarf an Horten für Schüler nach oben treiben. Denn wer schon während der Kleinkindphase und dank eines guten Betreuungsplatzes wieder ins Berufsleben eingestiegen ist, wird seinen Job nicht wieder an den Nagel hängen, sobald die Kinder in der Schule sind.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Stadtgesellschaft auf Brüche in der Betreuung sehr sensibel reagiert. Massiver Protest der Eltern-Kind-Initiativen, die Kitas und Horte zur Betreuung von Schulkindern ins Leben gerufen haben, konnten in den letzten Gemeinderatssitzungen des Jahres 2012 das Schlimmste gerade noch abwenden. Nun wird es einen wesentlich sanfteren Übergang zur Ganztagsgrundschule geben.

Qualität und Kontinuität bei der Erziehung und Betreuung von Kindern wird deshalb die Herkulesaufgabe sein, mit der sich Fritz Kuhn befassen muss. Er hat es dabei mit zwei Referaten zu tun, dem Sozialreferat, das für das Jugendamt zuständig ist, und mit dem Schulreferat. In den jüngsten Debatten wurde einmal mehr ersichtlich, dass die beiden zuständigen Bürgermeisterinnen, Susanne Eisenmann (CDU, Schulen) und Isabel Fezer (FDP, Soziales) nicht in allen Punkten der schulischen Betreuung einig sind.

Kuhns Parteifreunde haben bereits begonnen, ihm den Weg zu ebnen. Sie beantragten mit Unterstützung von SPD und CDU ein sogenanntes pädagogisches Amt, das künftig für Schnittstellen dieser Art zuständig sein soll. Die Entscheidung darüber muss allerdings Kuhn fällen – da wollte niemand, auch die Grünen nicht – vollendete Tatsachen schaffen. Wie es weitergeht mit dem Umbau des Schulsystems – mit Gemeinschaftsschulen, Ganztagsgrundschulen, G-9-Zügen an G-8-Gymnasien und beruflichen Schulen –, das liegt allerdings nicht allein in Kuhns Hand. Da aber die Grünen in der Landespolitik das Zepter in der Hand halten, ist zu erwarten, dass Fritz Kuhn einen Informationsvorsprung hat und ihn, vielleicht auch zugunsten der landesweiten Entwicklung, für beispielgebende Konzepte in Stuttgart nutzt. Die Eltern werden die Entwicklung mit Argusaugen beobachten.