Pferde haben Sylvia Kirchherr vermittelt, was es bedeutet, zu Vertrauen. Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Sylvia Kirchherr hat mit ihrer Musik ganz Europa, die Karibik und Mittelamerika bereist

Von Tina Eberhardt

Loßburg-Schömberg. Acht CDs, zwei Bands, eine Karriere, die durch die Welt geführt hat. Die Sängerin und Weltmusikerin Sylvia Kirchherr ist viel umher gekommen – vor einem Jahr hat sie sich in Schömberg auf dem Hofbauernhof niedergelassen.

Ein Strom aus Musik überflutet die Sinne. Weit, geladen mit Energie, Leben – hochrhythmisch. Der Gesang eine Mischung aus Jodeln und Lauten, die in kein bekanntes Sprachkonzept passen. Gesang ohne Worte berührt Menschen. Für Sylvia Kirchherr ist er Lebensinhalt.

Über zehn Jahre zog sie als Festivalmusikerin und Straßensängerin durch die Welt. Den Weg hat sich die 39-Jährige mit eigener Kraft gebahnt, erkämpft. Begonnen hat alles mit einer Schulband im heimischen Wildberg bei Calw. Jiddische, russische und Zigeunerlieder prägten anfangs das Repertoire der Musikerin.

Doch gängige Sprachen vermittelten nicht, was sie artikulieren wollte. "Es war etwas anderes, was aus mir raus wollte." Der Großvater zeigte ihr, wie man Sehnsüchte und Unaussprechliches artikulierte: Er lehrte sie Jodeln. Bis heute ist diese alte Klangsprache elementarer Teil von Kirchherrs Kunst.

Pferde haben der Tierliebhaberin den ersten Bezug zur Kraft der Erde vermittelt. "Sie haben mir Vertrauen ins Leben geschenkt." Ein Vertrauen, das es braucht, wenn man sein Leben abseits des Mainstreams gestaltet. Freiheit – das habe nichts mit ziellosem Hippie-Dasein zu tun, erklärt Kirchherr entschieden. "Das ist viel Arbeit, ein solches Leben zu gestalten." Jeden Tag eine neue Entscheidung, wo der Weg hingehen soll. Ein Lebensstil, der eine starke innere Basis braucht.

Natürlich hätten sich ihre Eltern gewünscht, dass sie was "Ordentliches" macht, gibt Kirchherr lächelnd zu. Ein paar Semester lang hat sie versucht, diesen Wunsch zu erfüllen, und hat Germanistik und Kunstgeschichte studiert. Doch es passte nicht. Am Scheideweg ging sie in Italien auf Visionssuche – nach dem Vorbild der alten Rituale der Naturvölker, wo junge Erwachsene für Tage in die Einsamkeit der Natur geschickt werden, um zu sich selbst und ihren Platz im Leben zu finden. Ein Leben von Musik, ungeschult, unstudiert. "Ich kannte niemanden, der es macht, ich musste mich alleine trauen", erzählt sie.

Mit nichts weiter als ihrer Stimme und einigen Ersparnissen trat sie schließlich als junge Frau in Oberbayern vor die Tür und lief quer durch Europa bis ins andalusische Cádiz.

"Ich weiß nicht, woher ich den Mut hatte. Die Neugierde war wohl größer als die Furcht", sagt sie. Ein Straßenmusiker machte ihr Mut, ihrer Vision zu folgen. Gegen Mitarbeit an Bord segelte Kirchherr über den Atlantik zu den karibischen Inseln. Dort entwickelte sie sich musikalisch weiter. Was zum täglichen Brot fehlte, verdiente Kirchherr auf einer Walforschungsstation. Dann kam aus Mexiko eine Einladung von Freunden. Die Sängerin zog nach Mittelamerika – und blieb viele Jahre. Auch dort ging die musikalische Entwicklung weiter. Sie tauchte in die Lebenswelt der Menschen dort. Von den Mexikanern habe sie die Lebensbejahung gelernt, sagt Kirchherr.

Denn Selbstzweifel, die Frage, ob man in der täglichen Entscheidungspflicht, welche die Freiheit mit sich bringt, immer alles richtig macht – "das habe ich schon", gibt die Musikerin zu. Sie hat aber auch den Leitspruch der Großeltern verinnerlicht, nachdem sich immer wieder ein Türlein auftut.

Als ihr Sohn ins schulpflichtige Alter kam, stand ein neuer Wendepunkt im Leben von Sylvia Kirchherr an. Ein schwäbisches Verständnis von Strukturen, wirtschaftlichem Realismus und Absicherung hat sie stets begleitet. Und: "Nach 13 Jahren hatte ich das Gefühl, dass ich Ruhe brauche." Die Einladung einer Freundin aus dem Hofbauernhof kam gerade recht.

Das Leben auf dem Schömberg geht einen beständigen Gang. Ruhe ist hier von einer tiefen, reinen Güte. Sylvia Kirchherrs Musik bildet in ihrer temperamentvollen, tiefgängigen Dichte einen nahezu elektrisierenden Kontrast.

Und Sesshaftigkeit bleibt relativ. Konzert-Engagements in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Ungarn führen sie weiter durch Europa.

Gerade hat sie eine neue Doppel-CD mit Hilfe von Crowd-Funding veröffentlicht. Aber: "Die Energie ändert sich". Statt ausschließlich Musik zu machen, hat Kirchherr begonnen, ihre Kunst in Workshops und Kursen weiterzugeben.

Es könnte ein neuer Schwerpunkt in der Zukunft sein. "Aber ich bin offen", erklärt Kirchherr. "Leben ist eine Mischung aus führen und geführt werden."