Für die Erwachsenen im "Wasen" ist Mohammed Abboud der Übersetzer zwischen den Kulturen. Für die Kinder ist er der große Bruder der spielt, zuhört und da ist. Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Flüchtlinge: Mohammed Abboud kam von Damaskus nach Loßburg und hilft nun Syrern in Göttelfingen

Von Tina Eberhardt

In der Flüchtlingskrise gibt es Hilfesuchende und Hilfegebende. Manche nehmen auch einen Rollentausch vor. Mohammed Abboud floh im August aus Damaskus, landete in Loßburg – und leistet jetzt Flüchtlingshilfe in Seewald-Göttelfingen.

Loßburg/Seewald. Die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Gasthof Wasen in Göttelfingen ist der Ort von Mohammed Abbouds Hilfseinsatz: Der 20-Jährige ist der große Bruder, der den 13 Kindern im Haus Spielgefährte und Ordnungsmahner ist, er ist der Dolmetscher, der den deutschen Rezeptzettel ins Arabische überträgt, aber vor allem ist er ein Übersetzer zwischen den Kulturen. Eine Aufgabe, die nach der Sicherung der grundlegendsten Lebensbedürfnisse notwendiger scheint als alles andere.

Im früheren Gasthof Wasen am Rande Göttelfingens wurden am 22. Dezember vergangenen Jahres fünf syrische Familien untergebracht. Sprechen konnten sie ihre Muttersprache und ein paar Brocken Russisch. Pfarrerin Renate Cochrane – sie ist mittlerweile im Ruhestand – und das Team des Freundeskreises Asyl standen mit Deutsch und Englisch hilflos daneben.

Internetcafé im Pfarrhaus eingerichtet

Der Google-Translator spukte nur nutzloses Zeug aus, und im "Wasen" funktionierte er ohnehin nicht. Funkloch. Internet gab es nicht. Keine Chance, mit Angehörigen in Kontakt zu kommen, keine Ahnung, wo man gelandet ist. Und in zwei Tagen macht das ganze Land für die größten Feiertage des Jahres dicht.

"Wir waren verzweifelt", erinnert sich Renate Cochrane. "Aber für sie war es traumatisch." Da brachte der Heimleiter aus Loßburg Mohammed Abboud mit. Dieser half den Flüchtlingen beim ersten Einrichten, erklärte, wie die Waschmaschine funktioniert und dass es nicht nötig ist, den Heizkörper bis zum Glühen aufzudrehen.

Dann machte er sich daran, dem Freundeskreis Asyl und Pfarrerin Cochrane unter die Arme zu greifen. Internet war nur im Pfarrhaus frei verfügbar. Kurzerhand wurde dort ein Internetcafé eingerichtet. Für die Lebensmittelbeschaffung stellte er eine Liste mit Supermärkten im Kreis zusammen, wo Halal-Lebensmittel zu bekommen sind, die den muslimischen Speisevorschriften entsprechen. Während der Weihnachtstage campierte Mohammed Abboud in Göttelfingen, erklärte, was gefeiert wird und welche kulturelle Bedeutung das Fest hat. An Heilig Abend saßen die syrischen Familien in der Kirche und staunten.

"Sie haben nicht geglaubt, dass ich eine ›Imam‹ bin", erzählt Renate Cochrane lächelnd. Einige der Frauen weinten, als die in Tücher gehüllte Maria im Krippenspiel nach vorne trat, und sagten: "Sie sieht aus wie wir." Mohammed Abbouds Arbeit ist für Cochrane unschätzbar: "Er ist ein Übersetzer zwischen den Kulturen." Von Gesetz her ist Abboud Muslim, wie sein Vater, doch seine Mutter ist syrische Christin. Den Spagat zwischen Religionen und Kulturen, der ihm vertraut ist, versucht er, den Flüchtlingen weiterzugeben: "Die Sprache ist der Schlüssel, und wenn Du Dich nicht mit dem System in Deutschland befasst, ist es schwierig", sagt er auf Englisch. Gemeint ist: Lerne, wie Dein Umfeld funktioniert, und versuche Dich anzupassen. "Viele Dinge versteht man nicht", sagt Renate Cochrane. Zum Beispiel, warum es für eine syrische Frau eigentlich unmöglich ist, ein Badezimmer mit einem fremden Mann zu teilen. Auch Mohammed Abboud hat Stolper-Erfahrungen hinter sich. Der Umgang von Männern und Frauen in Deutschland war für ihn ungewohnt, die Vorfälle in Köln haben ihn verunsichert. Im Gespräch sprudelt er, ist aber immer bemüht, Abstand zu halten. Die Hand schüttelt er erst, nachdem sie angeboten wird. Fast täglich pendelt er – teils mit Bus, teils mit Mitfahrgelegenheiten – zwischen Loßburg, Göttelfingen und Freudenstadt, wo er die Heinrich-Schickhardt-Schule besucht. Renate Cochrane kennt Mohammed Abbouds Geschichte: typische Route über das Mittelmeer, der Schlepper sprang nach dem Ablegen von Bord, im winterlichen Wellengang ertranken Kinder, bevor man sie zu fassen bekam. Mit Freunden wurde Abboud Opfer eines Bombenangriffs.

Die Eltern hatten ihn dazu gedrängt, Syrien zu verlassen. Als Halb-Christ waren die Chancen gering, in einem muslimischen Nachbarland aufgenommen zu werden. "Deutschland hat die Tür für mich geöffnet", sagt Mohammed Abboud. In Loßburg hätten die Menschen ihm geholfen. "Ich nehme Geld in Anspruch – für nichts. Deshalb: Wenn ich helfen kann, helfe ich. Auch wenn es wenig ist, das ich tun kann."

Wenn man ihm zuschaut, entsteht auch der Eindruck: In der Hilfe verarbeitet er das eigene Schicksal.

In unserer Serie "Die Flüchtlingshelfer" stellen wir Menschen vor, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren. Kennen Sie auch jemanden? Melden Sie sich bei uns unter der Telefonnummer 07441/80 21 61 oder per E-Mail an redaktionfreudenstadt@schwarzwaelder-bote.de.