Ex-Profi Thomas Hitzlsperger war prominentester Diskutant bei einer Podiumsveranstaltung in Stuttgart Foto: Peter Petsch

Über Fußball zu schreiben ist Last und Lust. Wie sie damit umgehen und wie sie über das Wesen des Fußballs denken, haben sechs bekannte Autoren auf einem Podium in Stuttgart verraten. Den Videobeweis lehnten sie allesamt ab, weil zum Fußball auch der Zufall gehöre – und das Schicksalhafte.

Stuttgart - Deutschlands wohl bekanntester Literaturpapst, der im vergangenen Jahr verstorbene Marcel Reich-Ranicki, hätte sich wohl revidieren müssen, wäre er am Sonntag im Vereinsheim des MTV Stuttgart bei der letzten Veranstaltung des „Literarischen Fußballwochenendes“ dabei gewesen. Der gefürchtete Kritiker hatte nämlich behauptet, Sport und Literatur seien im Grunde feindliche Brüder. Nun aber traten sechs herausragende Autoren den Beweis an, dass sich mit Fußball und Literatur zwei gefunden haben, die eindeutig zusammengehören. Und jeder dieser Schreiber empfindet diese Gabe als Lust.

Der mehrfach preisgekrönte Sportjournalist Roland Reng hat derzeit am meisten Spaß beim Schreiben, wenn er für die F-Jugend seines Sohns die Spielberichte für die Vereinshomepage verfasst.

Für den Schriftsteller Axel Hacke ist der Fußball längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In seinem Buch „Fußballgefühle“ beleuchtet er den Lieblingssport der Deutschen aus verschiedenen Perspektiven. Eine tragende Figur ist der Fußball-Hooligan Axel aus München, der sein ganzes Leben dem Fußball und vor allem dem FC Chelsea gewidmet hat. Der sich dort etwas suchte, was er im normalen Leben nicht finden konnte. Und wenn man ihn anruft, dann meldet er sich mit „hier ist der Chelsea“.

Reng hat lange auf der Insel gelebt, die englische Fußballseele studiert und dort eine hohe Leidenschaft und Fußballkompetenz der Fans ausgemacht. „Da spielen alte Werte noch eine große Rolle“, sagte er. Unser Kolumnist Joe Bauer hat seine Fußball-Liebe in Stuttgart gefunden und ist ständiger Gast bei den Kickers. Die Besuche bei den Blauen verbucht er gern unter der Rubrik „Stadtranderholung“, und es sei eben Schicksal, dass er sich einen Drittligisten ausgesucht habe.

Fußball hat auch schon immer den Verlauf des Samstagnachmittags bestimmt. Der Ex- Profi Thomas Hitzlsperger schwärmt heute noch von der Radiokonferenz, bekannte er. Claus Melchior, der in seinem Fußballmagazin nicht der Aktualität verpflichtet ist, gab verstohlen zu, Sky-Abonnent zu sein. Axel Hacke wird von einem Freund in Baden-Baden, der Pilot und bekennender Werder-Bremen-Fan ist, per SMS über die Spiele informiert. Der Kumpel trägt am Spieltag stets ein grünes Trikot, egal ob er im Cockpit sitzt oder im Hotelzimmer in Japan schläft.

Fußball prägte natürlich auch die Kindheit der Literaten. Hitzlsperger machte sein Hobby zum Beruf. Reng wechselte in die Leichtathletik, der Historiker Nils Havemann zum Tischtennis. Joe Bauer war aus Überzeugung Torwart beim TSV Heubach. Gerne erinnert er sich an ein Mannschaftsbild mit dem Hinweis, dass es sich nicht um eine Damenmannschaft handle, sondern um den FC Stirnband. Acht Spieler trugen nämlich lange Haare.

Einig waren sich die Teilnehmer in der Ablehnung des Videobeweises. Für Bauer ist der Zufall ein substanzielles Element des Fußballs: „Wenn der Schiedsrichter falsch entscheidet, dann ist es Schicksal.“ Der tiefe Sinn des Fußballs liegt für Axel Hacke darin, Gesprächsstoff zu bieten – „und dazu gehören auch Fehlentscheidungen“.

Hitzlsperger, der sich vor Monaten als Homosexueller outete, hat nach dem Ende seiner Profi-Laufbahn gleich zweifach eine schöpferische Pause eingelegt. Zum einen hat er seit Weihnachten nicht mehr gegen einen Ball getreten, zum anderen seine Kolumne bei „Zeit online“ eingestellt. Jetzt will er sich mit Ex-Kollegen wieder zum Kicken treffen und ein Praktikum in einer Redaktion machen. Und vielleicht dauert es dann nicht mehr lange, bis auch er ein geistreiches Fußball-Buch vorstellen kann wie andere aus der Gesprächsrunde.