Gabriel (links) wirft der Union „Verlogenheit“ vor. Merkel überlässt die harschen Reaktionen anderen aus ihrer Partei. Foto: AFP

Die SPD ist sauer wegen einer Rücktrittsforderung an Olaf Scholz nach dem G20-Gipfel, die Union wegen Sigmar Gabriels Gegenangriff. Solche Töne wie jetzt zu Beginn des Wahlkampfs haben die Regierungspartner in vier Jahren nicht gegeneinander gerichtet.

Berlin - Diese Art von Attacken hätten zu einem früheren Zeitpunkt möglicherweise zu einem Bruch der großen Koalition geführt. Nun aber, da es nur noch 74 Tage bis zur Bundestagswahl sind, werden sich Union und SPD wohl über die Ziellinie retten. Die Atmosphäre aber ist nach der erzwungenen Ehe-für-alle-Bundestagsabstimmung vor knapp zwei Wochen und nun nach dem Hamburger G-20-Gewaltgipfel endgültig vergiftet.

Der Reihe nach. Am Samstag bedankten sich Kanzlerin Angela Merkel und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz demonstrativ gemeinsam bei Polizisten für deren Einsatz. Sowohl die CDU-Chefin als auch der SPD-Vize verteidigten trotz des von Krawallen begleiteten Gipfels die Entscheidung, das Treffen in der Hansestadt abzuhalten – da hatte sich Scholz noch nicht, wie er es am Mittwoch tat, in einer Regierungserklärung dafür entschuldigt, dass er das für die Stadt abgegebene Sicherheitsversprechen nicht einhalten konnte. Es gab auch noch keinen Koalitionskrach.

Zu wenig unternommen gegen Rote Flora

Das änderte sich mit der Rücktrittsforderung, die Hamburgs CDU-Landesverband an Scholz richtete, da er in der Vergangenheit zu wenig gegen das linke Zentrum Rote Flora unternommen habe. Im CDU-Bundesvorstand am Montag, so ist zu hören, wurde die Forderung als kontraproduktiv gewertet. So nahm auch Kanzleramtschef Peter Altmaier Scholz in Schutz: Der Gipfel sei gemeinsam vorbereitet worden, was passiert sei, dürfe daher „nicht die Frage einer parteipolitischen Auseinandersetzung“ sein.

Obwohl also die Rücktrittsforderung in der Bundes-CDU nicht aufgegriffen wurde, gab es genügend Stimmen, die der SPD eine politische Mitverantwortung für die Gewalt zuschrieben. Generalsekretär Peter Tauber etwa erinnerte an ein Zitat der stellvertretenden Vorsitzenden Manuela Schwesig, die vor drei Jahren den Linksextremismus als „aufgebauschtes“ Problem bezeichnet hatte. Und CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn reagierte auf eine Twitter-Nachricht von Schulz mit dem Vorwurf, die Randale habe zu tun „mit der systematischen Verharmlosung linker Gewalt, wie sie Teile Ihrer SPD seit Jahren betreibt“.

Bei den Sozialdemokraten setzte sich daher die Lesart durch, dass sich Merkel erneut als über allem schwebende Weltpolitikerin inszeniere, zugleich aber ihre innenpolitischen Kettenhunde loslasse. Schulz nannte es am Mittwoch „perfide“ und „nicht akzeptabel, Herrn Altmaier rauszuschicken und Krokodilstränen weinen zu lassen über die Vorfälle in Hamburg und anschließend koffern die Herren de Maizière, Hermann, Seehofer und wie sie alle heißen in einer beleidigenden Art und Weise“, da sie die SPD „in die Nähe von Terroristen rücken“.

Den Gegenangriff der SPD-Schwergewichte hatte zuvor Gabriel eröffnet. Er veröffentlichte in Absprache mit Schulz einen Beitrag, in dem er der Union „ein bislang nicht gekanntes Maß an Verlogenheit“ vorwirft. „Wenn die Wahlkampfstrategen der CDU/CSU die SPD jetzt auch nur in die Nähe von Gewalttätern rücken, verletzen sie damit die Ehre einer Partei, deren Mitglieder in ihrer über 150-jährigen Geschichte immer von links und rechts außen bedroht, verfolgt und umgebracht wurden.“ Zudem müsse, wer Scholz’ Rücktritt wolle, „auch den Rücktritt von Angela Merkel fordern – denn sie trägt die politische Verantwortung für die Inszenierung und Ausrichtung des G-20-Gipfels in Hamburg, der einem heimlichen Ziel folgte: die Selbstinszenierung der CDU-Vorsitzenden kurz vor der Bundestagswahl“.

Harsche Reaktionen

Merkel überließ harsche Reaktionen anderen – in der Hoffnung, dass sich in der Öffentlichkeit die CDU-Lesart einer umfragetiefbedingten SPD-Verzweiflungsaktion durchsetzen möge. Dafür geißelte Spahn, dass Gabriel den „dicken Max“ gebe, um vom Thema abzulenken. Der Südwest-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß formuliert es so: „Wenn sich Gabriel mit linken Kriminellen solidarisiert, muss er sich die Frage stellen, ob er noch auf der richtigen Seite steht.“ Mit den üblichen Wahlkampfscharmützeln haben Vorwürfe dieser Art wenig zu tun. Wenn der Eindruck nicht täuscht, schiebt die Union damit einer möglichen Koalitionsfortsetzung fast schon einen Riegel vor. Was man von der Union höre, sei „geistiger Tiefflug“, empört sich Martin Schulz. „Wir vergleichen auch die CDU als demokratische Partei nicht mit dem extremen rechten Rand Deutschlands oder behaupten, die seien auf dem rechten Auge blind, weil wir NSU-Morde hatten.“ Von der Union habe er Ähnliches erwartet, „nur, ich habe es aufgegeben, von dieser Seite Anstand zu erwarten“.