Lesser Ury, Waterloo-Brücke Foto: © Museum LA8

In den 1920er Jahren ein prominenter Vertreter des künstlerischen Lebens in der Weimarer Republik, gerät der Maler Lesser Ury in den Jahren nach 1933 ins Abseits und wird von der Kunstgeschichtsschreibung in der Folge nahezu vergessen. Jetzt scheint die Zeit reif für eine Wiederentdeckung.

In den 1920er Jahren ein prominenter Vertreter des künstlerischen Lebens in der Weimarer Republik, gerät der Maler Lesser Ury in den Jahren nach 1933 ins Abseits und wird von der Kunstgeschichtsschreibung in der Folge nahezu vergessen. Jetzt scheint die Zeit reif für eine Wiederentdeckung.

 Der Künstler-Demokrat

Als der Publizist Hanns Brodnitz 1933 in seinem Essay über das Kino der Weimarer Republik das demokratische Gesicht des Berliner Nollendorfplatzes charakterisierte, tat er dies, indem er die Kanzlei des bekannten jüdischen Anwalts und Staatsrechtlers Max Alsberg und das Atelier des Malers Lesser Ury als prominente Orte republikanischer Gesinnung im Zentrum der Reichshauptstadt anführte.

Diese Nennung des Künstlers Lesser Ury im demokratischen Herzen Berlins bezeugt dessen Stellung als eines prominenten Vertreters des künstlerischen Lebens der zu diesem Zeitpunkt schon verflossenen ersten deutschen Republik, eines Starkünstlers, der das großstädtische Leben Berlins auf unvergleichliche Art und Weise auf die Leinwand zu bringen verstand und die pulsierende Bewegung der Metropole in bildnerische Form zu zwingen vermochte.

Ausgestellt wurden Lesser Urys Gemälde in den bedeutenden Galerien der Zeit, so beispielsweise bei Paul Cassirer und Fritz Gurlitt in Berlin oder bei Heinrich Thannhauser in München. Seine Gemälde hingen in der Berliner Nationalgalerie und wurden von prominenten Sammlern wie Harry Graf Kessler und Walther Rathenau geschätzt.

Frühes Vergessen

Umso überraschender muss es erscheinen, dass Ury in den Jahren nach 1933 von der Kunstgeschichtsschreibung nahezu vergessen wurde, eine wissenschaftliche Einordnung seines Œuvres bisher weitestgehend fehlt und sich seine Werke zwar im Kunsthandel auch heute noch regen Interesses erfreuen, jedoch nur in wenigen öffentlichen Museen zu finden sind. Die Gründe hierfür sind einerseits im schwierigen Charakter des Menschen Lesser Ury, andererseits im Umgang mit seinem künstlerischen Nachlass und den Zeitläuften nach seinem frühen Tod am 18. Oktober 1931 zu suchen.

Ein Künstlerleben

Lesser Ury, der am 7. November 1861 in Birnbaum (heute Miedzychód, Polen) in der preußischen Provinz Posen in eine fromme jüdische Kleinbürgerfamilie geboren worden war, hatte eine schwierige und verschlungene Lehr- und Ausbildungszeit durchlaufen, war von Benjamin Vautier an der Akademie in Düsseldorf gefördert worden, erhielt auf Empfehlung Adolph von Menzels 1890 den Beer-Preis der Berliner Akademie, der ihm einen Aufenthalt in Italien ermöglichte, reiste zu Studienzwecken durch halb Europa und konnte sich schließlich ab Beginn der 1890er Jahre im Kunstbetrieb der Reichshauptstadt etablieren.

Vielleicht war es dieser steinige Weg zum künstlerischen Erfolg, der Ury zu einer sozial kaum verträglichen Persönlichkeit werden ließ, einem Mann, der sich auch nicht davor scheute, mit dem einflussreichsten Künstler seiner Zeit und Großmeister der Malerei Max Liebermann einen langjährigen Streit vom Zaun zu brechen. Liebermann verhinderte es daraufhin fast 20 Jahre lang, dass Ury in der von Liebermann geleiteten und für die fortschrittliche Kunst tonangebenden Berliner Secession ausstellen konnte. Mit zunehmendem Alter wurde Ury immer unkonventioneller, was sein Verhalten und seine äußere Erscheinung betraf. Besuche in seinem Atelier waren nur möglich, indem man von einem der wenigen Vertrauten Urys eingeführt wurde. Auch dann jedoch riskierte der Besucher, vom Künstler grundlos angeschnauzt und aus dem Atelier geworfen zu werden.

Ury trug, wenn er seine Wohnung verließ, einen legendär armseligen, verschmutzten Mantel, hatte in der Anzugstasche seine gesamte Barschaft bei sich und meldete sich am Telefon notorisch mit dem Pseudonym „Lehmann“, um sich vor der Außenwelt, der er zutiefst misstraute, zu tarnen.

Kurz nachdem der misanthropische Einzelgänger Lesser Ury gestorben war, fand im November 1931 in der Berliner Nationalgalerie eine umfassende – noch zu Lebzeiten des Künstlers geplante – Einzelausstellung seines Werkes statt, im Herbst 1932 wurde in den Räumlichkeiten der Galerie Cassirer der gesamte Nachlass Lesser Urys versteigert. So gelangte ein großer Teil seines Werkes in Privatbesitz und wurde der musealen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung – auch nach Ende der nationalsozialistischen Kulturdiktatur – entzogen.

Ein Schatz wird gehoben

Nun aber hat man im Baden-Badener Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts Gelegenheit, sich dem Schaffen Lesser Urys zu nähern. Im Wesentlichen aus den Beständen zweier Privatsammlungen sind hier rund drei Dutzend Gemälde sowie Zeichnungen, ein Skizzenbuch, Dokumente und eine repräsentative Auswahl druckgrafischer Blätter versammelt, um Ury als einen ganz außergewöhnlichen Vertreter des deutschen Impressionismus kennenzulernen. Bereits der Titel der Baden-Badener Ausstellung „Lesser Ury und das Licht“ rückt den Maler in den stilgeschichtlichen Kreis der deutschen Vertreter impressionistischer Lichtmaler wie – sein Intimfeind und Antipode – Max Liebermann, Max Slevogt, Lovis Corinth oder Fritz von Uhde. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass er im Unterschied zu den genannten und vor allem auch zu den französischen Großmeistern des Impressionismus nicht ein Maler des hellen Tageslichtes, sondern der künstlichen Beleuchtung der großstädtischen Nacht und ihrer Bewohner war.

In Stadtszenen wie der Schilderung des „Kurfürstendamm mit Blick in Richtung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ von 1925 (Stadtmuseum Berlin) gelingt es Ury, den Schein und Widerschein der zum dunklen Tag gemachten Nacht virtuos zu schildern. Die eleganten Damen, die in luftigen hellen, von den Straßenlaternen erleuchteten Sommerkleidern auf dem Boulevard flanieren, die künstliche Dämmerung des elektrisch erhellten Himmels über Berlin, schließlich die aufgerissenen Lichtaugen der sich auf dem nassen Asphalt spiegelnden Scheinwerfer der Automobile sind die typischen Lichtakkorde, die Ury in unzähligen Variationen seiner vielen Nachtveduten immer wieder neu orchestriert hat.

Die Gemälde Urys sind Dokumente der Faszination, die das Leben der Metropole Berlin ausstrahlte und zeitgleich in Filmen wie Joe Mays „Asphalt“ (von 1929) oder der Großstadtlyrik Erich Kästners und Bertolt Brechts thematisiert wurde.

Zeuge der Großstadt

Auch in Zeichnung und Druckgrafik erweist sich Lesser Ury als ein Meister des städtischen Nachtstücks. In seiner „Nächtlichen Begegnung in der Tiergartenstraße“ (1919) wird der Raum, in dem sich die Figuren und eine Droschke bewegen, durch die rigide Lichtführung einer Allee von Straßenlaternen definiert, in der Innenraumszene des „Abend im Café Bauer in Berlin“ (1919) ermöglicht die elektrische Beleuchtung den Kaffeehausbesuchern die bequeme nächtliche Lektüre des druckfrischen Abendblatts. Die Gäste der Cafés und Restaurants, die Lesser Ury in seinen Blättern schildert, sind fast immer ganz auf sich selbst zurückgeworfene, monadenhafte Großstadtbewohner, die lesend, rauchend, schreibend oder dösend, aber nie mit anderen kommunizierend als Vorfahren der Bildprotagonisten eines Edward Hopper ihre Nächte durchwachen. Damit repräsentiert sein Bildpersonal wohl oft Spiegelbilder seiner eigenen Persönlichkeit und seines Künstlertums, dessen eigenwillige Originalität nun entdeckt werden will.

Info zur Ausstellung

Die Schau „Lesser Ury und das Licht“ ist zu sehen im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Lichtentaler Allee 8, Baden-Baden.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Eintritt 7 Euro, (ermäßigt 4 Euro), Familien 11 Euro.

Führungen: Jeweils Sonntag um 16 Uhr. Familienführung jeden 1. Sonntag im Monat um 15 Uhr. Ticket jeweils 2 Euro zuzüglich zum Eintrittspreis. Mehr unter: 07 221 / 50 07 96 - 0.