An den Gymnasien im Land steigt der Frust der Schüler. Foto: dpa

Weniger Druck auf Grundschüler und weniger soziale Auslese: Grün-Rot hatte hehre Ziele bei der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Doch auf den Gymnasien häufen sich die Probleme.

Weniger Druck auf Grundschüler und weniger soziale Auslese: Grün-Rot hatte hehre Ziele bei der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Doch auf den Gymnasien häufen sich die Probleme.

Stuttgart - Die Gymnasien im Land haben nach einer Umfrage des Philologenverbands verstärkt mit überforderten Fünft- und Sechstklässlern zu kämpfen. Nach der am Montag veröffentlichten Befragung an 158 Gymnasien hatten im Schuljahr 2013/2014 mehr als fünf Prozent der Fünftklässler und fast acht Prozent der Sechstklässler Probleme, dem Unterricht zu folgen.

„Die grün-rote Schulpolitik nimmt massive Misserfolgserlebnisse und Frustration von Tausenden von Kindern billigend in Kauf“, kritisierte Verbandschef Bernd Saur in Stuttgart. Er fügte hinzu: „Man kann doch nicht hinnehmen, dass jährlich mehr Kinder mit Fünfen und Sechsen und Tränen in den Augen nach Hause kommen, nur weil man auf der Idee beharrt, dass jeder Mensch beliebig „begabbar“ ist.“ Dies sei ein Skandal, für den Grüne und SPD verantwortlich seien, weil sie die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft haben. Er appellierte an Kultusminister Andreas Stoch (SPD), sich zum Schutz der Kinder zu einem klaren Mehr an Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung durchzuringen.

Kritik am Philologenverband

Das Kultusministerium warf dem Philologenverband vor, Zerrbilder über die Situation an den Gymnasien zu zeichnen. Der Verband arbeite mit unsoliden und nicht stichhaltigen Statistiken. So habe nicht einmal jedes zweite Gymnasium im Land an der Erhebung teilgenommen. Die Gymnasien stellten sich ohnehin auf die größere Leistungsbreite ein und bauten individuelle Förderung aus.

Auf dem Weg zu mehr Verbindlichkeit muss nach Saurs Worten zunächst mehr Transparenz über die Grundschulempfehlung für die aufnehmenden Schulen herrschen. Wenn die Eltern künftig die Empfehlung bei Anmeldung vorlegen müssten, könnten sich die Schulen bei Abweichen von dem Rat der Grundschullehrer mit Beratung der Eltern und Förderung des Kindes darauf einstellen. Grün-Rot hatte vom Schuljahr 2012/13 an die Verbindlichkeit der Empfehlung durch die Grundschullehrer aufgehoben. Die Eltern haben seitdem bei der Entscheidung über die weiterführende Schule für ihren Nachwuchs das letzte Wort.

Grünen-Landeschefin Thekla Walker monierte, Saur ignoriere den Elternwillen. „Er möchte, dass Staat und Lehrer verordnen, was angeblich das Beste für ein Kind ist.“ Das widerspreche dem partnerschaftlichen Verhältnis, das Lehrer und Eltern heute miteinander pflegten. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel riet den Philologen zu verbaler Abrüstung und betonte, der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung habe zu einer Entkrampfung der Situation in der dritten und vierten Grundschulklasse geführt.

Im August hatte das Kultusministerium bekanntgegeben, dass nach den Sommerferien an den Realschulen 4,4 Prozent der Fünft- und 3,8 Prozent der Sechstklässler die Klasse wiederholen, an den Gymnasien 1,6 Prozent der Fünft- und 2,6 Prozent der Sechstklässler. Diese Entwicklung habe die eigene Umfrage bestätigt, so Saur. Doch die Zahlen spiegelten nur die halbe Wahrheit wider, weil sie nicht diejenigen Schüler erfassten, die während des Schuljahres das Gymnasium verlassen mussten oder das Schuljahr mit einer - unverbindlichen - Realschulempfehlung der Versetzungskonferenz oder Probeversetzung beendeten. Dies seien in Klasse Fünf 3,9 Prozent gewesen und mehr als 5,3 Prozent in Klasse Sechs.

Saur rügte auch die Opposition als inkonsequent, weil sie trotz Kritik die verbindliche Grundschulempfehlung nicht wieder einführen will. CDU-Landeschef Thomas Strobl schlägt ein verbindliches Beratungsgespräch zwischen Eltern und aufnehmender Schule vor, wobei die Eltern das letzte Wort haben. Die FDP-Fraktion will die verbindliche Grundschulempfehlung nur als „ultima ratio“ wieder in Kraft setzen, wenn mehr Elternberatung und Stützkurse an weiterführenden Schulen die Sitzenbleiberquoten nicht deutlich absenken.