Hardy Faisst (links) und Markus Mendel sind zu Liquidatoren gewählt. Foto: Borho Foto: Schwarzwälder-Bote

Soziales: Um den Kranken- und Sterbegeldunterstützungsverein ranken sich viele Anekdoten

Um den Kranken- und Sterbegeldunterstützungsverein, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) ranken sich zahlreiche Anekdoten. Er zählt zu den ältesten Vereinen am Ort. Ein Blick in die Annalen enthüllt höchst Interessantes.

Lauterbach. Im Zuge großer Industrie-Ansiedlungen in den Jahren 1860 bis 1875 wurde 1869 ein sogenannter "Leseverein" gegründet, der relativ schnell in "Krankenunterstützungsverein" umgetauft wurde. Zu dieser Zeit konnten längst noch nicht alle Bürger lesen. Das offene Kaminfeuer, die rauchende Petroleumlampe, oder qualmender Kienspan dienten als einzige Lichtquelle.

Eine gesetzliche Sozialversicherung war undenkbar. Der Mann als "Herr im Haus" war alleiniger Ernährer der Familie und die Frau hatte am Herd zu sein. In einem Krankheitsfall reichte ein kleiner Obolus zur Ernährung der Familie nicht aus. Nöte und Probleme waren die Folge. Der "Krankenunterstützungsverein" sorgte dafür, dass mit einem Stollen Brot pro Tag die ärgste Not gelindert war und die Familie über die Runden kam. Der Verein zählte im April 1870 20 männliche Mitglieder. Frauen hatten keinen Zutritt. Ähnliche Vereine entstanden damals vielerorts. Die Unternehmer begrüßten diese Entwicklung und Reichskanzler Otto von Bismarck (1871 bis 1890) erkannte den Wert dieser Vereine, was schließlich auch zur Gründung der gesetzlichen Krankenversicherung beitrug. Die Vereine verkörperten auch insofern eine soziale Komponente, als die Mitglieder zumindest bei Versammlungen einen willkommenen Grund zu einem Wirtshausbesuch hatten. Im ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) wurden an den letzten Deutschen Kaiser Wilhelm II (1888 bis 1918) aus der Vereinskasse 1500 Reichsmark "Kriegsanleihe" überwiesen.

Zusammenschluss

Während der Inflation erhielt ein Mitglied namens August Dettling anno 1932 für 10 Tage Krankheit ein Krankengeld von 150 Millionen Reichsmark ausbezahlt. Parallel zum Krankenunterstützungsverein wurde 1905 der Arbeiterunterstützungsverein gegründet. In den Jahren von 1960 bis 1962 erfolgten zwei Jahre lang Verhandlungen über einen Zusammenschluss beider Vereine. Dank der klugen Verhandlungsführung durch den neutralen Anton Roming erfolgte ein Zusammenschluss und es schlug die Geburtsstunde des Kranken- und Sterbegeldunterstützungsverein. Jedem Mitglied wurden im Krankheitsfall zwei Deutsche Mark pro Tag und im Sterbefall 100 Deutsche Mark ausbezahlt. "Das Buch mit 148 Jahren Geschichte wird endgültig zugeschlagen" stellte der Vorsitzende Hardy Faisst in einem Gespräch mit unserer Zeitung fest. "Die Arbeit derer, die den Verein in den zurückliegenden Jahrzehnten geleitet haben, ist aller Ehren wert", sagte er.

Stellvertretend nannte Hardy Faisst den Gründungs-Vorsitzenden Xaver Haas, den langjährigen Vorsitzenden Rudi Ertl (1962 bis 1980), den Ehren-Vorsitzenden Hans Schondelmaier (1980 bis 2005) und den Ehren-Kassier Eugen Moosmann (1969 bis 2007). Die Altersstruktur des Vereins sei immer älter geworden und die demografische Entwicklung habe steigende Sterbefälle zur Folge. Um den Verein am Leben zu halten, wären 150 neue Mitglieder erforderlich. Erschwerend komme hinzu, dass das Vorstands-Gremium nicht adäquat neu besetzt werden kann. Im Übrigen sind noch eine Reihe vereinbarter Versicherungsfälle abzuwickeln. Die Aufsichtsbehörde beim Regierungspräsidium Karlsruhe habe einer Auflösung zugestimmt.

Einfache Mehrheit

Nachdem die erste außerordentliche Hauptversammlung zur Vereinsauflösung vor 14 Tagen nicht beschlussfähig war, erfolgte im Gasthaus Mühlenstube eine Neuansetzung. Von den 172 Mitgliedern folgten 17 Mitglieder der Einladung. Bei der zweiten außerordentlichen Hauptversammlung genügte die einfache Mehrheit. Die geheime Abstimmung zur Auslösung fiel einstimmig aus. Vorsitzender Hardy Faisst und Kassier Markus Mendel wurden zu Liquidatoren gewählt.

Ihnen fällt die schwere Aufgabe zu, in den kommenden zwei Jahren die Liquidation abzuwickeln. Sollte am Ende der vollständigen Abwicklung mit der Regulierung aller Ansprüche noch ein Restbetrag übrig bleiben, soll dieser einem vergleichbaren Verein zugeführt werden. Es ist hierbei an die Hospizgruppe Schramberg gedacht.