Die närrische Gerichtszene im Sitzungssaal des Lauterbacher Rathauses mit Richter Rolf Buchholz (rechts) sowie dem "Angeklagten" Rüdiger Kocholl und seinem geistlichen Beisatand Anton Cingia (ganz rechts) Foto: Borho Foto: Schwarzwälder-Bote

Narrengericht: Pfarrer in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen / Als Buße Zehn-Minuten-Predigt in der Franziskus-Kapelle

Von Georg Borho

Lauterbach. Das erste Lauterbacher Narrengericht stieß auf riesiges Interesse. Ob dies am Phänomen des Neuen, am prominenten Angeklagten, oder gar an seinen angeblichen Verfehlungen lag, sei dahingestellt.

Vor dem Rathaus hatte sich bereits eine Menschenschlange gebildet, als die närrische "Eintracht", zusammen mit Stumphosen, Beerle Ma und Hochsteiger Hexen anmarschierten. Drinnen im Sitzungssaal und Foyer herrschte dichtes Gedränge.

Die Spannung steigerte sich, als der vorsitzende Richter Rolf Buchholz und die beiden anklagenden Staatsanwälte Ingo Maurer und Frank Schwendemann sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnten. Der Angeklagte, Stadtpfarrer Rüdiger Kocholl, und sein geistlicher Beistand Anton Cingia wurden vom Büttel vorgeführt.

Punkt für Punkt wurde die Anklageschrift verlesen und stichhaltig begründet. Der Angeklagte Kocholl schädige die Ökobilanz der Gemeinde Lauterbach nachhaltig, da er sich stets zur Aussegnungshalle chauffieren lasse. Der Verlust des Zusatzes "Luftkurort" schwebe wie ein Damoklesschwert über der Gemeinde. Kocholl wusste sich geschickt zu verteidigen. So habe er schon vor langer Zeit angeregt, die Pfarrkirche St. Michael mit einer Seilbahn zur Aussegnungshalle zu verbinden, was durchaus ein Tourismusmagnet hätte werden können. Dieser Vorschlag sei nur deshalb verworfen worden, weil es im Ort niemand gebe, der die Statik berechnen kann.

Kocholl wurde vorgeworfen, noch nie einen Zunftball in Lauterbach besucht zu haben. Er bedauere, so Kocholl, dass es wegen der Kirchenfasnet im Schramberger Marienheim stets zu Terminüberschneidungen komme. Des Weiteren wurde ihm vorgeworfen, ihm mangele es an Interesse an den Außenstellen der Ortskirche St. Michael und meide die Flurprozessionen und die Maiandacht des Schwarzwaldvereins auf der Bergkapelle.

Dieser Anklagepunkt traf Kocholl mitten ins Herz. Ob seiner Körperfülle tue er sich schwer, den steilen Weg hinauf zur Bergkapelle zu besteigen. Da er wisse, dass die bezaubernde Gattin des Präsidenten begeisterte Reiterin sei und sogar über ein eigenes Pferd verfüge, ergebe sich doch die Möglichkeit, ihm das Pferd zu leihen, um hinaufreiten zu können.

Außerdem wurde Kocholl zur Last gelegt, Ausschnitte seiner besten Predigten stammten aus dem Internet, und er wandle auf den Spuren Karl Theodor von Guttenberg und der Annette Schavan. Das Kopieren habe seit dem Mittelalter eine gute und lange wissenschaftliche Tradition, entgegnete Kocholl. Im Übrigen hätten sich ausgerechnet die Parteigänger des Präsidenten diesbezüglich nicht mir Ehre bekleckert.

Kocholl sei an seinen arbeitsfreien Montagen in der Bachstube einer regionalen Großbäckerei beim Brezelbacken gesichtet worden, was fotografisch belegt werden konnte, und habe sich der Schwarzarbeit schuldig gemacht, lautete der nächste Anklagepunkt. Da er von der Berufsbekleidung her ein Schwarzer sei, sei es folgerichtigl, von Schwarzarbeit zu reden. Da habe das hohe Gericht allerdings etwas nachlässig recherchiert, fand Kocholl. Schließlich habe er die heimische Wirtschaft unterstützt, zumal es sich um einen katholischen Unternehmer gehandelt habe.

Der geistliche Beistand Kocholls, Anton Cingia, berief sich auf den Papst, der ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen habe, und das Schlupfloch der Barmherzigkeit mache die Herzen weit. Kocholl könne als Gottesmann zwar alles ertragen, dennoch sollte kein ungerechtes Urteil gefällt werden.

Dies fruchtete so gut wie nichts. Die narrenrätlichen Geschworenen befanden einstimmig Kocholl in allen Anklagepunkten für schuldig. Der vorsitzende Richter Rolf Buchholz verlas das Urteil. Kocholl wurde verurteilt, noch am Samstag dem Narrenrat eine Runde Bier zu spendieren und für die Narrenzunft Lauterbach in der Franziskus-Kapelle auf dem Imbrand eine Maiandacht mit einer Predigt von mindestens zehn Minuten, aber nicht länger als elf Minuten, zu halten.