Schüler des Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums spielen zum Auftakt der Veranstaltung Forum Bildung „Wozu noch alten Sprachen?“ antiken Theaterunterricht Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Für das Lateinische spricht mehr als nur der Hinweis auf Sprachgefühl oder auf logisches Denken, die durch Latein geschult werden: Warum es auch heute noch lohnend ist, Latein zu lernen.

Stuttgart - Für alte Sprachen werben, von denen viele Leute behaupten – vielleicht sogar eine Mehrheit –, sie seien mausetot? Heute, im Jahre 2015, wo man Besseres zu tun hat? Mehr als 2000 Jahre nachdem der Gallische Krieg geschlagen ist? Schwierig! Es spricht so vieles dagegen: die Ökonomie, der Aufwand, die Lust, der Zeitgeist.

Dabei steht es um die alten Sprachen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Noch immer haben in Baden-Württemberg mehr als 30 Prozent der Gymnasiasten Lateinunterricht. Seit einigen Jahren jedoch gehen die Anmeldezahlen zurück. Im Schuljahr 2008/2009 lernten 11,8 Prozent der Fünftklässler Latein, im vergangenen Schuljahr waren es noch 7,9 Prozent. Ähnlich verläuft die Entwicklung an den Gymnasien, die Latein ab Klasse sieben und acht anbieten. Der Anteil der Schüler, die sich zusätzlich für Altgriechisch entscheiden, bewegt sich auf niedrigem, aber konstantem Niveau. Das Kultusministerium wirkt um Fürsprache bemüht. Es versichert: „Wir messen den altsprachlichen Fächern eine hohe Bedeutung zu.“

Denn natürlich ist es nicht zu übersehen, dass die alten Sprachen unter Rechtfertigungsdruck stehen. So wird in immer weniger Studienfächern ein Lateinnachweis verlangt. Angesichts steigender Anforderungen im verkürzten, achtjährigen Gymnasium besteht zudem die Tendenz, in den alten Sprachen unnötigen Ballast zu sehen. Zumal ständig neue Aufgaben an die Schulen herangetragen werden: die Schüler fit fürs Leben zu machen oder ihnen Wirtschaft beizubringen.

Wer dagegenhält, Lateiner seien im Vorteil, weil sie später auf langweiligen Stehpartys oder bei „Wer wird Millionär?“ mit Seneca und Cicero auftrumpfen könnten, wird die alten Sprachen kaum zum Leben erwecken. Schlagkräftiger sind die klassischen Argumente, auch wenn sie – wie die Sprache selbst – oft antiquiert wirken: der Hinweis auf das Sprachgefühl oder auf das logische Denken, die durch Latein geschult werden.

Das stärkste Argument pro Latein enthält jedoch keinen unmittelbaren praktischen Nutzen; es besteht in einem „unverzweckten Bildungsbegriff“, den der württembergische Landesbischof Frank Otfried July vergangene Woche bei einer Veranstaltung der Stuttgarter Nachrichten zum Thema alte Sprachen herausstellte. Die Gesellschaft müsse aufpassen, dass sie bei der Bildung nicht nur die Elle ökonomischer Werthaltigkeit anlege, sagte July. Dahinter steht kein frommes Denken, sondern eine reifliche Überlegung, die von der US-Philosophin Martha C. Nussbaum geteilt wird. Sie warnt davor, Bildungspolitik an ökonomischen Interessen auszurichten und die Geisteswissenschaften als störendes Hindernis zu sehen.

Das sind sie nicht, wie der HP-Aufsichtsratschef Menno Harms, ein Mann der Wirtschaft, festgestellt hat. Im Gegenteil: Eine breite Grundlagenausbildung, einschließlich der alten Sprachen, ist demnach geeignet, einer geistigen Verarmung vorzubeugen. Ihr Wert erschließt sich gewissermaßen zeitversetzt. Im besten Fall weitet die Grundlagenbildung den eigenen Horizont: Der Literaturprofessor Hubert Herkommer formuliert treffend: „Werden die alten Sprachen, insbesondere das Latein, für überflüssig erklärt, so verbaut sich die Gesellschaft den Zugang zu einer Tradition, aus der sie über viele Jahrhunderte ihre Visionen schöpfte.“ Das aufgeklärte Europa kann gewissermaßen nicht ohne.

Dieses Erbe gilt es noch stärker ins Zentrum – auch des Unterrichts – zu rücken. Gerade in Zeiten der Verunsicherung. Vorderhand geht es um den Ablativ, im Kern um die Grammatik Europas.

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