Will Jobs vermitteln: die Arbeitsagentur Foto: dpa

Wer keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, ist laut Experten am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen – trotz der guten wirtschaftlichen Lage. Der Südwesten ist das beste Beispiel dafür. Jeder dritte Arbeitslose ist länger als ein Jahr ohne Job.

Wer keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, ist laut Experten am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen – trotz der guten wirtschaftlichen Lage. Der Südwesten ist das beste Beispiel dafür. Jeder dritte Arbeitslose ist länger als ein Jahr ohne Job.

Stuttgart - Männlich, über 50, schlecht qualifiziert, sucht. Die Beschreibung trifft auf viele Langzeitarbeitslose im Land zu. Fast jeder zweite von ihnen hat keine berufliche Ausbildung. „Hinzu kommen oft weitere sogenannte Vermittlungshemmnisse wie Krankheit, ein pflegebedürftiger Angehöriger, alleinerziehend oder ein Migrationshintergrund“, sagt Olaf Bentlage von der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit. Je mehr Ursachen zusammenträfen, desto aussichtsloser werde die Vermittlung. Das betrifft im Südwesten bis zu 25 000 Menschen.

Landesweit gab es im März 236 154 Arbeitslose, 71 516 davon waren länger als ein Jahr ohne Beschäftigung. Das entspricht 30,3 Prozent. Obwohl das Land mit der Quote unter dem Bundesdurchschnitt (35,2 Prozent) lag und auf Platz zwei hinter Bayern, sind Experten besorgt. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen steigt in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs mit insgesamt weniger Arbeitslosen stetig. Wie im Südwesten, wo die Wirtschaft brummt.

Fester Kern an Langzeitarbeitslosen

„Wer heute arbeitslos wird, hat sehr gute Chancen, schnell wieder eine Arbeit zu finden“, sagt Christopher Haag vom Jobcenter Stuttgart. An Langzeitarbeitslosen geht der Aufschwung dagegen vorbei oder er erreicht sie zeitverzögert. 2009 waren 24,2 Prozent der Arbeitslosen ein Jahr und länger ohne Job, 2013 bereits 30 Prozent. Im Jobcenter, das im Monat durchschnittlich 600 Arbeitslose vermittelt, habe sich ein fester Kern an Langzeitarbeitslosen herausgebildet, sagt Haag.

Die Einrichtung betreut rund 39 500 Menschen in Stuttgart, darunter 12 500 Arbeitslose, von denen die Hälfte langzeitarbeitslos ist. „Wenn sie Arbeit finden, dann oft nur kurzzeitig und in prekären Beschäftigungsverhältnissen.“

Dass gerade gering Qualifizierte trotz der guten Konjunktur immer schwerer eine Arbeit finden, machen Experten an einem Strukturwandel fest: Wegen des technischen Fortschritts werden immer mehr einfache Tätigkeiten ausgelagert oder automatisiert und fallen zugunsten komplexer Aufgaben weg. Angelernte, die vor 20 Jahren am Band eine Maschine bedient haben, werden von ausgebildeten Mechatronikern abgelöst.

"Wohlstand hängt an hochwertigen Arbeitsplätzen"

„Unser Wohlstand hängt an hochwertigen Arbeitsplätzen. Azubis lernen heute in ihrer Lehre mehr, als sie später brauchen“, sagt Oliver Kreh, bei der IHK Region Stuttgart zuständig für Volkswirtschaft. Umgekehrt sehen Experten Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung am stärksten von Arbeitslosigkeit bedroht.

Studien bestätigen die steigende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften – Fachkräften und Akademikern – bei fast allen Tätigkeiten. „Auf den übrigen Qualifikationsstufen geht der Personalbedarf – mehr oder weniger stark – zurück“, sagt das Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos. Es hat den Qualifizierungsbedarf für die Jahre 2015 und 2030 in Baden-Württemberg untersucht.

Viele Arbeitgeber sind wenig flexibel

Experten sagen, dass man die Potenziale Langzeitarbeitsloser wie Betriebswissen oder Zuverlässigkeit nutzen muss. Unverändert hoch seien aber die Anforderungen der Arbeitgeber, sagt Haag vom Jobcenter. „Sie zeigen wenig Bereitschaft, bei Bewerbern auf eine formale Ausbildung zu verzichten.“ Die Bereitschaft wachse allenfalls in Bereichen mit akutem Personalmangel, etwa im Pflegesektor. Geht es nach dem Jobcenter, sollten Firmen Langzeitarbeitslosen mehr Praktika anbieten und einen Teil der Stellen so strukturieren, dass sie mehr als bisher auf die Stärken der Arbeitsuchenden zielen.

Thorsten Würth vom Arbeitgeberverband Südwestmetall sieht das etwas anders. „Man kann von Unternehmen nicht einfach verlangen, dass sie ihre Anforderungen zurückschrauben.“ Gleichwohl stehe man bei den Langzeitarbeitslosen am Anfang. Würthbegrüßt das Landesprogramm „Gute undsichere Arbeit“. Es wurde initiiert, weil die bestehenden Programme besonders für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose nicht fruchteten. Es läuft bis Ende 2014. 20 Millionen Euro kommen dafür aus dem Europäischen Sozialfonds, mehr als 15 Millionen Euro schießt das Land zu.

Einer der fünf Bausteine, der Passiv-Aktiv-Tausch, ist ein Modellprojekt im Land, das bereits 500 Langzeitarbeitslosen eine Arbeit verschafft hat. Dabei werden passive Leistungen wie Hartz IV umgewandelt in Zuschüsse für Arbeitgeber, die Langzeitarbeitslosen im Gegenzug eine sozialversicherungspflichtige Arbeit geben.

Betriebsinterne Kurse für Langzeitarbeitslose

Solche Projekte klappen nach Ansicht von Würth nur dauerhaft, wenn beide Seiten genug sozialpädagogische Betreuung erhalten, etwa dabei, einen geregelten Arbeitsalltag zu finden. Das gelte auch für das geplante Förderprogramm der Bundesregierung für 30 000 Hartz-IV-Bezieher. Andererseits müsse man vor allem kleineren Firmen Möglichkeiten zur Qualifizierung der Mitarbeiter aufzeigen, „besonders zur Nachqualifizierung von Un- und Angelernten“, sagt Würth. An betriebsinternen Kursen könnten zunehmend auch Langzeitarbeitslose teilnehmen. Betriebe sollen aber nicht die Aufgaben der Jobcenter übernehmen müssen.

Im Südwesten haben von den 25- bis 35-Jährigen 15 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Hälfte von ihnen ist arbeitslos, 13 Prozent haben eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Diese Personen halten sich oft mit Aushilfsjobs oder Fließbandarbeiten über Wasser, sagt Bentlage von der Arbeitsagentur. „Die Jobs sind zwar gut bezahlt, aber in der nächsten Krise fallen sie weg.“ Oder eine Maschine übernimmt die Arbeit.

Schlechte Noten mit guter Arbeit ausgleichen

Um daher möglichst viele Jugendliche an eine duale Ausbildung heranzuführen, hat die IHK Region Stuttgart etliche Projekte: Bildungspartnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen, Ausbildungsbotschafter, die Schülern von ihrem Beruf berichten. Derzeit bemüht sich die IHK, „den Übergang zwischen Schule und Ausbildung weiterzuentwickeln“, sagt Martin Frädrich,Geschäftsführer der Abteilung Beruf und Qualifikation. Das richtet sich an junge Leute, die nach dem Abschluss nicht gleich eine Ausbildung finden.

Zum Beispiel soll das Berufsvorbereitungsjahr mehr praktische Phasen beinhalten, um Jugendliche besser auf einen Beruf vorzubereiten „Oft werden Noten zweitrangig, wenn Firmen während eines Praktikums merken, dass einer es trotzdem schaffen kann“, sagt Frädrich.