Die Diskussion über die Demonstration Russlanddeutscher auf dem Rathausplatz gegen Flüchtlinge reißt nicht ab. Foto: sb

Diskussion über Demonstration Russlanddeutscher gegen Flüchtlinge reißt nicht ab. Kommunalpolitiker zeigen sich besorgt.

Lahr - In verschiedenen deutschen Städten waren Russlanddeutsche auf die Straße gegangen, um gegen eine angebliche, von der Polizei dementierte Vergewaltigung eines 13-jährigen, aus Russland stammenden Mädchens in Berlin zu demonstrieren. 

Rund 350 Menschen haben sich nach Angaben der Polizei an der Demonstration in Lahr beteiligt (wir haben berichtet). Oberbürgermeister Wolfgang G. Müller machte gegenüber unserer Zeitung noch einmal deutlich, dass die Demo auf der Verbreitung einer Falschmeldung basierte. Er verurteilte die damit einhergehende Instrumentalisierung von Menschen, um sie gegeneinander aufzustacheln und auszuspielen, offensichtlich auch aus politischen Motiven. "Das macht mir Sorgen."Schließlich sei bei der Demo auch dazu aufgefordert worden, bei der Landtagswahl am 13. März keine der etablierten Parteien zu wählen.

"Ich warne davor, nun wieder alte Diskussionen zu führen", sagte er mit Blick auf den Integrationsprozess der Spätaussiedler. "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das Leben mit ihnen in Lahr gut funktioniert, wir haben hier einen guten Stand." Bei der Demo hätten nur wenige das Wort ergriffen. "Ich hatte den Eindruck, dass meine Worte von vielen aufgenommen wurden", so Müller. Er verstehe die Verunsicherungen vieler Bürger, die seit Monaten auf Antworten aus Berlin und Brüssel warten.  Müller selbst hat "einen großen Respekt"davor, was Deutschland als Gesellschaft die kommenden Jahre bevorstehe. Auf der anderen Seite wisse Lahr, was Eingliederung bedeute. Müller sagte, dass die Verwaltung weiter für Gespräche offen sei und bei allen Fällen von zum Beispiel Belästigungen die Polizei verständigt werden sollte.

"Nur so ist es möglich, eine Faktenlage zu schaffen, ohne dass Gerüchte und Ängste geschürt werden."  Die Verwaltung wolle sich darüber hinaus noch mit der Polizei zusammensetzen, um die Demo aufzuarbeiten. Dabei soll es zum Beispiel um weitere Erkenntnisse zum Ablauf der Demo, aber auch zu den Wortführern gehen. Müller: "Vielleicht handelt es sich dabei ja nicht einmal um Spätaussiedler, ich zumindest habe keinen von ihnen gekannt."Darauf aufbauend soll diskutiert werden, wie der weitere Dialog mit den Spätaussiedlern geführt wird.Mitglieder des Gemeinderats lobten unisono den Oberbürgermeister für dessen couragierte Äußerungen  im Dialog mit den Demonstranten und für  sein Eintreten für Flüchtlinge.

Wie erklären sich  Lahrer Kommunalpolitiker, dass die Russlanddeutschen gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen? "Die Angst vor Fremden greift um sich",    sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende   Roland Hirsch unserer Zeitung. Das Schlimme sei, dass einerseits die Demonstration auf einer  Fehlinformation beruhe, andererseits "die Rechte ihr Süppchen kocht und Hass und Sozialneid schürt". Man müsse versuchen, dem mit Offenheit und Transparenz begegnen. Hirsch: "Wir müssen aufpassen, dass der gesellschaftliche Friede nicht durch rechte Agitation gefährdet wird."

Eberhard Roth, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, sieht zwei Ebenen: Auf europäischer Ebene müssten Lösungen gefunden werden, um den Zuzug von Flüchtlingen zu regeln. Für die kommunale  Ebene  sei ein Verteilungsschlüssel für die Unterbringung der Flüchtlinge notwendig: "Da müssen sich alle Gemeinden in der Ortenau beteiligen", fordert Roth. "In Kippenheimweiler haben wir Erfahrungen mit Integration", so der frühere Ortsvorsteher mit Blick auf die Spätaussiedler. So müsse man jetzt auch mit der Integration von Flüchtlingen umgehen.

Ängste sollen abgebaut werden

"Die Demonstration zeigt, dass es leider bei vielen Russlanddeutschen noch eine völkische Weltsicht gibt", sagte Claus Vollmer, Fraktionssprecher der Grünen. Das sei generell in Deutschland ein Problem. Wer   selbst  in einer solchen Situation war, neige  dazu, "andere  Menschen, die aus fremden Ländern kommen, abzulehnen", so Vollmer.  OB Müller habe zurecht die russlanddeutschen Teilnehmer der Demonstration daran erinnert, "dass sie selbst einmal Flüchtlinge waren und in Lahr freundlich aufgenommen wurden". Bei der Integration der Aussiedler habe es Probleme gegeben.

Solche Probleme seien auch bei den Flüchtlingen nicht zu vermeiden.Lukas Oßwald (Linke Liste) verwies darauf, dass mehrere Rechtsaktivisten am Aufruf zu den Demonstrationen  in den verschiedenen Städten beteiligt waren. "Es war gut, dass der OB da war und sich positioniert hat", so Oßwald. Klar sei, dass es bei den Russlanddeutschen Ängste gebe. Angst komme von Unsicherheit. "Man muss die Ängste ernst nehmen  und sehen, wie man ihnen begegnen kann", fordert der Stadtrat. Es wäre gut, wenn Aussiedler stärker in die Kommunalpolitik einbezogen würden.

"Ich bezweifle aber, dass alle Russlanddeutschen in Lahr so denken", so Oßwald mit Blick auf die Demonstranten. Deshalb glaube er auch, dass diese Demonstranten ihren Landsleuten einen Bärendienst erwiesen haben. Man müsse versuchen, vorhandene Ängste abzubauen. Oßwald schlägt deshalb vor, Möglichkeiten der  Begegnung zwischen Russlanddeutschen und Aussiedlern zu schaffen.

Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland weist  darauf hin, sie habe  die zahlreichen Kundgebungen am  Wochenende weder organisiert, noch habe sie zur Teilnahme daran aufgerufen. "Wir sind sehr darüber in Sorge, dass die jüngsten Ereignisse in den Medien und der Gesellschaft ein verzerrtes Bild unserer Landsleute entstehen lassen. Wir warnen eindringlich davor, das Verhalten nicht repräsentativer Gruppen auf die gesamte Personengruppe der Deutschen aus Russland zu übertragen", heißt es in der Stellungnahme der Landsmannschaft weiter.