Heutzutage muss die Küche groß, offen und sehr schick gestaltet sein. Foto: StN

Wer in vergangenen Zeiten die Bewunderung anderer suchte, fuhr im schicken Wagen durch die Stadt. Wer heute was auf sich hält, steigt aufs Fahrrad um und teilt sich mit anderen ein Auto. Stattdessen wird in die eigene Wohnung investiert, vor allem in die Küche.

Wer in vergangenen Zeiten die Bewunderung anderer suchte, fuhr im schicken Wagen durch die Stadt. Wer heute was auf sich hält, steigt aufs Fahrrad um und teilt sich mit anderen ein Auto. Stattdessen wird in die eigene Wohnung investiert, vor allem in die Küche, samt Granitarbeitsplatte und Induktionskochfeld.

Da Zeit zum größten Luxus geworden ist, ist es schick, sich wieder selbst in die Küche zu stellen. Ambitionierte Hobbyköche wecken selbst geerntete Früchte ein, verpacken Fisch in Salzkruste und laden Freunde zum gemeinsamen Mahl. Oft wird das Ergebnis vor dem Verzehr fotografiert und in sozialen Netzwerken oder im eigenen Blog im Internet präsentiert. Als virtuelle Gegenleistung gibt es den Beifall der Netzgemeinde: Daumen rauf – „Gefällt mir!“.

Homing nennt man den seit gut zehn Jahren grassierenden Trend, das eigene Zuhause aufzuhübschen. Im Zuge dessen wird die Küche nicht mehr im hintersten Eck der Wohnung versteckt. Im Gegenteil. Das häusliche Herdfeuer hat sich zum Mittelpunkt des Heims gemausert, oft verschmolzen mit Wohn- und Esszimmer zu einem einzigen großen Bereich. „Social Space“ (sozialer Raum) nennen Innenarchitekten diesen Teil der Wohnung. Ihn ergänzt der „Intimate Space“, der private Bereich aus ineinander übergehendem Bad und Schlafzimmer. „Nicht nur in Neubauten ist die Kombination aus Kochen, Essen und Wohnen das Maß aller Dinge. Die Verbraucher fangen auch immer häufiger an, ihr Zuhause gezielt zu renovieren“, sagt Kirk Mangel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche (AMK), des Verbands der Küchenhersteller und des Küchenhandels in Deutschland. Ganz oben auf der Wunschliste stehe dabei ein zur Küche offener Wohnraum.

57 Prozent der Deutschen wünschen sich eine tolle Küche

Die Zahlen des Kelkheimer Zukunftsinstituts bestätigen diese Einschätzung. Einer Umfrage aus dem Jahr 2013 zufolge wünschen sich 57 Prozent der Deutschen „eine tolle Küche“. Das Auto als größter Traum landet mit 29 Prozent abgeschlagen auf Platz zwei. Interessant ist, dass andererseits nur 35 Prozent der Deutschen regelmäßig zu Hause kochen. Das hat wiederum das Institut für Demoskopie in Allensbach herausgefunden. Folglich existieren hierzulande beeindruckende Küchen, deren Besitzer kaum unfallfrei ein Spiegelei braten können. Wozu also der Aufwand? Weil jede Wohnung eben eine Küche braucht. Weil eine schöne Küche auch dann zu etwas gut ist, wenn nur der Kühlschrank benutzt wird. Sie versprüht Stil und lädt zum Verweilen ein. Ein Porsche beeindruckt ja schließlich selbst dann, wenn das Tempolimit bei 120 km/h liegt. Zur Not macht er auch geparkt eine gute Figur.

In der Küche muss nicht zwangsläufig nur gekocht werden. „Viele edle Küchen dienen tatsächlich nur noch als Treffpunkt, in die dann das frische Sushi geliefert wird“, sagt Christiane Friedemann vom Zukunftsinstitut. Die Küche ist heute ein oft frequentiertes Multifunktionszimmer: Kinder machen dort Schularbeiten, Mütter telefonieren, Väter surfen am Laptop. Dieser Allraum ist keine Erfindung der jüngsten Zeit, sondern ein alter Hut. Schon in mittelalterlichen Bauernhäusern war die Küche eine Mehrzweckstube, in der man sich traf, wo sogar geschlafen wurde. Denn Herdfeuer hat eine praktische Nebenwirkung: Es wärmt. Damals war die Küche der einzig beheizte und somit gemütliche Raum eines Hauses. Also drängelten sich alle dort. So wie heute auch.

In der Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts ändert sich dieses Prinzip. Die Menschen ziehen vom Land in die Stadt, wo im sozialen Wohnungsbau kein Platz mehr für große Wohnküchen ist. Zudem beginnt sich das gesellschaftliche Rollenbild zu wandeln. Die bisher am Herd stehende Hausfrau trägt nun auch zum Familienunterhalt bei und hat weniger Zeit für den Haushalt. Also wird an der Vereinfachung häuslicher Tätigkeiten getüftelt.

Die Architektin Margerete Schütte-Lihotzky entwirft die Urform der Einbauküche

Als Vorreiter dieser Entwicklung gilt Frankfurt. An das dortige Hochbauamt wird 1926 die österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky berufen. Die Wienerin plädiert dafür, die Lebensbereiche Arbeit und Erholung/Genuss räumlich strikt zu trennen. Inspiriert von US-Forschern tüftelt sie zudem daran, die Arbeit in der Küche zu rationalisieren. Ergebnis ihrer Forschung ist die sogenannte Frankfurter Küche, in der auf knapp sechs Quadratmetern Herd, Arbeitsbereich und Schränke so angeordnet sind, dass die Hausfrau alles mit wenigen Schritten erreichen kann. Statt einzeln stehender Möbel wird eine Zeile eingebaut, das spart Platz. Der Entwurf gilt als Urform der modernen Einbauküche.

Heute haben diese freudlosen Funktionskombüsen ausgedient. Das moderne Herdfeuer soll Spaß machen – Männern wie Frauen. In diesem Sinne arbeiten Forscher daran, negativ empfundene Arbeiten durch neue Technik angenehmer zu machen. Daher gibt es heutzutage selbstreinigende Backöfen und High-Tech-Küchenmaschinen, die einem das Schnippeln abnehmen. Zudem werden die positiven Aspekte des Kochens betont. Weil die meisten Leute gern im Topf rühren, rückt die Kochinsel in den Mittelpunkt. Darüber schwebt eine fast unsichtbar in die Decke eingelassene und per Fernsteuerung zu bedienende Hochleistungsdunstabzugshaube und saugt fiese Gerüche weg.

Geschirr, Töpfe und weitere Utensilien sind in Schubladen mit Einzugsdämpfung und perfekt organisierter Inneneinteilung aus heimischem Buchenholz verstaut. Umständliches Suchen entfällt. Die Armatur am in die Arbeitsplatte aus Granit eingelassenen Waschbecken kann auf Knopfdruck auch kochend heißes Wasser produzieren.

Ganz schnell kostet der Küchentraum 20 000 Euro

Die Spülmaschine ist wie alle Geräte nicht nur energiesparend, sondern auch extra leise, um im unmittelbar anschließenden Wohnzimmer nicht zu stören. Während der Hausherr nach Rezepten vom in die Wand eingelassenen iPad kocht, gruppieren sich die Gäste an einem Tresen mit Design-Barhockern. Die Getränke dazu kommen aus dem riesigen amerikanischen Kühlschrank mit integriertem Eiswürfelspender und Weintemperierbereich, dessen Schätze man durch stimmungsvoll beleuchtetes Glas bewundern kann.

Natürlich ist solch ein Traum nicht ganz billig. 20 000 Euro sind schnell in einer Küche verbaut. Die deutsche Durchschnittsküche kostet nach den Erhebungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) nicht ganz so viel: genau 7243 Euro – Tendenz steigend. Seit 1999 ermitteln die Nürnberger Statisten Jahr für Jahr allerlei Fakten rund ums Thema Küche. Aus den Daten lässt sich ablesen, dass der Küchenboom eine Folge der Wirtschaftskrise sein muss. „2008 markiert klar einen Wendepunkt“, sagt Jürgen Weirich, Manager bei der GfK für den Bereich Möbel. 2012 wiederum stiegen die Verkaufszahlen für Küchen der oberen Preisklassen sprunghaft an. Die Konsumforscher gehen davon aus, dass es sich dabei um Neuanschaffungen der älteren Generation handelt. Wer in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ein paar Euro übrig hat, renoviert lieber die eigene Wohnung, statt das Geld anzulegen. Zinsen gibt’s derzeit ja ohnehin nicht. Der Trend wird anhalten: Der hiesige Küchenbestand ist im Schnitt 12,7 Jahre alt und misst 13,3 Quadratmeter. Da geht noch was.

„2013 wurden in Deutschland 1,5 Millionen Küchen verkauft. Also an drei Prozent der Haushalte“, sagt Jürgen Weirich. Laut der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche hat die Branche im vergangenen Jahr zehn Milliarden Euro Umsatz gemacht – ein Rekord. „Rund 97 Prozent der in Deutschland verkauften Küchen stammen auch aus Deutschland“, sagt AMK-Geschäftsführer Kirk Mangels. Die hiesigen Hersteller gelten als die besten der Welt. Namen wie Bulthaup, Poggenpohl, Siematic, Leicht und Alno haben überall einen guten Klang.

Weiß ist nach wie vor besonders beliebt

Die ältere Generation bevorzugt beim Küchenkauf noch immer den Landhausstil. „Ansonsten geht der Trend zu grifflosen Lackfronten. Das wirkt im offenen Wohnraum sehr elegant und sieht weniger nach Küche aus“, sagt Maurice Del Missier, der im Küchenzentrum Rieth und Klettner in Waldenbuch für Konzeption und Beratung zuständig ist. Nach wie vor sei Weiß besonders beliebt. Kittbeige, Taupe und Grau sind im Kommen. Im Sinne der Frankfurter Küche wird auf Ergonomie geachtet, um umständliche Wege zwischen Kühlschrank, Herd und Spüle zu vermeiden. „Wichtig ist auch eine angenehme, dem Körper angepasste Arbeitshöhe“, sagt Del Missier. Bequemlichkeit für die Kunden ist Trumpf: Halbhoch eingebaute Spülmaschinen kann man leichter bestücken. Ein Induktionskochfeld putzt sich fast von selbst, weil nichts mehr überkocht und einbrennt. Und ein vom Waschbecken getrennter Abwasseranschluss für die Spülmaschine dämpft Geräusche beim Abpumpen des Wassers.

Was kann da die Zukunft noch bringen? „Neben dem Kochfeld in die Arbeitsplatte eingelassene Dunstabsauganlagen. Daran stößt man sich garantiert nicht den Kopf“, sagt Küchenplaner Del Missier. Kirk Mangels vom Küchenverband sieht in der Vernetzung der Elektrogeräte ein großes Thema: „Dann müssen Sie nie mehr zig Kilometer nach Hause fahren, um zu schauen, ob Sie den Herd wirklich ausgemacht haben. Dafür gibt es dann eine App.“ Christiane Friedemann vom Zukunftsinstitut könnte sich vorstellen, dass künftig „der Kühlschrank als zentrale Säule im Wohnraum die Küche abbildet und sich drum herum mobile Zubereitungs- und Speiseinseln gruppieren“. Also Kühlinsel statt Kochinsel.

Doch die Branche muss sich vor allem etwas für die weniger wohlhabenden Kunden einfallen lassen. Denn riesige Küchen kann sich nur leisten, wer Geld hat. Frei im Raum stehende Küchenblöcke brauchen Platz, und Platz ist teuer. Von der eigentlichen Küchenausstattung ganz zu schweigen. Die Generation der 20- bis 30-Jährigen hat nicht das nötige Geld und selten ihren Lebensmittelpunkt gefunden – eine zwingende Voraussetzung für eine Einbauküche. Kirk Mangels ist dennoch nicht bange: „Gerade junge Menschen, die viel arbeiten, wollen es in ihrer Freizeit angenehm haben – und investieren dann auch in eine schöne Küche. Diese kann beim Wohnortwechsel mitgenommen oder an den Nachmieter verkauft werden.“ Und dann gibt es für den modernen Nomaden ja auch noch die flexible Modulküche.