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Rektor der Hochschule Kehl spricht über Eigenschaften eines guten Schultes und erklärt, warum Bürger umdenken müssen.

Kreis Rottweil - Erst Wellendingen, dann Dietingen, Deißlingen, Zimmern, Dunningen, Aichhalden und Rottweil: In vielen Kommunen im Landkreis Rottweil waren die Bürger in den vergangenen Wochen und Monaten aufgerufen, einen Rathaus-Chef zu wählen. Mancherorts hatten sie eine echte Auswahl, andernorts stand der Wahlsieger als einziger Bewerber von vornherein fest. Woran liegt’s? Und wie muss ein Bürgermeister heutzutage sein? Die Antwort auf solche Fragen kennt Paul Witt, der Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl.

Herr Witt, gibt es noch so etwas wie den klassischen Weg ins Rathaus?

Ja. Es ist nach wie vor so, dass 85 Prozent der Bürgermeister in Baden-Württemberg gelernte Verwaltungsfachleute sind. Obwohl das Gesetz an Bürgermeister keine Anforderungen in fachlicher Hinsicht stellt. Dennoch wählt der Wähler bevorzugt Verwaltungsfachleute, von denen er den Eindruck hat, dass sie den Beruf fachlich können. Neben dem klassischen Diplom-Verwaltungswirt – oder Bachelor of Public Management, wie es heute heißt – und Juristen gibt es zwei Berufsgruppen, die öfter ins Bürgermeisteramt gewählt werden: Polizisten und Förster. Bei Polizisten geht man auch davon aus, dass sie das fachliche Wissen besitzen. Und in Baden-Württemberg gibt es 40 bis 50 Bürgermeister, die Forstwirtschaft studiert haben.

Was macht einen guten Bürgermeister aus?

Im Prinzip zwei Dinge: Er sollte fachlich qualifiziert sein, und er muss menschliche Qualitäten haben. Er muss ein offener Typ sein, auf Menschen zugehen und mit ihnen umgehen können. Er muss authentisch und ehrlich sein. Ich werde oft nach dem Verhältnis von fachlichem Wissen und sozialen Schlüsselkompetenzen gefragt. Das ist aber ganz unterschiedlich und kommt auf den jeweiligen Typ an.

Wie können sich Interessenten am besten auf solch ein Amt vorbereiten?

Es gibt Seminare, die sie besuchen können. Und es gibt Wahlkampfunterstützer, sogenannte Bürgermeister-Macher, die ein Rundum-sorglos-Paket verkaufen, die schreiben sogar die Reden. Das würde ich aber nicht in Anspruch nehmen als Kandidat. Eine gewisse Unterstützung allerdings braucht man: einen guten Fotografen, jemanden, der die Prospekte layoutet oder die Homepage erstellt. Wenn man sich zu sehr auf einen Bürgermeister-Macher verlässt, wenn der sogar die Reden schreibt, dann wirkt es nicht mehr authentisch. Die Tätigkeit als Gemeinderat ist zudem eine gute Vorbereitung auf das Amt.

Offenbar lassen sich aber immer mehr Bewerber von einem Bürgermeister-Coach beraten. Ist ohne professionellen Beistand keine Wahl mehr zu gewinnen?

Das mitnichten. Ich würde keinem raten, einen Bürgermeister-Macher zu engagieren, der alles macht. Das wirkt sonst, wie gesagt, nicht mehr authentisch. Es gab einen Kandidaten in Württemberg, der war leidenschaftlicher Porschefahrer. Dann hat ihm sein Berater empfohlen, er solle sich für die Zeit des Wahlkampfs einen VW Golf mieten und den Porsche zu Hause lassen. Das ist eine Woche vor der Wahl rausgekommen. Der Mann hatte keine Chance, gewählt zu werden. Das galt als unehrlich, nicht authentisch. Das Porschefahren allein disqualifiziert einen nicht als Bürgermeister. Bloß muss man dazu stehen. Das war ein Fehler des Bürgermeister-Machers.

Warum bewerben sich in manchen Orten viele Kandidaten, in anderen aber kaum jemand? Oder anders gefragt: Was macht eine Kommune attraktiv für einen Bewerber?

Das ist seltsam. Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich wundere mich manchmal, dass es in attraktiven Orten nur wenige Bewerber gibt und in scheinbar unattraktiven relativ viele. Im Endeeffekt ist das wichtig, was rauskommt: Wenn es einen guten Bewerber gibt, dann reicht das. Dann ist es halt so.

Was ist Ihre Beobachtung: Geht die Zahl der Bewerber im Land allgemein zurück?

Eindeutig nein. Wir haben das in einer groß angelegten Studie untersucht. Die Zahl der Bürgermeister-Bewerber ist gleich wir vor 30 Jahren. Das sagt aber nichts über die Qualität der Bewerber aus, die haben wir auch nicht untersucht. Bei vielen Wahlen gab es bisher einen Kandidaten der Nein-Partei (Anmerkung der Red.: die sich nach eigenen Angaben im April aufgelöst hat). Der zählt natürlich auch mit. Im Landesdurchschnitt liegt die Zahl der Bewerber bei vier bis fünf pro Wahl. Aber da sind natürlich Kandidaten dabei, die man bei objektiver Betrachtung nicht wählen kann.

Etliche ältere, langgediente Rathaus-Chefs gehen in Ruhestand. Oftmals waren sie in jeder Hauptversammlung und jeder Ortschaftsratssitzung anzutreffen, viele jüngere wollen das nicht mehr: Vollzieht sich gerade ein Generationswechsel in den Rathäusern?

Ja. Da muss die Bevölkerung auch ein bisschen umdenken. Ein Bürgermeister ist auch nur ein Mensch, ein Bürgermeister hat auch eine Familie und eine Gesundheit, auf die er achten muss. Diesen Dauereinsatz-Bürgermeister wird es nicht mehr geben. Das ist auch gar nicht schlimm. Er muss nicht in jeder Ortschaftsratssitzung dabei sein, dafür gibt es einen Ortsvorsteher, und nicht in jeder Hauptversammlung. Es werden in Zukunft auch immer mehr Frauen ins Amt kommen. Wenn die zwei kleine Kinder haben, da können sie auch gar nicht überall dabei sein. Es gibt gute Bürgermeisterinnen im Land, die gehen um 17 Uhr nach Hause, kümmern sich um ihre Kinder, und setzen sich dann um 20 Uhr noch einmal an den Computer oder gehen auf Veranstaltungen. Das muss man einfach akzeptieren. Vor drei Jahren gab es an unserer Hochschule ein Symposium zu dem Thema. Die älteren Bürgermeister sagten "Ihr habt doch schon vorher gewusst, dass man viel arbeiten muss in dem Beruf", die jüngeren wollten eine ausgeglichenere Work-Life-Balance. Aus meiner Sicht ist das ein berechtigter Anspruch. Aber den Kontakt zu den Bürgern darf man nicht verlieren.

Die erste Bürgermeisterin im Landkreis Rottweil überhaupt, Carmen Merz, hat am 3. Mai in Zimmern ihre Arbeit aufgenommen. Warum gibt es so wenige Frauen auf dem Chefsessel im Rathaus?

Weil nur so wenige kandidieren. Frauen haben genau dieselbe Chance, gewählt zu werden wie Männer, das haben wir untersucht. Wenn eine Frau gegen einen Amtsinhaber antritt, dann hat sie sogar bessere Chancen als ein männlicher Bewerber. In Baden-Württemberg sind fünf Prozent der Bürgermeister Frauen. Das liegt eindeutig daran, dass Frauen seltener kandidieren. Insbesondere junge Frauen, die eine Familie gründen, sehen das Problem, dass sie es möglicherweise nicht schaffen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Bei einer Umfrage unter Studentinnen in deren letztem Semester wollten wir wissen: "Können Sie sich vorstellen, Bürgermeisterin zu werden?" 18 Prozent sagten "Ja", 22 Prozent "Vielleicht" und 60 "Nein". Die nächste Frage war: "In welchem Alter?" Da haben fast alle angegeben: "Älter als 35." Dann sind die Kinder aus dem Gröbsten raus. Es wird also mehr Frauen im Amt geben, aber etwas ältere. Die Bürgermeisterin von Sasbachwalden beispielsweise wurde voriges Jahr mit 52 gewählt.

In Dunningen gab es den Fall, dass der gewählte neue Bürgermeister nach einem Jahr im Dienst dauerhaft krank geschrieben war. Nach über einem Jahr wurde er entlassen. Einen ähnlichen Fall gibt es in Frittlingen im Landkreis Tuttlingen. Müssen die Bürger nun vor jeder Wahl Angst haben, sich für den Falschen zu entscheiden?

Solche Fälle kommen relativ selten vor. Sie machen immer großen Wirbel in den Medien. Aber bei 1100 Bürgermeistern im Land sind das nur wenige Fälle im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Ich habe ein hohes Vertrauen in die Wählerschaft. Die wählt meistens richtig.

Gerade ist der Bürgermeister aus Epfendorf im Landkreis Rottweil, Peter Boch, zum neuen OB von Pforzheim gewählt worden. In seiner Gemeinde steht nun die bange Frage im Raum: Wer kommt danach? Die Befürchtung ist, dass angesichts vieler Wahlen mit wenigen Bewerbern im Umkreis das Feld der geeigneten Kandidaten abgegrast ist.

Ich glaube nicht, dass das der Grund sein kann, dass sich weniger Kandidaten bewerben.

Wie kommen Kommunen an geeignete Kandidaten?

Die klassische Vorgehensweise ist die Ausschreibung der Stelle im Staatsanzeiger. Dann gibt es noch Kandidatenpools bei den Parteien, an die man sich wenden kann. Ich werde auch immer wieder angerufen, weil wir Seminare für Interessenten am Bürgermeisteramt anbieten. Aber zum einen machen wir gerade keine klassischen Seminare mehr, zum anderen wollen die potenziellen Kandidaten größtmögliche Vertraulichkeit und nicht, dass ihre Namen weitergegeben werden. Jeder, der an einer Kandidatur interessiert ist, hat den Staatsanzeiger abonniert. So ganz viel kann man also gar nicht machen.

Bei der OB-Wahl in Rottweil gab es nur einen Bewerber: Amtsinhaber Ralf Broß. Vielen Bürgern hat das missfallen. Die Wahlbeteiligung lag bei gerade einmal 22,8 Prozent. Allerdings ist es doch sicher nicht Aufgabe des Oberbürgermeisters, sich einen Gegenkandidaten zu suchen?

Wenn der Amtsinhaber kandidiert und nicht umstritten ist, dann bewerben sich halt weniger Kandidaten. Das ist ganz normal. Wenn er einen ordentlichen Job macht, warum sollte man dann einen Gegenkandidaten scharf machen? Wenn ich schon Parteien in solch einem Fall beraten habe, habe ich gesagt: "Jeder Bewerber, den Ihr ins Rennen schickt, wird verheizt. Ist es ein guter, ist es schade um ihn. Ist es ein schlechter, machen sich die Unterstützer lächerlich." Wenn nur der Amtsinhaber kandidiert, ist die Wahlbeteiligung natürlich niedriger. Sind es unter 35 Prozent, ist es ein eher schlechtes Ergebnis.

Hat das Amt des Bürgermeisters aus Ihrer Sicht noch das Zeug zum Traumberuf?

Ja. Ich finde, der Bürgermeisterberuf ist der interessanteste, den die Verwaltung zu bieten hat. Ein Bürgermeister ist selbstständig und hat viel Gestaltungsspielraum. Er muss aber natürlich die Bürger und den Gemeinderat mitnehmen. Ich finde nach wie vor, es ist ein Traumberuf. Der natürlich auch Nachteile hat: Er ist zeitaufwendig und man hat nicht mehr so viel Privatheit, ist unter ständiger Beobachtung – auch der Partner und die Familie. Aber wenn man dazu bereit ist, dann ist das ein wirklich interessanter Beruf. n Die Fragen stellte Verena Parage.

Zur Person: Paul Witt

1980 macht Witt einen Abschluss als Diplom-Verwaltungswirt an der Fachhochschule Kehl. Anschließend arbeitet er als Sachgebietsleiter im Kommunalreferat des Regierungspräsidiums Freiburg. 1985 wechselt er ins Personalreferat.

1988 wird der heute 62-Jährige stellvertretender Leiter der Kommunalaufsicht im Landratsamt Emmendingen.

1992 erfolgt die Versetzung an die Kehler Hochschule. Er hat eine C2-Professur für Gemeindewirtschaftsrecht und Abgabenrecht inne.

1999 wird Paul Witt zum Prorektor ernannt, 2007 zum Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung. Schwerpunkt seiner Forschungen: Bürgermeister.

Info: Zahlen

Wahlbeteiligung

Der Staatsanzeiger Baden-Württemberg hat sich im April 2016 mit dem Thema Wahlbeteiligung befasst. In dem Artikel kommt Stefan Jenninger zu Wort, der für seine Masterarbeit an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg 995 Bürgermeisterwahlen im Südwesten ausgewertet hatte. Zwei seiner Ergebnisse: Je größer die Kommune, desto geringer die Wahlbeteiligung. Und findet die Bürgermeisterwahl am selben Tag statt wie ein anderer Urnengang, dann steigt die Beteiligung. Zudem heißt es im Staatsanzeiger: "Wenn bei der Ausschreibung auf die Formel ›der Amtsinhaber bewirbt sich wieder‹ verzichtet wird, führt das im Schnitt zu einer stärkeren Wahlbeteiligung." Statistisch gesehen ist demnach die Zahl der Wähler am höchsten, wenn sie sich zwischen fünf Kandidaten entscheiden können. Eine Analyse der Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg in den Jahren 2010 bis 2015, veröffentlicht im Statistischen Monatsheft 1/2017, hat ergeben, dass bei jeder Entscheidung durchschnittlich 2,5 Kandidaten antraten. Bei 31 Prozent aller Wahlen, 813 waren es insgesamt, gab es nur einen Kandidaten.

Frauen im Chefsessel

70 Prozent der Studierenden an den Verwaltungshochschulen in Kehl und Ludwigsburg sind mittlerweile weiblich. Allerdings sind laut Stefan Jenningers Untersuchung nur zehn Prozent der Bürgermeister im Südwesten Frauen. Paul Witt beziffert die Zahl der Rathaus-Chefs mit insgesamt rund 1100.