Was passiert mit den Chören, wenn die Musikhochschule Trossingen weniger wird? Wo kommen die Dirigenten her? Foto: Archiv

Trossingen soll nicht als "Voll"-Musikhochschulen erhalten bleiben. Oft stehen Studenten an Spitze.

Kreis Rottweil/Trossingen - Buhrufe und Pfiffe statt Harmonie: Das drohende Beinahe-Aus der Musikhochschule Trossingen sorgt für Unmut – auch in Gesangvereinen im Landkreis Rottweil. Viele rekrutieren ihre Dirigenten in Trossingen. "Wir sitzen ein bisschen wie auf Kohlen", sagt Joachim Walter, der Vorsitzende des "Liederkranz" Deißlingen. Dabei hätte er eigentlich beruhigt in den Urlaub fahren können: Sechs Wochen vor den Sommerferien hatte der neue Chorleiter Valentin von Witzleben den Taktstock übernommen. Ein junger Mann, der in Trossingen Schulmusik studiert und noch am Anfang seiner Ausbildung steht. "Wir haben eine Perspektive mit ihm", meint Walter und hofft auf vier gemeinsame Jahre.

Inzwischen allerdings muss Joachim Walter fürchten, das Wörtchen "haben" in Verbindung mit der Perspektive durch "hatten" ersetzen zu müssen: Seit Mitte Juli ist bekannt geworden ist, dass die grün-rote Landesregierung an den Musikhochschulen sparen möchte.

Von den bisher fünf Standorten sollen drei als "Voll"-Musikhochschulen erhalten bleiben – Freiburg, Karlsruhe und Stuttgart – Mannheim und Trossingen sich dagegen künftig auf bestimmte Bereiche konzentrieren. Aus der Musikhochschule Trossingen soll eine landesweite Akademie werden, bis auf die Fächer "Alte Musik" und "Elementare Musikpädagogik" bleibt nichts übrig von den bislang 29 Studiengängen.

Valentin von Witzleben müsste sich dann einen anderen Studienort suchen. Und der "Liederkranz" stünde wieder ohne einen Dirigenten da. Deshalb sitzt Joachim Walter wie auf Kohlen.

Ähnlich geht es seinem Kollegen Rudi Höfler aus Aichhalden. Seit neun Jahren habe der dortige "Liederkranz" Trossinger Studenten an der Spitze. "Wir haben die besten Erfahrungen gemacht mit der Hochschule", erzählt er. Oftmals seien es Erstsemester, die noch nie einen Chor geleitet haben, dafür aber sehr motiviert seien.

"Wenn die Hochschule zumacht, wo suchen wir dann unsere Dirigenten?", fragt sich Höfler. Die Zeiten, in denen der Dorflehrer oder Organist den Chor geleitet hat, sind längst vorbei, Alternativen allerdings schwer zu finden. Das weiß auch Joachim Walter. Er kenne zwar viele Dirigenten, die meisten allerdings hätten bereits mehrere Chöre. Dazu kommt der finanzielle Aspekt: Studenten sind günstiger als fertig ausgebildete Musiker.

Aichhalden und Deißlingen, genauso die Gesangvereine in Zimmern und Lauffen – das sind nur einige von vielen, die von der Hochschule praktisch vor der Haustür profitieren.

Nicht nur Studenten kommen in den Chören zum Einsatz, auch Trossinger Absolventen stehen oftmals an deren Spitze. Deren Zahl würde mit dem Beinahe-Aus der Musikhochschule ebenfalls drastisch zurückgehen.

Auch deshalb bezieht der Chorverband Schwarzwald-Baar-Heuberg Stellung: "Der Chorverband profitiert von der Musikhochschule ganz enorm", erklärt der Vorsitzende Dieter Kleinmann. Er brauche sie als Vollhochschule auch für Fort- und Weiterbildungen sowie für die "wissenschaftliche Begleitung seiner Arbeit".

Kleinmann befürchtet noch viel weitergehende Konsequenzen: "Bei uns würde ein Stück Kultur verlorengehen." Rund 400 Konzerte und öffentliche Veranstaltungen bietet die Musikhochschule pro Jahr an. Dazu gehört beispielsweise die Kooperation mit dem Rottweiler Zimmertheater bei "Dantons Tod". Das Stück war während des Jazzfests zu sehen.

Darauf weist die Rottweiler Gemeinderätin Heide Friederichs in einem Brief an Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) hin. Sie schreibt, dass die "Reduzierung auf eine vorgesehene spezialisierte Musikakademie Trossingen" das Kulturprogramm in der Region "erheblich einschränken würde mit der Folge eines irreparablen Verlustes für die Region". Der Gedanke, ausgerechnet im ländlichen Raum eine Spezialisierung der Hochschule vornehmen zu wollen, "erscheint mir ein Stück weit aus der Unkenntnis der Situation heraus entstanden", meint Friederichs.

Bei einem Konzert am Sonntagabend in der Rottweiler Predigerkirche wurden Unterschriften für den Erhalt der Musikhochschule gesammelt, die die Bundestagsabgeordnete Susanne Kieckbusch (Grüne) entgegennahm. Und die IHK nutzte ein Gespräch mit Alexander Bonde, Minister für den ländliche Raum, um auf das Thema zu sprechen zu kommen. Schließlich sei er von Amts wegen "klar in der Pflicht", sich für den Erhalt der Einrichtung einzusetzen, zumal die "ein Aushängeschild des Standorts Schwarzwald-Baar-Heuberg" sei. Der CDU-Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende Stefan Teufel kritisiert derweil: "Die bekanntgewordenen Maßnahmen sind absolut kontraproduktiv für den ländlichen Raum." Dieser werde eindeutig benachteiligt.

Sie stehen mit ihrem Protest nicht alleine da: Spätestens seit Freitag weiß Ministerin Theresia Bauer, wie groß der Protest in Trossingen ist. Buhrufe und Pfiffe begleiteten ihren Besuch dort. Selbst den Freunden der Harmonie ist derzeit eher nach Misstönen zumute.