Trotz zusätzlicher Erstgespräche: Eine längerfristige Behandlung geben die Terminkalender der Therapeuten nicht her. Foto: Andrey Popov – stock.adobe.com

Hilfesuchende müssen monatelang warten. Dennoch werden im Kreisgebiet keine weiteren Therapeuten zugelassen.

Kreis Rottweil - Für Betroffene ist es ein schwerer Schritt: Der Gang zum Psychologen kostet oft Überwindung. Umso entmutigender, wenn dieser dann auf eine monatelange Warteliste verweist. Dennoch werden im Kreisgebiet keine weiteren Therapeuten zugelassen.

"Es ist paradox: Mich hat es viel Überwindung gekostet, mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauche, und dann bekomme ich keine", beklagt eine Betroffene, die anonym bleiben möchte. Drei Monate lang hat sie im Kreisgebiet nach Psychologen gesucht, Listen zusammengestellt und abtelefoniert. Entweder hat man sie auf bis zu sechs Monate Wartezeit verwiesen oder ihr gleich eine Absage erteilt.

Kaum Termine verfügbar

Das ist offenbar kein Einzelfall, wie Therapeuten im Kreisgebiet bestätigen. "Es ist tatsächlich so, dass die Wartezeiten oft noch länger sind", sagt Diplom-Psychologin Susanne Daudert von Podewils unserer Zeitung. Den nächsten freien Termin in ihrer Schramberger Praxis hat sie in etwa zwölf Monaten zu vergeben. "Wir sind einfach zu wenig", beklagt sie.

Region gilt als überversorgt

Dennoch werden im Kreisgebiet Rottweil keine neuen Therapeuten für Kassenpatienten zugelassen. "Weil es der Gesetzgeber nicht will", sagt Kai Sonntag von der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW). Laut aktuellem Bedarfsplan vom Juli gilt der Landkreis mit einem Versorgungsgrad von 114,3 Prozent als "überversorgt". An diesen Plan sei die KVBW rechtlich gebunden, erklärt Sonntag.

Allerdings: "Die Zahl kann nicht den Anspruch widerspiegeln, dass die psychologische Versorgung im Landkreis ausreichend ist", räumt Sonntag ein. "Zwischen Statistik und der empfundenen Versorgungsrealität der Patienten klafft eine Lücke."

Die Gründe dafür sind laut Psychologen und KVBW vielfältig. Einig sind sich die Experten darin, dass die Ursache nicht in einer grundsätzlichen Zunahme psychischer Erkrankungen liegt.

Sonntag sieht die Verantwortung bei der Bundesregierung. Im Jahr 1993 hatte diese unter dem damaligen Minister Horst Seehofer (CSU) das Gesundheitssystem reformiert. Ziel sei es gewesen, steigende Ausgaben zu bekämpfen, erklärt Sonntag. Aus Kostengründen sei vor dem Hintergrund der Beitragsstabilität die Anzahl der zugelassenen Ärzte und Psychotherapeuten begrenzt worden. Seitdem ist im Kreis Rottweil ein Therapeut für genau 5962 Einwohner zugelassen. Die Zahl wurde zuletzt 2013 geringfügig angepasst.

Kostenbasierte Planung

Die Planung beruht demnach – zumindest für gesetzliche Kassenpatienten – auf Kostenkalkulationen und nicht auf dem tatsächlichen Bedarf.

Doch selbst die Wartezimmer von Therapeuten, die nur privat versicherte Patienten aufnehmen, sind überfüllt. "Wir können auch nicht alle behandeln, die bei uns anfragen, und versuchen dann, an andere qualifizierte Kollegen weiterzuverweisen", bedauert Diplom-Psychologe Bernhard Trenkle aus Rottweil.

Grundsätzlich habe die gesellschaftliche Akzeptanz psychischer Erkrankung stark zugenommen, sind sich die Experten einig. "Man kann heute eher zulassen, dass man Hilfe braucht", sagt etwa Bernd Hamann, Sozialdezernent des Landkreises.

Gestiegener Bedarf

Manfred Lütz, Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln, weist im Gespräch mit unserer Zeitung darauf hin, dass das System in Deutschland Anreize dafür schaffe, eher weniger schwer psychisch Kranke zu behandeln. Die allgemeine Aufmerksamkeit auf Befindlichkeitsstörungen wie zum Beispiel "Burnout", die in Wirklichkeit gar keine Krankheiten seien, führe zu einem gestiegenen Bedarf an Lebensberatung, die eigentlich nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft finanziert werden dürfe. Die massenhafte Zulassung von psychologischen Psychotherapeuten habe daher nicht zu einer Verkürzung der Wartezeiten geführt, sondern auch zu einer "Öffnung neuer Märkte".

Wenn berufspolitische Interessen klar hinten angestellt würden, könne man schon kommende Woche dafür sorgen, dass das Verfahren vereinfacht und die Wartezeiten drastisch gesenkt würden. Aber die schwer psychisch Kranken hätten leider keine Lobby.

Maßnahmen sollen helfen

Die überfüllten Wartelisten sind indes bei der Kassenärztlichen Vereinigung angekommen: Zwei zusätzliche Erstgespräche pro Woche und verkürzte Akutbehandlungen sollen helfen. Seit April hat die KVBW dazu ihre Richtlinien geändert. Die Maßnahmen sollen mehr Patienten Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung verschaffen.

Daudert von Podewils indes beklagt den Mehraufwand, der auf die Psychotherapeuten zurückfalle. Zudem könne sie die Patienten trotz Erstgesprächen nicht dauerhaft behandeln, es fehle weiterhin an Terminen.

Ob das Konzept der KVBW positive Wirkungen zeigt, muss sich also erst noch zeigen. Da hilft den Betroffenen oft nur Hartnäckigkeit – und Geduld.