Ablenkungen sind wichtig: 16- bis 18-jährige Flüchtlinge blicken in einem Kinder- und Jugendwohnheim einer ungewissen Zukunft entgegen. Foto: Büttner

Zwischenfazit: Integration wird zunehmend zum Kraftakt. Ohne Ehrenamtliche geht’s überhaupt nicht.

Kreis Rottweil - Flüchtlinge willkommen heißen, das ist meist einfacher gesagt, als getan. Wie hinter den Kulissen um Lösungen gerungen wird, zeigt das Beispiel Jugendlicher, die mit ihrem Status als Asylbewerber die Hoffnung auf das große Glück verbinden.

Die Spielregeln zur Regulierung der Menschenströme nach Deutschland sind für die Kreisverwaltungen seit einigen Wochen teilweise in eine sehr strenge Form gegossen. Um zehn Uhr an jedem Werktag hat die Meldung an landes- und bundesweit agierende Verteilzentralen zu erfolgen. Es geht dabei um die genaue Zahl jugendlicher Flüchtlinge in einem Kreisgebiet. Wer nicht fristgerecht Angaben mache, müsse damit rechnen, dass man "auf Null gesetzt" werde, die Quote zur Aufnahme sich damit für den Landkreis erhöhe.

Wenn Angela Jetter vom Jugend- und Versorgungsamt im Jugendhilfeausschuss des Rottweiler Kreistags auch mit diesem durch deutsches Bürokratieverständnis erzeugten Bestrafungshinweis zu der so viele Kräfte beanspruchenden Herkulesaufgabe spricht, wird deutlich, dass die Nerven stark angespannt sind, manchmal vielleicht auch blank liegen.

Weil Baden-Württemberg noch hinterherhinke bei der Erfüllung von Aufnahmekapazitäten sei das Land im Moment zusammen mit Sachsen in einen Deal mit Bayern eingebunden. Will heißen: Von Bayern aus werden sogenannte Unbegleitete Minderjährige Ausländer (UMA) die nächsten Monate zu 40 Prozent nach Sachsen und zu 60 Prozent nach Baden-Württemberg gebracht.

Fürs ganze Land wird durch das mit dem "Königsberger Schlüssel" zusammenhängende Verrechnungsschema mit wöchentlich 180 bis 240 jugendlichen Flüchtlingen gerechnet. Weil der Kreis Rottweil sich mit der Quote von 1,27 Prozent zu beteiligen hat, sind dies "zwei bis drei Fälle pro Woche", sagt Jetter, um gleich darauf zu betonen, dass man nie so genau wisse, was dann wirklich auf einen zukomme. Dass die politische Dimension des Themas außergewöhnlich komplex und facettenreich ist, wird auch bei der Diskussion in dem Kreistagsgremium deutlich. Dass die vielsagende Geste von Kanzlerin Angela Merkel eine Aufbruchstimmung auch bei vielen Menschen verursacht hat, die nicht aus Kriegsgebieten stammen, wird nicht verhehlt. Viele fühlen sich hin- und gerissen zwischen dem großen Wort von der Willkommenskultur und den realen Anforderungen vor Ort.

Die Plätze für die Unterbringung Jugendlicher werden immer knapper

Die jungen Flüchtlinge müssen in vollstationären Einrichtungen untergebracht werden. Die Kapazitäten dort sind mittlerweile weitgehend ausgereizt. Bei den knappen Plätzen konkurrieren junge Flüchtlinge mit deutschen Jugendlichen. Der Fall eines seelisch schwerbehinderten Jungen wird genannt. Da entscheide sich so manches Haus bei der Aufnahme für die vermeintlich leichtere Aufgabe, wird in dem Zusammenhang beim Kreissozialamt auf brisante Problematiken hingewiesen. Sozialdezernent Bernd Hamann deutet auch mit den Worten "wir können uns keine Einrichtungsplätze schnitzen" auf das Dilemma.

Landrat Wolf-Rüdiger Michel verweist bei der Verteilung der Flüchtlinge auf eine "gute Solidarität" der Landkreise. Dadurch seien auch grenznahe Städte in Südbaden entlastet worden. Andererseits sehe man sich zusehends mit fehlenden Unterbringungsplätzen konfrontiert. Bedürftige Menschen aus Deutschland dürften dadurch aber keinesfalls "hinten runter rutschen".

Zur dieser zunehmenden Konfliktlage entschlüpft Michel zwischendrin auch der Satz, man müsse "immer überlegen, wie lange man gregorianisch singt", also ruhig und optimistisch bleibt. Dies sagt der Landrat im Hinsehen auf junge Flüchtlinge, die hier als Hoffnungsträger für einen ganzen Familienclan ankommen. Wie finden 16-jährige Flüchtlinge nun ihren Weg, wenn deren Angehörige, die für die Flucht oft Hab und Gut zur Bezahlung von Schleppern veräußern, vielleicht doch nicht nachfolgen dürfen? Die vor einigen Monaten bei Menschen in schlechten Lebensverhältnissen viele Erwartungen schürende Botschaft aus Deutschland vom grenzenlosen Willkommen wurde von der Politik nämlich längst wieder deutlich relativiert.

Wenn, wie derzeit erwartet wird, trotzdem monatlich etwa 300 neue Flüchtlinge im Kreis Rottweil Aufnahme finden sollen, könnten es bis Ende 2016 etwa 5000 Menschen sein, die im Landkreis versorgt und betreut werden müssen, rechnet Michel vor.

Auf die Frage, wie man mit solchen Prognosen umgehe, mimt Sozialdezernent Hamann Gelassenheit, obwohl er im gleichen Atemzug betont, dass die Personalausstattung des Amtes für die Flüchtlings- und Asylbewerberaufgabe stark auf Kante genäht ist. Man sei laufend auf der Suche nach neuen Mitarbeitern.

Bei diesem Aspekt findet immer auch die enorme Arbeit Ehrenamtlicher in Städten und Gemeinden für das Wohl der Flüchtlinge Erwähnung. Diese Hilfe sei unverzichtbar, loben Michel und Hamann.

Dass vor allem der hohe Verwaltungsaufwand zur Aufnahme von Flüchtlingen den Landkreis Geld kostet, betont Wolf-Rüdiger Michel mit einem unzufriedenen Blick in Richtung Stuttgart. Während die Kosten für Leben und Unterbringung mit dem Land abgerechnet werden können, sind die wegen des großen Personaleinsatzes kostenmäßig ebenfalls stark zu Buche schlagenden organisatorischen Aktivitäten – von der Wohnungssuche bis zur teilweise sehr schwierigen Beschaffung von Dolmetschern – durch die Landeszusage nicht abgedeckt.

Was dabei besonders ärgert: Gegenüber von vor fünf Jahren habe das Land ein Steuereinnahmeplus von neun Milliarden Euro. Da müsse es doch drin sein, dass sich das Land finanziell in vollem Umfang für die außergewöhnliche Aufgabe einbringe, poltert Landrat Michel.

Info: Minderjährige auf der Flucht

Flüchtlinge unter 18 Jahren werden in Deutschland seit Kurzem mit dem neuen Namen Unbegleitete Minderjährige Ausländer (UMA) bezeichnet. Oft werden sie von Eltern oder anderen Angehörigen für viel Geld an Schlepper übergeben, die sie nach Erkenntnissen des Kreissozialamts dann vornehmlich in deutsche Großstädte wie München bringen.

Auch wenn die Jugendlichen im Schlepptau von Onkel oder älterem Bruder unterwegs sein sollten, gelten sie rechtlich als UMA, der fürsorglich in einer vollstationären Einrichtung unterzubringen ist. Onkel oder älterer Bruder gelten nämlich laut Gesetz nicht als sorge- beziehungsweise erziehungsberechtigt. So muss ein Amtsvormund bestimmt werden, der alle Dinge für den Jugendlichen regelt.

Eine solide Aufenthaltsgestaltung wird laut Kreissozialamt auch dadurch erschwert, dass die jungen Leute sich häufig mit unbekanntem Ziel aus Einrichtungen entfernen.