Ab diesem Schuljahr kann das Recht auf Inklusion an Regelschulen eingeklagt werden. Doch allein damit sei es nicht getan, sagt die Familie Schneider mit Bert, Charmaine, Yvonne, Jeremy und Adrian (von links) und fordert mehr Unterstützung für die Integration in den Schulbetrieb. Foto: Schmidt

Politische Vorgaben und ernüchternde Realität: Familie kämpft für ihren Sohn - und gibt dann doch auf.

Kreis Rottweil - Ab diesem Schuljahr haben Inklusionskinder das Recht eine Regelschule zu besuchen. In der Villingendorfer Schule wurde ein Versuch gestartet, der aber letztlich scheiterte.

Die Schule hat einen guten Ruf und wurde auch schon für verschiedene Projekte ausgezeichnet. Bereits vor drei Jahren wurde ein Inklusionskind als Erstklässler aufgenommen. Dazu wurde ein Raum extra als geschützte Ruhestätte eingerichtet. Schulleiter Rainer Kropp-Kruta nahm die Herausforderung mit Überzeugung an: Die Schüler würden durch den Umgang mit dem gehandicapten Kind reifen und von dieser Erfahrung profitieren, sagte er damals. Die Eltern sahen eine Chance, ihr Kind in der Gesellschaft zu integrieren. Die Idee Inklusion, also das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung ist richtig, betont Mutter Yvonne Schneider. Klappen könne es aber nur, wenn die Voraussetzungen stimmten.

Bei ihrem heute neunjährigen Sohn Jeremy wurde Autismus diagnostiziert. Die kognitiven Fähigkeiten, die dem Kind von verschiedenen Seiten attestiert worden seien, hätten den Besuch einer normalen Grundschule als möglich erscheinen lassen. "Das machte uns Mut, es zu versuchen."

Zunächst habe auch alles gut geklappt, loben die Eltern die Schule. Vom Jugendamt wurde eine Kraft gefunden, die das Kind während der Schulzeit begleitete. Die Klassenlehrerin nahm an einer Fortbildung teil. Erste Probleme traten auf, als das Kind dem Unterricht nicht mehr im gleichen Tempo wie seine Mitschüler folgen konnte, schildert die Mutter. Immer wieder habe sie die Lehrerin davon überzeugen wollen, dass Inklusion nicht bedeute, dass ihr Sohn gute Noten schreibe, sondern er sich in der Gemeinschaft wohl und integriert fühle.  Bei den regelmäßigen Treffen zwischen Schulleitung, Jugendamt, Autismusbeauftragtem sowie Achert- und Gustav-Werner Schule sei das auch bestätigt worden.

Kind wurde zunehmend als störend empfunden

Fortan wurde Jeremy an der Villingendorfer Schule mit dem Lehrplan der Achert-Schule unterrichtet. Der Leistungsdruck war weg, sagt Yvonne Schneider, und auch der Inklusionsgedanke habe funktioniert: "Die Kinder mochten ihn, bewiesen Geduld und waren immer sehr bemüht, ihn mit einzubeziehen."

Sehr problematisch sei es im dritten Schuljahr geworden. Nicht nur der Leistungsnachweis habe wieder im Vordergrund gestanden, das Kind sei zunehmend als störend empfunden worden. Autisten neigten dazu, alles was sie denken, auszusprechen, erklärt Schneider. Das führe unweigerlich zu Unruhe im Klassenzimmer. Je mehr der Druck auf das Kind wachse, umso mehr verstärke sich dieses Verhalten. Für die neue Klassenlehrerin sei der Umgang zum Kraftakt geworden, zeigt die Mutter Verständnis. In Gesprächen habe die Lehrerin geschildert, dass ihr Arbeitsaufwand enorm sei, und sie keine Unterstützung erfahre.

In der Folge saß Jeremy immer öfters mit seiner Schulbegleitperson im Ruhezimmer und wurde zunehmend auffälliger.

"Lehrerin hätte nicht allein gelassen werden dürfen"

Kann man der Schule für diese Entwicklung einen Vorwurf machen? Obwohl Yvonne Schneiders Familie wegen der besonderen Situation des Kindes viel mitgemacht hat, beantwortet die Mutter die Frage mit Nein. Wenn die Politik fordere, dass Inklusionskinder an Regelschulen teilnehmen dürfen, müssten auch die Voraussetzungen stimmen. "Die Lehrerin hätte mit ihrer Aufgabe nicht allein gelassen werden dürfen, es hätte ihr eine sozialpädagogisch ausgebildete Lehrkraft zur Seite gestellt werden müssen", konstatiert die Mutter. Ohne diese betreuerische Rahmengebung sei keinem gedient. Nicht dem kranken Kind, das zunehmend unter Druck geraten sei, nicht den Mitschülern und nicht der Lehrerkraft, die über keine Ausbildung für diese Aufgabe verfüge.

Vor den Osterferien wechselte Jeremy an die Gustav-Werner-Schule, weil an der Achert-Schule kein Platz frei war. Es gehe ihm gut, weil die Rahmenbedingungen an der Schule für geistig Behinderte ihm wieder die notwendigen Strukturen und Ruhe geben würden. Dennoch bedauern die Eltern, dass Jeremy nicht unter "normalen" Kindern groß werden kann. "Leider mussten wir den Kampf, unser Kind in die Gesellschaft zu integrieren zum Schutz und Wohlergehen unseres Kindes aufgeben."

Auch Kropp-Kurta bedauert die Entwicklung: "Die Schule hätte das Kind gerne bis zum Ende der Grundschulzeit begleitet. Gescheitert sei das Vorhaben Inklusion dennoch nicht. Jeremy muss als Einzelfall betrachtet werden", sagt der Schulleiter.

Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen wollte der Schulleiter den Fall nicht weiter kommentieren. Die Rahmenbedingungen für ein Inklusionskind seien an der Villingendorfer Schule durchaus gegeben. Beide Lehrkräfte von Jeremy hätten eine Fortbildung zum Thema Autismus besucht, betont er ebenfalls zum "know-how", das sich die Schule für die besondere Aufgabe angeeignet hat.

Auch Sabine Rösner, Amtsleiterin im staatlichen Schulamt Donaueschingen, will die Schilderungen der Eltern nicht kommentieren. Für das Schulamt steht aber das Wohl eines Kindes grundsätzlich über dem Wunsch der Eltern. Das Amt sei bemüht eine Schuleinrichtung zu suchen, die für das Kind sinnvoll und leistbar sei.

Die politische Marschroute stellt Rösner aber nicht grundsätzlich in Frage. Und sie sagt: Mit zunehmenden gruppenbezogenen Angeboten sei vor Ort zukünftig wohl mehr möglich.

Info: Autismus

Um Schulen aller Schularten bei der Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Spektrums-Störung zu unterstützen, hat das Staatliche Schulamt Donaueschingen den Fachdienst Autismus eingerichtet.

Der Fachdienst besteht aus Lehrkräften unterschiedlicher Schularten und steht als Ansprechpartner sowohl für Schulen im Schulamtsbezirk als auch für Eltern bereit. Die Mitglieder des Fachdienstes haben Erfahrungen im Umgang mit Störungen aus dem Autismus-Spektrum und beraten bei Fragen zum Nachteilsausgleich genauso wie zu verschiedenen methodischen und didaktischen Problemstellungen.

Weitere Informationen und Hinweise auf Kontakpersonen gibt es auf der Website www.schulamt-donaueschingen.de. Siehe dabei auch Stichwort "Autismusbeauftragte".