Die angestrebte Anbindung des Kreises Calw ans Stuttgarter S-Bahn-Netz sorgt vor allem im Nachbarkreis für hitzige Debatten. Foto: Fritsch

Weil der Stadt und Renningen stehen Hesse-Bahn kritisch gegenüber. Ergebnis: "erhebliche Risiken".

Kreis Calw/Kreis Böblingen - Im Kreis Calw ist die Meinungslage zur Hesse-Bahn klar. Da diskutiert man nur noch über Fachfragen. Aus dem Kreis Böblingen dagegen kommen immer wieder deutlich vernehmbare Querschüsse - etwa in Form eines von Weil der Stadt und Renningen in Auftrag gegebenen Gutachtens. Über das schüttelt man in Calw den Kopf - auch wegen eines pikanten Details.

Gutachten in Verkehrsfragen zu erstellen ist ein Markt wie andere Märkte auch. Da konkurrieren auch in Baden-Württemberg mehrere Unternehmen um Aufträge. Eine dieser Firmen ist das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart GmbH, kurz VWI. Dieses Institut hat binnen zehn Monaten zwei Gutachten zum Thema Hermann-Hesse-Bahn erstellt - eines dafür und eines dagegen.

Beim ersten, das das Datum März 2014 und den Titel "Fortschreibung und Weiterentwicklung der Studie ›Zukunft des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart" trägt und das vom Verband Region Stuttgart in Auftrag gegeben wurde, kommen die Gutachter am Ende der fast 100-seitigen Untersuchung zu dem Schluss, dass eine Bahnverbindung von Renningen nach Calw durchaus Sinn macht und eine Realisierung "aussichtsreich" sei.

Beim zweiten von der VWI angefertigten und im Januar 2015 veröffentlichten Gutachten (Titel: "Analyse der Planung und Bewertung der Hermann-Hesse-Bahn") waren die Auftraggeber andere: die der Hesse-Bahn in ihrer geplanten Form kritisch gegenüberstehenden Kommunen Weil der Stadt und Renningen. Und auch das Ergebnis des zweiten Gutachtens hört sich ganz anders an. Da kommt die VWI zu dem Schluss, dass die Standardisierte Bewertung für das Bahnprojekt "erhebliche Risiken" berge und nur geringfügige Änderungen bei den Daten den Kosten-Nutzen-Faktor unter den für eine Förderung nötigen Wert von 1,0 stürzen lassen würden. Damit ergebe sich ein "erhebliches Risiko bei der Belastbarkeit des Ergebnisses der Kosten-Nutzen-Untersuchung", schreibt die VWI.
"Ein Jahr lang die kleinsten Punkte diskutiert"

Auf diese zwei so unterschiedlichen Ergebnisse der gleichen Gutachter angesprochen, reagiert der im Calwer Landratsamt für das Projekt verantwortliche Michael Stierle mit Kopfschütteln - und das nicht nur wegen des Ergebnisses.

Auch inhaltliche Details des jüngsten VWI-Gutachtens stoßen dem Planer auf. Da werde unterschwellig dem Kreis vorgeworfen, man habe bei der Standardisierten Bewertung getrickst - etwa bei den Infrastrukturkosten, die man laut Gutachten zu niedrig angesetzt habe. Oder bei einer theoretisch angenommenden Buslinie zwischen Calw und Renningen. Das gesamte Verfahren der Bewertung sei in enger Abstimmung mit Bund, Land und auch mit dem Landkreis Böblingen abgelaufen, hält Stierle dem entgegen. "Ein Jahr lang haben wir mit den Zuschussgebern von Bund und Land die kleinsten Punkte diskutiert", berichtet der Experte vom Landratsamt. Das gelte auch für die Buslinie, die der Planer sarkastisch als "Geisterbus" bezeichnet. Diese fiktive Buslinie habe man auf Anregung des Bundes in die Untersuchung aufgenommen - damit man eine Möglichkeit hat, um den Unterschied zwischen einer Bus- und einer Zugverbindung zu veranschaulichen, erklärt Stierle. Dass es sich bei dem Bus um keine existente, nur angenommene Verbindung handelt, das verschwiegen die Gutachter, klagt er an.

Bei den Investitionskosten gingen die Gutachter davon aus, dass der Kreis nach den Vorgaben der Deutschen Bahn bauen werde. Das sei jedoch weder nötig noch geplant. Also könne man auch andere Baukosten als bei der Bahn ansetzen, erklärt Stierle, der den Gutachtern vorwirft, mit ihren Berechnungen "Kaffeesatzleserei" zu betreiben.

Dass der Wert des Kosten-Nutzen-Faktors, der derzeit ganz offiziell festgestellt bei 1,34 liegt, noch unter den für die Förderung nötigen 1,0 sinken könnte, hält Stierle für ausgeschlossen: "Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel."

Querschüsse gegen das Projekt Hesse-Bahn gibt es nicht nur von Gutachtern und den Kommunen Weil der Stadt und Renningen, sondern auch von der CDU-Landtagsabgeordneten Sabine Kurtz, die für den Wahlkreis Leonberg-Weil der Stadt-Herrenberg im Parlament sitzt. Thomas Blenke, Fraktionskollege von Kurtz im Landtag, geht davon aus, dass seine Parteifreundin bei ihren Aktionen Richtung Hesse-Bahn in "vermeintlichem Wahlkreis-Interesse" handle, so der Abgeordnete des Kreises Calw gegenüber unserer Zeitung. Blenke kann die Kritik der Bürgermeister Thilo Schreiber (Weil der Stadt) und Wolfgang Faißt (Renningen) und Sabine Kurtz auch deshalb nicht nachvollziehen, "weil doch auch der Landkreis Böblingen und seine Wirtschaft von der Hesse-Bahn profitieren werden". Aktuelle Zahlen sprechen davon, dass der Kreis Calw etwa zu 57 Prozent von der Hesse-Bahn profitiert, der Kreis Böblingen immerhin zu 43 Prozent. "Auch Renningen muss doch sehen, dass die Hesse-Bahn der Kommune nutzt", sagt Blenke. Deswegen gelte es, im Kreis Böblingen stärker die positiven Auswirkungen des Projekts in den Vordergrund zu rücken.

Kritisch sieht Blenke die aus den Reihen der Region Stuttgart vorgeschlagene Verlängerung der bestehenden S 6 über Weil der Stadt hinaus bis nach Calw. Dieser Vorschlag sei zwar prinzipiell begrüßenswert, aber "kalter Kaffee" und in der festgelegten Zeit bis 2019 gar nicht mehr realisierbar. Deshalb könne es sich bei dem Vorschlag aus der Region Stuttgart durchaus um ein "vergiftetes Geschenk" für den Kreis Calw handeln, mutmaßt der CDU-Abgeordnete aus Gechingen.