Kreis Calw/Berlin - Saskia Esken ist viel in der virtuellen Welt unterwegs. Das bringt ihr Beruf als Informatikerin, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda so mit sich. Dabei hält sie mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Deshalb ist sie jüngst zum Ziel massiver Beschimpfungen geworden – neudeutsch "Shitstorm" genannt.

Die Brexit-Kampagne und der Wahlsieg von US-Präsident Donald Trump – zwei Ereignisse, die auch in der Welt des Internets und der digitalen Medien so etwas wie Marksteine sind. Denn seit dieser Zeit ist der Begriff der "fake news", der erfundenen Wahrheiten, dort allgegenwärtig.

Unbekannte bezichtigen sie sogar des Mordes

"Es gibt da Befürchtungen, dass solche fake news sehr viel Einfluss auf den Verlauf der Politik gewinnen könnten", berichtet Saskia Esken, gelernte Informatikerin, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda. Es gebe eine wahre "Fake-news"-Maschinerie, mit der Menschen – etwa auf dem Balkan – sogar ihren Lebensunterhalt verdienen.

Ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist der des US-Nachrichtenportals Breitbart, das politisch als rechtsaußen oder rechtspopulistisch verortet wird. Bekanntestes Gesicht von Breitbart ist Stephen Bannon, erst Breitbart-Geschäftsführer und inzwischen Chef-Stratege des US-Präsidenten Donald Trump. "Breitbart versucht professionell durch Nachrichten Meinung zu machen und zu organisieren", weiß Esken. Und welche Meinung das ist, ist ihr auch klar. "Sie hatten angekündigt sich in Europa zu engagieren – in Frankreich für den ›Front National‹ von Marie le Pen und in Deutschland für die AfD."

Ein Beispiel für die Breitbart-Berichterstattung ist die Berichterstattung über Vorfälle in der Silvesternacht 2016/17 in Dortmund. Breitbart hatte berichtet, dass ein Mob von 1000 Männern unter anderem eine Kirche in Brand gesetzt habe. Tatsächlich hatte aber nur ein Silvesterböller eine Baustellenplane an der Kirche angekokelt.

Saskia Esken kennt natürlich Breitbart und diese Geschichten rund um das Portal. Als dann die Internet-Aktivisten der "Sleeping Giants" via Twitter dazu aufriefen, Firmen, deren Werbung auf Breitbart erscheint, zu kontaktieren und sie dazu zu bringen, diese Werbung zu stoppen, wurde auch Esken aktiv. "Diese Unternehmen haben nicht gezielt bei Breitbart geschaltet, sondern haben sich bei Anbietern nur ›Reichweite‹ gekauft", erklärt Esken. Und das führte dazu, dass auch deutsche Firmen auf Breitbart "unfreiwillig" Werbung machten – etwa Air Berlin oder "wer-liefert-was.de".

"Da habe ich mich entschieden, der ›Sleeping Giants‹-Kampagne zu helfen und habe diese beiden Unternehmen über ihre "Breitbart"-Werbung informiert‹, so Esken weiter. Air Berlin habe direkt auf ihren Tipp reagiert und ihre Werbung bei Breitbart – und übrigens auch beim rechtskonservativen Blatt "Junge Freiheit" – gestoppt. Ähnlich reagierten viele Unternehmen wie BMW, Mercedes-Benz oder Kellogg`s, was zu einem Einbruch der Werbeeinnahmen bei Breitbart führte. Eskens Aktion war im Netz bekannt, wurde diskutiert. Sie selbst legte in einem Artikel nach, in dem sie Breitbart als "Neonazi-Website" bezeichnete.

Daraufhin "explodierte" der Twitter-Account der bei diesem Nachrichtendienst sehr aktiven Esken. "Unter 100 Beschimpfungen war eine Nachricht", erinnert sie sich. "Denunziantenschlampe" war da noch eine der harmloseren Beleidigungen.

Im Netz bekam sie aber auch Sätze wie "Sie gehört am nächsten Baum aufgeknüpft" zu lesen, auch ihre Privatadresse wurde dort veröffentlicht, um sie unter Druck zu setzen.

Die Attacken auf sie nahmen auch ganz andere Formen an: Eines Tages erreichte sie ein Brief der Staatsanwaltschaft Tübingen, in dem stand: "Der Anzeige wegen Mordes gegen Sie wird nicht Folge geleistet." Esken musste über ihren Anwalt erst einmal Akteneinsicht bei Gericht beantragen, um herauszufinden, was es mit dieser Anzeige überhaupt auf sich hatte. Irgendjemand hatte die Politikerin wegen "Mordes am deutschen Volk" angezeigt.

Was Twitter angeht, hatte Esken das Problem relativ schnell im Griff. Nachdem sie herausgefunden hatte, dass ein Großteil dieses "Shitstorms" über zehn Twitter-Accounts lief und sie diese Accounts bei sich blockierte, "war da einigermaßen Ruhe", so Esken. Am Ende habe sich sogar ein Breitbart-Redakteur bei ihr gemeldet. Mit der Frage, wie sie dazu komme, Breitbart eine Neonazi-Seite zu nennen. Mit Blick auf ihre bereits veröffentlichte Erklärung, ließ sie die Breitbart-Anfrage unbeantwortet.

All das hat Esken darin bestärkt, weiter im Netz "den Mund aufzumachen" und selbst auf "Idioten-Posts" auch einmal zu antworten. "Damit zeigt man denen:›Ihr Idioten, ihr seid hier nicht in der Mehrheit." Inzwischen ist der Shitstorm gegen Esken fast komplett abgeebbt.

Kommentar: Gestellt

Von Sebastian Bernklau

Längst wird in der digitalen Welt immer wieder auch mit fragwürdigen Mitteln Meinung und Politik gemacht. Auch am rechten Rand des politischen Spektrums. Das kann dann über große Websites wie Breitbart laufen oder auch über anonyme Shitstorms, die man gezielt über den politischen Gegner niedergehen lässt. Es gibt Politiker, die das wortreich beklagen, aber nichts dagegen unternehmen. Saskia Esken ist da nicht so. Die gelernte Informatikerin duckt sich nicht weg, sie schweigt nicht, sie stellt den politischen Gegner im Netz, stellt sich ihm in den Weg und versucht ihn mit Argumenten zu entlarven oder im besten Fall zum Nachdenken zu bringen. In Zeiten, in denen immer mehr legaler und illegaler Müll das Netz flutet, zeigt sie damit das Rückgrat, das immer so gern von Politikern eingefordert wird. Und taugt für ihre Kollegen durchaus als Vorbild.