Ex-Bundespräsident Christian Wulff (Mitte) verlässt am nach der Urteilsverkündung das Landgericht in Hannover – sichtlich erleichtert. Foto: dpa

Zwei Jahre nach dem Rücktritt als Staatsoberhaupt wurde Christian Wulff vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. Der Weg in den Alltag ist für den Ex-Präsidenten dennoch nicht leicht, sagt der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Zwei Jahre nach dem Rücktritt als Staatsoberhaupt wurde Christian Wulff vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. Der Weg in den Alltag ist für den Ex-Präsidenten dennoch nicht leicht, sagt der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Der Schlusspunkt passt zum ganzen Prozess. Kurz vor Verkündung des Urteils im Korruptionsprozess gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff präsentierte die Staatsanwaltschaft noch einen letzten Beweisantrag. Sie wollte damit klären, wie es am Rande eines fraglichen Oktoberfest-Besuches zu einem Foto von Wulff, der damals noch niedersächsischer Ministerpräsident war, gekommen war. Das Bild sollte beweisen, dass sich Wulff und der mitangeklagte David Groenewold 2008 doch schon am Vorabend des Wiesn-Gaudis getroffen und auf Kosten des Filmfinanciers gebechert hatten. Doch auch dieser Schuss der Ankläger – denen Wulffs Verteidiger nicht ohne Anlass vorwerfen, sie hätten sich in „einen Vollrausch der Ermittlungen“ hineingesteigert – ging in die (Leder-)Hose. Die einzige gesicherte Erkenntnis liefert Wulff selbst: Die Bayern- Tracht passe nicht zu ihm, sagt der Angeklagte munter wie unwidersprochen.

Ein Freispruch erster Klasse also – das Landgericht Hannover ist sowohl Wulffs Behauptungen wie seinen Erinnerungslücken in allen Punkten gefolgt. Für das ehemalige Staatsoberhaupt ist das eine späte Genugtuung. Fazit: Wulff ist am Ende einer – nicht zuletzt medial angeheizten – Kampagne nicht über strafbare Verfehlungen gestürzt, sondern über die eigenen Füße. Manches Entlastende in diesem Prozess mag skurril geklungen haben, vieles Belastende hat arg konstruiert gewirkt. Nicht alle Verteidigungslinien waren jeden Zweifels abhold, und doch schienen am Ende all zu viele Schlussfolgerungen der Anklage zu gewagt, juristisch bedeutungslos oder einseitig belastend zusammengezimmert.

Und doch: Der Prozess hat einen tiefen Einblick in politische Männerfreundschaften wie selbstverständliche Gefälligkeiten und naive Hilfestellungen gewährt. In politische Entrücktheit wie in persönliche Verquickungen. Es ging um große Folgen für kleine Münze. Ob man wirklich glaube, dass sich ein Ministerpräsident für Peanuts kaufen ließe, hat der Richter mehr rhetorisch als ernsthaft interessiert gefragt. 100 Euro für einen Babysitter, 400 Euro fürs Hotel, ein paar Scheine für Speis’ und Trank: als ob’s nur darum gegangen wäre. Sollte das die juristische Ausgangslage gewesen sein, das Verfahren hätte nie eröffnet werden dürfen. Doch es ging eben nicht um Peanuts, sondern um ein Beziehungsgeflecht mit persönlichem, politischem und wirtschaftlichem Hintergrund. Um Gesamtverantwortung hier und Eigennutz dort.

Christian Wulff darf sich nach diesem Freispruch rehabilitiert sehen. Auch als Opfer übereifriger wie überfordert wirkender Staatsanwälte? Das nicht unbedingt. Zu viele Kommunikationsfehler sind dem Ex-Präsidenten unterlaufen. Nicht die Staatsanwaltschaft hat seine politische Karriere zerstört, ihn aus dem Amt getrieben, sondern Wulff selbst: in einer Mischung aus Naivität, Arroganz und fehlendem Gespür fürs Angemessene. Wulff ist juristisch unschuldig. Politisch verantwortlich bleibt er sehr wohl.

Kehrt für Wulff – nach einer Affäre, die Ehe und Karriere zerstörte – wieder der Alltag ein? Unmittelbar nach seinem Freispruch hat er seinen fünfjährigen Sohn aus dem Kindergarten abgeholt. Ist nun wieder alles gut? Kaum. Sein politischer Ruf dürfte dauerhaft ramponiert sein. Selbst ein Freispruch erster Klasse kann Verdacht, Unterstellung oder Verleumdung nicht aus der Welt räumen. Der Preis ist hoch, den Wulff aller Erleichterung zum Trotz lange noch wird bezahlen müssen. Da hat es der Steuerzahler besser, obwohl der Prozess auch ihn teuer zu stehen kommt. Die Rede ist von mehreren Millionen Euro. Denn Wulffs Freispruch zahlt die Staatskasse.

w.molitor@stn.zgs.de