Wie geht man um mit verhaltensgestörten Häftlingen? Foto: dpa

Bruchsal ist ein Warnsignal, dass in Gefängnissen einiges im Argen liegt, meint unser Kommentator Arnold Rieger.

Stuttgart - „Wegsperren – und zwar für immer!“ An Patentrezepten für den Umgang mit Schwerverbrechern hat es noch nie gemangelt, wie das markige Zitat des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder zeigt. Und im Grunde hat er ja recht: Wer die Regeln des Zusammenlebens wiederholt verletzt, wer raubt, vergewaltigt oder tötet, der hat dies mit Freiheitsentzug zu büßen. Das sollte zwar nur ausnahmsweise „für immer“ sein, denn jeder Mensch verdient eine zweite Chance. Doch vor einer Aufnahme in die Gesellschaft stehen Sühne und Vergeltung.

Was hinter Gittern passiert, will allerdings niemand so genau wissen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Zwar wird immer wieder geraunt über Drogengeschäfte, heimliche Hierarchien und mafiose Strukturen. Und man ahnt, wie schwierig der Umgang mit Schwerverbrechern sein muss. Doch nur wenn die Auswüchse nicht zu übersehen sind, wenn Häftlinge zu Tode kommen zum Beispiel, nimmt die Öffentlichkeit von der Schattenwelt Notiz. So wie im letzten August, als in Bruchsal ein afrikanischer Gefangener tot in seiner Zelle gefunden wurde – verhungert, wie sich herausstellte.

Was dort genau passiert ist und wer dafür die Verantwortung trägt, müssen die Ermittlungsbehörden zutage fördern. Vieles deutet darauf hin, dass die Gefängnisleitung die Zügel schleifen ließ, ja dass sich beim Personal Zynismus und Kaltschnäuzigkeit breitmachte. Auch das Justizministerium hat nicht so genau hingesehen – es lief ja immer irgendwie. Es wäre jedoch zu einfach, den Direktor in die Wüste zu schicken – und den Justizminister gleich mit – und dann zur Tagesordnung überzugehen. Denn Bruchsal ist ein Warnsignal, dass hinter Gittern manches im Argen liegt.

Ein hoher Anteil der im Schnitt 7100 Gefängnisinsassen ist nämlich nach Auffassung von Fachleuten verhaltensgestört. Sie gehören eher in die Psychiatrie als in eine Haftanstalt. Dort treffen sie auf Vollzugsbeamte, die so recht und schlecht auf den Umgang mit psychisch Kranken vorbereitet sind und sich nicht selten beschimpfen lassen müssen. Wenn die Aggression der Gefangenen dann noch in brachiale Gewalt umschlägt, wie im Sommer in der Jugendhaftanstalt Adelsheim, ist eine neue Eskalationsstufe erreicht. Seither geht bei den 2500 Vollzugsbediensteten im Land die Angst um, dass es sie als Nächste trifft.

Der Landtag tut also gut daran, die politische Erregung so lange aufrechtzuerhalten, bis einige grundsätzliche Fragen beantwortet sind. Zum Beispiel die, welche Bewerber man für den Justizvollzugsdienst erhält, wenn sie mit einer Eingangsbesoldung von 2100 Euro brutto rechnen können – für das Tätigkeitsprofil, den Buckel hinzuhalten und gleichzeitig einfühlsam mit verhaltensgestörten Kunden umzugehen. Auch die Suche nach einem weiteren Gefängnisstandort muss forciert werden. Die Abgeordneten müssen sich aber auch fragen, ob der Staat in einem seiner Kernbereiche personell gut genug ausgestattet ist.

Es reicht jedenfalls nicht aus, die Kontrollschraube anzuziehen – auch wenn dies bei der ministeriellen Aufsicht geboten scheint. Dass der Justizminister nun eine Kommission einsetzt, um auf solche Fragen Antworten zu finden, ist ein erster Schritt. Man hätte von ihm aber erwarten dürfen, dass er sich früher mit den Problemen auseinandersetzt. Denn wo, wenn nicht in seinem Haus, landen die Informationen? Das ist der eigentliche Vorwurf, den sich Rainer Stickelberger gefallen lassen muss: dass er keine vorausschauende Politik gemacht hat.